Claudio Casula / 07.03.2013 / 23:44 / 0 / Seite ausdrucken

Fünf vor Zwölf

Und wieder ist es fünf vor Zwölf, die deutsche Standarduhrzeit. Den heutigen Alarm löst eine „politische Rapcastingshow“ aus. Sie trägt den sinnigen Titel „RAPutation“ und ist ein Projekt der gemeinnützigen Medieninitiative DU HAST DIE MACHT. Selbst erklärtes Ziel: Jugendliche zwischen 14 und 23 Jahren für politische Themen zu begeistern. Selbstredend wird diese dringend notwendige Veranstaltung aus allerlei öffentlichen Ecken gefördert, u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Gesucht wird, um es knallhart zu sagen, „der politischste Rapper Deutschlands“, und die Aufgabe lautet: „Messages an Merkel“.

Die Message, die ein gewisser Prät Pitt für die Kanzlerin hat, hört sich auch ohne die Musik gruselig genug an:

„Erzähl mir nichts von Chancengleichheit und der Markt ist frei, die Leute wollen nicht leben für die Arbeit, sie wollen Spaß dabei. Das dürfte der Knackpunkt sein, hier zählt nicht was Menschen wollen, es geht um die Kohle und ich frag mich wo das enden soll?“ // „Getrieben von Macht und Gier, vergesst ihr die Massen hier. Christlich demokratisch? Gott hat uns längst verlassen hier.“

Starker Tobak, fürwahr! Systemkritik, Kapitalismusschelte, Politikverdruss und Glaubensbashing in wenigen, wenn auch eher unbeholfen ausgedrückten Versen. „Es geht um die Kohle“, wie furchtbar. Zwar sacken allein die 6-13-Jährigen jährlich drei Milliarden Euro von Eltern und Verwandten an Taschengeld ein, was ihnen erlaubt, rund um die Uhr Fastfood-Niederlassungen zu stürmen und Konsumgüter vornehmlich aus der Unterhaltungselekronikbranche zu erwerben (80 Prozent der Jugendlichen besitzen einen eigenen Computer, 97 Prozent ein Handy bzw. Smartphone), hippe Klamotten zu kaufen oder Party-Urlaub in Lloret zu machen, aber, klar: muss es denn immer um die Kohle gehen? Gibt es nicht ein Menschenrecht auf ein unentgeltliches iPhone? Früher blieb die Verachtung der Konsumgesellschaft jenen vorbehalten, die sich nichts kaufen konnten, heute ist sie jedermann erlaubt und chic.

Also nehmen die Veranstalter die alberne Konsumkritik ernst: „Wut, Misstrauen, Perspektivlosigkeit. Die jungen Rapper zeichnen ein besorgniserregendes Bild von der politischen Stimmung deutscher Jugendlicher“. Die „in Deutschland herrschende soziale Ungerechtigkeit“, heißt es in einer Presseerklärung, sei für die jugendlichen Rapper ein wichtiges Thema. Für Drob Dynamic zum Beispiel, der eine „düstere Zukunft für seine Generation“ prophezeit:

„Es sind Kinder und junge Menschen betroffen, in Berlin werden nach und nach Jugendzentren geschlossen.“ // „Du hast leider am falschen Ende gespart, vielleicht wirst du sogar das Doppelte am Ende bezahlen.“ // „Liebe Angela, ein paar Tipps, zieh sie dir jetze rein, Bildung und Kultur sollten keine Frage des Geldes sein!“

