Wolfram Weimer / 28.06.2018 / 06:15 / Foto: Bundesregierung.de / 35 / Seite ausdrucken

Je eher desto Schäuble

Wer Angela Merkels Machtverfall erleben will, kann entweder den Absturz in Umfragewerten verfolgen, ihre Isolation bei EU-Gipfeln bestaunen, die immer respektloseren Attacken aus Bayern ertragen oder die steigende Zahl von Endzeit-Kommentaren in Medien lesen. Es reicht aber auch ein lauschendes Ohr in der Unionsfraktion. Denn dort wird inzwischen so offen über ihre Nachfolge diskutiert, als sei ihr Abgang ausgemachte Sache wie der von Jupp Heynckes beim FC Bayern. Sie hat damit ein auratisches Moment ihrer Macht bereits verloren – die gefühlte Alternativlosigkeit. Sollte die Kanzlerin im Gefolge der Regierungskrise stürzen oder in wenigen Monaten zermürbt aufgeben müssen, dann hat die Union vier Optionen.

Operation Übergangskanzler

Im Falle eines überstürzten, dramatischen Kanzlerinnensturzes hätte Wolfgang Schäuble gute Chancen, als Übergangskanzler einzuspringen. Schäuble ist als lebende Legende der Union und Bundestagspräsident mit hoher Autorität versehen. Er könnte als respektierter Grandseigneur der deutschen Politik auch von der SPD als ein Übergangskanzler akzeptiert werden. Er wäre in beiden Lagern der Union – den Konservativen wie den Merkelianern – vermittelbar.

Schäuble strahlt im weiträumigen politisch-korrekten Opportunismus eine selten knorrige Eigenwilligkeit aus. Er verkörpert eine preußische Staatsauffassung von ausgeglichenen Haushalten, Recht, Ordnung und geschützten Grenzen. Da er sich dennoch in diesen Tagen der immer heftigeren Attacken aus Bayern schützend vor die Kanzlerin stellt und die Fahne Europa hisst, obwohl jeder weiß, dass er die Migrationspolitik der Kanzlerin zutiefst missbilligt, macht er sich nach beiden Seiten hin anschlussfähig. Mit seinen unglaublichen 45 Jahren Parlamentsmitgliedschaft ist er der dienstälteste Abgeordnete in der Geschichte des Bundestags – und damit für viele der Jüngeren keine perspektivische Konkurrenz, auch das würde im Ernstfall für ihn sprechen.

Aktion Annegret

Angela Merkel selbst würde freilich versuchen, ihre Nachfolge anders zu regeln. Sie setzt auf Annegret Kramp-Karrenbauer. Unionsintern gerne “AKK” gerufen, genießt die CDU-Generalsekretärin hohe Sympathiewerte in Partei und Bevölkerung. Viele rühmen ihre uneitle, integre, ausgleichende Art. Kramp-Karrenbauer hat zudem etwas, was die anderen Merkel-Nachfolgekandidaten der CDU nicht haben – wichtige Wahlen gewonnen.

Sie war es, die den Schulz-Zug, der im Saarland-Wahlkampf noch rot-rot-grün voran rauschte, zum Entgleisen brachte und letztlich Angela Merkel die Kanzlerschaft rettete. Aus Annegret wurde “Annegreat”. Obendrein verzichtete sie auf ihr sicheres Ministerpräsidentenamt, um in das riskante, schlecht bezahlte Generalsekretariat nach Berlin zu wechseln. Allerdings hat Kramp-Karrenbauer den Nachteil, dass sie für manche als zu merkelnah gilt, obendrein sozialpolitisch profiliert und also eher auf dem linken Flügel der CDU verortet ist.

Ihr offener Brief an alle CDU-Mitglieder, jetzt die CSU auszubremsen, hat manchen in der Union befremdet. Denn in der Union wächst allenthalben der Wunsch nach grundlegender Erneuerung. AKK wird im Moment der Kandidatenkür das Wertkonservative, Islamismuskritische, Familienbetonte der westdeutschen Katholikin herauskehren müssen, um den rechten Flügel der Partei noch zu erreichen.

