Maxeiner & Miersch / 18.10.2014 / 19:31 / 13 / Seite ausdrucken

Die Einsamkeit des Carnivoren

Das feuilletonistische Segment der globalisierten Gesellschaft zieht es jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse. Es versammeln sich sehr belesene und sehr schwarz gekleidete Menschen, die am Abend sämtliche Tische der gehobenen Frankfurter Gastro-Szene unter sich aufteilen. Bei so einem Verlags-Abendessen geht es sehr babylonisch zu. Und doch eint die weltweite Hochkultur die gleiche Frage: Essen Sie vegetarisch oder vegan? Die Anwesenheit eines gemeinen Carnivoren in der Runde wird gar nicht mehr in Betracht gezogen. Und so kommt es beim Bestell-Vorgang stets zum Schwur. Die Damen sind zuerst dran und es wird ein Salätchen oder auch Gemüse geordert, die eher lebenslustigen neigen zur vegetarischen Pizza. Der in jeder Beziehung konventionell veranlagte männliche Fleischfresser hat spätestens jetzt ein Problem. Will er es sich mit dem weiblichen Teil der Tischrunde schon vor Beginn der eigentlichen Konversation verscherzen? Indem er beispielsweise ein Schnitzel oder gar ein gegrilltes Rumpsteak bestellt? Der Geruch gebratenen oder gegrillten Fleisches wird mittlerweile als mindestens so störend empfunden wie das Rauchen. Ein Schnitzel entspricht gefühlt einer Zigarette und ein Rumpsteak einer öffentlich zelebrierten Havanna-Zigarre.

Man muss also schon ein sehr bekannter Autor sein, um sich einen Zwiebelrostbraten oder ein Rumpsteak zu trauen. Spielt man in der B-Liga, war’s das. Den um Vergebung bettelnden Blick des Carnivoren beantwortet eine der sich ethisch einwandfrei ernährenden jungen Frauen am Tisch dann meist so: „Ich bin zwar Vegetarierin aber nicht dogmatisch“. Das heißt auf gut Deutsch: „Du bist zwar eine tierquälerische und ignorante Null, aber für den Rest des Abends werde ich mich trotzdem mit Dir unterhalten, weil ich nicht nur Vegetarierin sondern auch vorbildlich tolerant bin.“

Wer dem Dilemma aus dem Weg gehen will, sollte seine Fleischeslust tagsüber heimlich stillen, beispielsweise auf dem großen Platz zwischen den Messehallen.  Am „Pommes-Grill“ gibt’s „Rostbratwurst mit Brötchen“ und einen Stand weiter „Linsensuppe mit Wursteinlage“. Unser Geheimtipp für die nächste Buchmesse: „Burrito-Bande“ gegenüber von Halle 3. Dort offeriert man den „Cowboy-Bill mit saftigem Rindfleisch und hausgemachter Banden-BBQ-Sauce“. Die Warteschlange war lang und bestand aus ganz vielen schwarz gekleideten Herren, die verstohlen um sich guckten, so als wollten sie gerade einen Sexshop betreten.

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Leserpost

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Franz Roth / 20.10.2014

Ich finde das Thema immer wieder witzig. Besonders diese latente Ausgrenzungsangst so mancher fleischeslustigen Geschlechtsgenossen. Ich rauche filterlose französische Zigaretten (ja, die, für die früher mal mit interessanten und originellen Fotostrecken geworben wurde), trinke Alkohol (was Wunder, gerne einen Pastis vor dem Essen, dazu Rotwein) und von Steak bis Austern wandert alles in meinen Schlund, was gut für meinen Testosteronspiegel ist. Musste noch nie mit einer Dame über irgendeine vegane Ethik diskutieren. Niente. Wir haben da ganz andere Themen. Und dieses wäre mir noch nicht mal eine halbe Zeile wert.

Werner Geiselhart / 20.10.2014

Frau Küppers, Frau Fischer, Sie machen sich lustig über die Leute, die sich von Veganisten und Vegetaristen bedrängt fühlen. Wenn ich mir die Schule meines Sohnes anschaue, wo einige vegan aktive Lehrerinnen die Richtung bestimmen, finde ich das gar nicht mehr so lustig. Da wird von der 5. Klasse an indoktriniert auf Teufel komm raus. Den Schülern werden regelmäßig die Propagandafilme über die böse Nahrungsmittel-/Fleischindustrie vorgeführt und dies als Normalität in diesen Branchen verkauft. Natürlich sind die Szenen, die gezeigt werden, teilweise wirklich ekelhaft, es gibt auch heute noch Negativbeispiele, ich betone Beispiele. Diese Beispiele als Normalität zu verkaufen und daraus eine grundsätzliche Ablehnung des Fleischverzehrs herzuleiten, hat aber inzwischen missionarische Züge angenommen. Da könnte man als Carnivore durchaus gegenargumentieren, dass auffallend viele NS-Größen Vegetarier bzw. Veganer waren. Selbst der angeführte positive Gesundheitsaspekt durch Fleischverzicht ist mehr als fraglich. Das dringend benötigte Protein, das normalerweise auf natürlichem Wege von Fleisch geliefert wird (ebenso wie essentielle Vitamine und Mineralstoffe), muss umständlich über aufbereitete pflanzliche Eiweisslieferanten + (künstliche) Zusatzstoffe bereitgestellt werden, bei Kleinkindern eine äußerst verzwickte, ja sogar gefährliche Angelegenheit. Ein vernünfiges Maß an Fleischverzehr (nicht zu fett und zu viel) dient der Gesundheit wesentlich mehr als der missionarisch herbeigeredete Fleischverzicht. Er ist vor allem wesentlich natürlicher als der Verzehr von künstlich aufbereiteten vegetarischen Sojafrikadellen.