Was sich Frau Merkel „jetze“ reinziehen sollte, ist allerdings Allgemeingut. Warum nur kamen die von ihrer Regierung angebotenen Bildungsgutscheine bei der Zielgruppe nicht wirklich gut an? Die Nachfrage hielt sich ja in engsten Grenzen. By the way: Haben wir was verpasst? Ist der Schulbesuch jetzt kostenpflichtig? Und landet man wirklich zwangsläufig auf der Straße, wenn ein Jugendzentrum geschlossen wird? Man dürfte nicht allzuweit daneben liegen, wenn man davon ausgeht, dass auch Drob Dynamic, wie der Großteil seiner Altersgenossen, im Zweifelsfall eher durch den lokalen Apple Store schnürt als durch Museen oder Bibliotheken. Apropos: So eine Jahreskarte, mit der man unbegrenzt Bücher ausleihen kann, kostet in Berlin 5 (in Worten: fünf) Euro, für Drob Dynamic, der schon 22 ist, zehn Euro. Wirklich. Pro Jahr. Zum Vergleich: Ein Menü mit einem Big Tasty Bacon, einer Sechserpackung Chicken McNuggets, einer mittleren Pommes und einem Getränk (0,4 l.) kostet (mit Gutschein) schon acht Euro, ist also für Drob Dynamic, der, was seine Physiognomie nahe legt, ziemlich regelmäßig dies und ähnliches verzehren dürfte, relativ problemlos zu haben; Sozialhilfeempfänger und alle möglichen anderen Gruppen können sogar kostenlos Bücher und andere Medien ausleihen.

In so einer Bibliothek steht einem bildungsmäßig gewissermaßen eine ganze Welt offen, dennoch trifft man Teenies in größeren Ansammlungen grundsätzlich eher bei McDonald´s oder bei Saturn an als in der Bücherei oder einer Kunstausstellung. Es drängt sich der Verdacht auf, dass so eine Jugend nicht wirklich ähnlich hart ist wie die Kindheit Frank McCourts in Limerick, die er in „Die Asche meiner Mutter“ beschrieb. Zugegeben, es ist ein geradezu ketzerischer Satz, aber er muss gesagt werden: Auch ein Kreuzberger Jugendlicher darf eine Bücherei besuchen oder sich anderweitig fortbilden! Dann ist von einer Karriere als Barista in einer Nespresso-Filiale aufwärts alles drin.

Ehrlich: Angesichts wirklichen Elends außerhalb dieses Landes kann man die Klagen der Hip-Hopper schon nicht mehr als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen - es ist obszön. Mag ja sein, dass „die jungen Rapper ein besorgniserregendes Bild von der politischen Stimmung deutscher Jugendlicher“ zeichnen, aber es hat auch schon Künstler gegeben, die Menschen mit drei Köpfen gemalt haben. Ausgerechnet in einem Land, in dem jeder etwas aus sich machen kann, die „liebe Angela“ anzupinkeln, weil die Schließung eines Jugendzentrums angeblich zwingend eine kriminelle Karriere zur Folge hat (schuldig dann: die Kommune / der Staat / die Gesellschaft), ist ja das gute Recht eines jeden noch so jungen Bürgers. Aber muss man so was als Ausdruck allgemeiner „Wut, Misstrauens, Perspektivlosigkeit“ werten?

In Hamburg darf man jetzt übrigens schon mit 16 an Bürgerschaftswahlen teilnehmen, was Schüler in ersten Umfragen nicht eben goutierten. Es ist davon auszugehen, dass eine geringe Wahlbeteiligung junger Leute von den üblichen Verdächtigen nicht als Desinteresse oder Bocklosigkeit gedeutet wird, sondern als berechtigter Frust über die „Perspektivlosigkeit“ der Jugend. Und das, obwohl DU HAST DIE MACHT so engagiert das politische Bewusstsein fördern will, selbstverständlich mit öffentlichen Geldern. Immerhin hat „Drob Dynamic“ was davon, kann den verständnisvollen Schlaffis von der Landesmedienanstalt seine Skills zeigen und „RAPutation“ einsacken, indem er Merkel die Leviten liest („Hör zu und schweig!“).

„Jede Gesellschaft hat seine (sic!) eigene Jugend verdient“, stammelt der Kreuzberger Rapper mit serbischem Migrationshintergrund. Das stimmt. Gilt allerdings genauso für ihre Verständnishuber.

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