Spektakel Spahn

In jedem Fall bahnt sich eine Rivalität zwischen Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn an. Wo sie den liberalen Flügel verkörpert, steht er für die konservative Erneuerung. Der Bundesgesundheitsminister ist zur Symbolfigur der Merkel-Kritik in der Union geworden. Er hat die Fehler von Merkels Migrationspolitik früh und laut gebrandmarkt, ja sogar ein ganzes Buch gegen das “Staatsversagen” veröffentlicht.

Er hat die Macht der Kanzlerin mehrfach infrage gestellt und auf zwei Parteitagen (2014 mit der Kampfkandidatur gegen Merkels Wunschmann Hermann Gröhe und 2016 mit dem Doppelpass-Aufstand) Angela Merkel sogar in einer offenen Feldschlacht besiegt. Er bekäme von den Jungen und dem Wirtschaftsflügel Rückendeckung, aber auch von der CSU sowie von Wolfgang Schäuble, seinem politischen Mentor.

Kompromiss Klöckner

Sollte der Machtkampf zwischen AKK und Spahn die beiden Lager unversöhnlich aufeinander prallen lassen, bekäme die Dritte im Poker um die Macht der Zukunft ihre Chance. Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner ist medienpräsente Sympathieträgerin der Union und bereits seit 2012 CDU-Stellvertreterin Merkels.

Anders als Spahn und AKK hat sie in ihrem Verhältnis zur Kanzlerin die Halbdistanz gewählt. Wo manche in der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer als zu merkelnah ansehen, andere Jens Spahn als zu merkelkritisch wahrnehmen, verkörpert Klöckner die konziliante Mitte zwischen beiden. Klöckner hält sich im Machtkampf zwischen CDU und CSU auffallend zurück. Als geländegängige Generalistin gelingt es ihr geschickt, die Balance zu halten zwischen der entschiedenen Burka-Verbieterin und der offenherzigen Pfälzerin, zwischen merkeliger Weltoffenheit und seehoferiger Werteverteidigung.

Fazit: Je eher, desto Schäuble. Je geordneter, desto Kramp-Karrenbauer. Je erneuerungslustiger, desto Spahn. Je blockierter, desto Klöckner.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.

Foto: Bundesregierung.de

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Susanne v. Belino / 28.06.2018

@Volker Greve Als “Schwachstelle der Konservativen” würde ich das “Festhalten bis zum bitteren Ende” gerade in diesem Falle nicht bezeichnen, weil Merkels politische Ausrichtung längst nicht mehr als konservativ bezeichnet werden kann. Wie man weiß, hatte sie nach der Wende eine Mitgliedschaft in der damals noch erfreulich konservativen CDU kategorisch abgelehnt. Im Verlaufe ihrer Kanzlerschaft hat Merkel dann zielstrebig darauf hingearbeitet, möglichst allen Mitgliedern der traditionsreichen Volkspartei den von ihr gewünschten links-grünlichen Drall zu verpassen. Und, wie es scheint, machten alle diesen Richtungswandel - gänzlich unwidersprochen - mit. Ein bemerkenswertes Phänomen. Das von Ihnen beklagte Festhalten (ich würde es sogar Festklammern nennen) ist parteiübergreifend zu beobachten. Immerhin steht für den Einzelnen eine Menge auf dem Spiel; gehören die meisten Lenker der Geschicke unseres Landes doch vermutlich dem Stande der Berufspolitiker an.

Armin Hoffmann / 28.06.2018

@fanny Brömmer > Curio beeindruckt, unbestritten - als Kirchenmusiker scheint er verklärt, der Verwirrung nahe, achten Sie auf das Starre in seinen Augen ! - Curio ist nicht “brilliant” ! Gysi und Wagenknecht brillieren, das sind brillante Redner ! ... die brauchen kein zusätzliches “i” ...  “Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen” sagte Sartre

Fanny Brömmer / 28.06.2018

@Anders Dairie Sehen Sie sich doch bitte die Reden von Dr. (Dr.) Gottfried Curio an: brilliant, scharfzüngig, sachlich korrekt, auf den Punkt, mit konkreten Lösungsvorschlägen. Der Mann ist promovierter, und zumindest in einem Fach auch habilitierter, Physiker und Kirchenmusiker. Er als Kanzler, Weidel Familie, Höcke Verteidigung, Gauland (ja!) Innen und Heimat, Boehringer Finanzen und Soziales…

Dirk Ahlbrecht / 28.06.2018

In was für einem desolaten Zustand sich die CDU befindet, wird bei Aufzählung der Optionen noch einmal überdeutlich.