Ulrich Berger / 19.10.2014

Wer sich von den Veggies moralisch einschüchtern lässt, ist selbst Schuld. Da muss man ganz gelassen handelnd gegenhalten und die grünlich-strengen Gesichter der Verbissenen genießen. Sollte jemand mit ideologiegeladenem Gemecker kommen, hat sich nach meiner Erfahrung totale Gnadenlosigkeit bewährt: * Was weiß man schon, was wirklich artgerechte Tierhaltung ist und was “glückliche Tiere”? * Im Massenstall werden die Tiere jedenfalls garantiert und immer satt sowie optimal medizinisch betreut - anders als in der freien Wildbahn. * Und der Tod kommt bei ihnen - per Rechtsanspruch! - gewöhnlich schnell und unerwartet sowie qualfrei - ein Luxus, den Menschen bestenfalls rein zufällig haben. * “Artgerechte Haltung” ist also für unsere Nutztiere genauso suboptimal wie für uns Menschen (so in der Höhle…) * Kommt noch einer mit “Tierrechten” wie für Menschen: Wer Rechte haben soll, muss auch adäquate Pflichten erfüllen - dafür sind Tiere durchweg zu blöd, mit Abstand. * Folglich sage ich in solchen Diskussionen (gewöhnlich an deren Ende) ganz klar, dass ich wegen dieser Artgumente überzeugter “Speziesist” bin… Dann esse ich genüsslich mein Steak und habe garantiert meine Ruhe dabei :-) Beste Grüße, Ulrich Berger

Christian Winterhager / 19.10.2014

Herrlich, zum totlachen!

Felicitas Küppers / 19.10.2014

Ich finde das immer lustig, wenn so getan wird, als wären 98 % der Bevölkerung Vegetarier und Veganer und die restlichen 2 % noch übrig gebliebene Fleischesser, die ihr Fleisch heimlich verzehren müssen. Die Realität sieht ja nun doch etwas anders aus. Ca. 98 % der hiesigen Bevölkerung sind Fleischesser und für die mageren 2 %, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, bieten manche Restaurants nun auch vegetarische Gerichte an. Aber irgendwie schaffen es die 2 % offensichtlich, den 98 % Fleischessern, die ihnen gegenüber stehen, ein enormes Gefühl der Bedrohung zu vermitteln. Beeindruckend.

Katrin Fischer / 19.10.2014

Liebe Maxeinermierschens, was für´n Dilemma!!! Aber welches überhaupt? Waren die anderen böse zu Ihnen? Standen sie gar mit der Kalaschnikowa hinter Ihnen, damit sie Gemüse essen? Nein? Ach so, Sie haben so etwas wie Gruppendruck verspürt…Nun, gegen Gefühle ist manchmal kein Kraut gewachsen. Es könnte übrigens sein, daß das Handeln der Anderen in seinen Folgen ziemlich gut ist, wobei wir die Motivation mal beiseite lassen. Falls diese schlecht sein sollte, bitte bei Mephisto nachfragen. Wie ich darauf komme? Existenzaussage: Tiere sind fühlende Wesen. Beweis: muss ich als Mensch und objektiv wohl schuldig bleiben.  Aber ich erahne: viele (Schlacht-)Tiere leiden ein Leben lang. Und die Mitleidsethik ist hier nicht die schlechteste…finde ich. Ist das vielleicht Ihr Dilemma: Sie spüren, daß etwas dran sein könnte, aber/und Sie entscheiden sich für das Einfachere? Und können die Anderen noch dazu als Ideologen verkaufen! Scheint mir ein Fall von doppelt verschanztem Egozentrismus zu sein; aber auch kluge Menschen stolpern über den self confirmation bias. Daher mein Zuruf/meine Ermunterung: selber denken und ein bißchen fühlen. Und - ich mag Sie trotzdem leiden!

Martin Lahnstein / 19.10.2014

Selbst ohne großes Bedenken carnivor, halte ich es für möglich, dass eines Tages alle Welt mehr oder weniger vegetarisch bis vegan ist. So wir wir heute schon Hirn, Lunge und einiges andere verabscheuen. Da wir heute schon Muskel- aus Stammzellen wachsen lassen, kommen dann vielleicht Steaks aus fabrikmäßigen Labors. Übrigens könnte heute schon in Chicken Nuggets und ähnlichen Köstlichkeiten der Chicken-Anteil durch ein Sojaprodukt ersetzt werden, ohne dass es ein Fastfoodesser bemerkt.

Waldemar Undig / 19.10.2014

Typisch, dass es nirgendwo Fisch gibt. Da bleibe ich lieber im Norden.

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