Vera Lengsfeld / 10.03.2012 / 11:19 / 0 / Seite ausdrucken

Freiheit, die sie meinen

Zwölf „namhafte Vertreter“ der „kirchlichen Opposition“ hielten es für nötig, sich gegen den Bundespräsidentenkandidaten Joachim Gauck in Stellung zu bringen.
Warum sie sich mit ihrer Überschrift „Freiheit, die wir meinen“ ausgerechnet an Jörg Haiders Buchtitel „Freiheit, die ich meine“ angelehnt haben, bleibt ihr Geheimnis. Peinlich ist, dass sie ihrem Statement besonderes Gewicht verleihen zu wollen, indem sie ihre Dr.h.c’s zur Schau stellen.
Die meisten der elf Unterzeichner kenne ich als redliche Aktivisten der DDR-Opposition, auch wenn der eine oder die andere hin und wieder versucht haben, allzu weitgehende Vorhaben, wie etwa einem Seminar über Menschenrechtsfragen in der DDR 1986, abzubiegen.
Die Gauck-Kritiker sind ausgewiesene Linke. Damit repräsentieren sie nur einen kleinen Teil der Oppositionsbewegung der DDR,  die alles andere als homogen war. Ihre Stärke war, trotz unterschiedlicher Auffassungen erfolgreich zusammen gearbeitet zu haben. Die Toleranz anderer Meinungen war dafür die Grundbedingung. Die Autoren der „Erklärung“ gegen Gauck gehören zu jenen , die eine demokratisierte DDR auch dann noch wollten, als klar war, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keine weiteren Experimente, sondern die Vereinigung ohne Wenn und Aber anstrebte. Ihre Enttäuschung darüber ließ manche der Unterzeichner schon 1994 zu aktiven Unterstützern einer indirekten Regierungsbeteiligung der SED-PDS in Sachsen-Anhalt werden. Trotz der inzwischen zwanzigjährigen Erfahrung, dass es in den Neuen Ländern genau dort am schlechtesten voran geht, wo die ehemalige DDR-Staatspartei in der Regierung war oder ist, gilt ihre größte Sorge dem Antikommunismus von Gauck. Sie nehmen ihm seine Sozialismuskritik übel , weil sie die Idee retten wollen.
Freiheit soll nach Wunsch der Anti- Gauck Autoren nicht etwas sein, dass sich der Einzelne erkämpfen kann. Individuelle Freiheit wird von ihnen als „Selbstermächtigung“ denunziert. Nein, Freiheit soll häppchenweise zugeteilt werden, je nach „Verfassung der Freiheit“, deren Voraussetzungen „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ sein sollen. Wie weit das gefasst wird, macht ein Interview klar, das Friedrich Schorlemmer parallel zur „Erklärung“ dem „Freitag online“ gab. Dort behauptet er allen ernstes, dass wer von Freiheit redet, auch vom „Wasser“ und vom „Wetter“ reden müsse. Wer die Freiheit aber vom unbeeinflussbaren Wetter abhängig macht, will keine Freiheit des Individuums, sondern eine „Freiheit“ deren Grenzen von einer h.c.- Elite bestimmt wird.
Das hatten wir schon mal und genau das wollte die Mehrheit 1989 nicht mehr.
Die Autoren sind geistig in den 80er Jahren stecken geblieben, im beschränkten Horizont derer, die hinter der Mauer saßen. Ihr Forderungskatalog, der im Kalten Krieg seine Berechtigung hatte, ist heute nicht nur antiquiert, sondern kontraproduktiv. Wer ernsthaft behauptet, es ginge um Brot in einer Gesellschaft, in der es Kuchen für alle gibt, ignoriert die Umwälzungen der letzten zwanzig Jahre. Tatsächlich ist in unserem Land nicht Armut, sondern Wohlstandsverwahrlosung das verdrängte Problem.  Der ausufernde Versorgungsstaat, der längst nur noch mit Krediten finanzierbar ist, bedroht die Grundlagen unserer Gesellschaft. In dieser Situation können Eigenverantwortung und Selbstbestimmung gar nicht überbetont werden. Wir haben nicht zu viel Freiheit, sondern das Problem, dass Freiheit schleichend zugunsten von immer mehr Umverteilung eingeengt wird. Deshalb ist ein Bundespräsident, der die Bürger ermutigt, ihr Schicksal nicht aus der Hand zu geben, der Eigenverantwortung stärken will und darauf hinweist, dass die alten kommunistischen Umverteilungskonzepte keine Lösung für unsere Probleme sind, ist genau das, was unser Land braucht. Linksintellektuellen mit Hang zur Volkserziehung wird er missfallen. Aber die Zustimmung der Bürger, die mit ihrem Fleiß, ihrer Initiative und ihrem Engagement unsere Gesellschaft am Laufen halten, ist ihm sicher.

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