Bärbel Schneider / 28.06.2018

Ganz gleich, ob die neue Merkel AKK, Spahn, Glöckner, Schäuble oder Seehofer heißen würde, alle sind mehr oder weniger in die suizidale Politik des Merkel-Regimes verwickelt und würden die Zerstörung unseres Landes und europäischen Zusammenhalts - vielleicht mit einigen kosmetischen Korrekturen - fortsetzen. Und da man dem Volk Wahlen immer noch nicht ganz verweigern kann: Sie hätten auch keine Glaubwürdigkeit bei den Wählern. Wenn die CDU einen Absturz vermeiden will, muss sie eine Person an die Spitze bringen, die nichts mit der katastrophalen Politik der Merkel-Zeit besonders in den letzten drei Jahren zu tun hatte und als ausgewiesener Merkel-Gegner gilt, eine Person wie beispielsweise Friedrich Merz. Sonst nimmt man der CDU die Rückbesinnung auf konservative Werte und auf die Verantwortung gegenüber unserem Land nicht ab. Aus den Erfahruingen in der Zeit der Friedlichen Revolution in der DDR weiß ich, dass die meisten Funktionäre und Abgeordneten keine Probleme damit hätten, sofort das Gegenteil von dem zu vertreten, was für sie gestern noch unabdingbar schien, wenn sie davon ausgehen können, dass ihre Posten gesichert bleiben. Zusätzlich gilt: Emotionale Gründe spielen neben den sachlichen auch eine wichtige Rolle für die Wahlentscheidung. Nachdem mit Merkel und ihren Ministerinnen (exponiertestes Beispiel ist von der Leyen) hauptsächlich Frauen für die destruktive Politik der letzten Zeit verantwortlich waren, würde ich es begrüßen, wieder mehr Männer in politischer Verantwortung zu sehen.

Volker greve / 28.06.2018

Vielleicht sollte man sich mal Gedanken darüber machen wie man Machtübertragung zeitlich begrenzen kann. In der CDU findet ein Machtwechsel doch erst dann statt wenn der Machtinhaber entweder senil wird oder gestürzt. Das ist eben die Schwachstelle der Konservativen , Festhalten bis zum bitteten Ende. Nun wird überlegt wer es denn nach “Mutti” machen soll. Nein , Frau Merkel muß es machen bis alles kaputt ist damit jeder aber wirklich jeder die Notwendigkeit von Reformen einsieht.

Uta Buhr / 28.06.2018

Der katastrophale Zustand unserer Nationalelf spiegelt den ebenso desaströsen Zustand unserer sogenannten Regierung wider, in der nur noch leeres Stroh gedroschen wird. Ich denke, dass dem Aus der Elf bald das Aus für unsere unsägliche Kanzlerette folgen wird. Fußball war von jeher nicht nur hoch emotional, sondern auch hochpolitisch. Ebenso wie die “Mannschaft” muss sich auch die politische Landschaft in Deutschland total erneuern. Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an. Was wäre denn so schlimm an Neuwahlen? Da käme doch einmal frischer Wind in diesen Mief. Unter den von Herrn Weimer vorgeschlagenen Nachfolgern Merkels ist aus meiner Sicht keine/r geeignet. Auch Julia Klöckner nicht, obgleich ihre aparte Erscheinung ein wahrer Lichtblick nach der - sehr freundlich ausgedrückt - unattraktiven und Fingernägel kauenden Merkel wäre.

Joseph Vorin / 28.06.2018

Dieser Leserbrief wird es wohl nicht zur Veröffentlichung schaffen, dennoch: Ich will in den nächsten Jahrzehnten keine Frau mehr in der Nähe des Kanzleramtes sehen. Bitte keine Frau mehr! Von denen habe ich erst einmal mehr als genug.

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