Längst gibt es in Deutschland einen Kanon von Äußerungen, die man besser unterlässt, um nicht geächtet oder gar strafrechtlich verfolgt zu werden. Herr Plasberg hat sich unlängst live in “Hart aber fair” verbeten, dass man die Kanzlerin weiterhin als “Mutti” bezeichnet, denn das sei “nicht mehr witzig”. Es wird stillschweigend akzeptiert, dass Teile unseres Wortschatzes zu Unworten erklärt werden. Ja es gibt sogar immer wieder Forderungen, das Leugnen (z.B. der anthropogenen Erderwärmung) unter Strafe zu stellen! Immer dann, wenn sich das irgendwie mit dem grassierenden Ungeist der political correctness, die nichts anderes als eine ängstliche Heuchelei darstellt, begründen lässt, kann man erleben, dass die elektronischen und Printmedien sich auch danach richten und an diesem Kanon eifrig mitwirken. Das Gegenstück, die “politisch korrekte” Denunziation des Gegners als irgendwie “populistisch”, “national” oder gar “deutsch” (auch ohne Schwenken einer schwarz-rot-goldenen Fahne!), scheint derweil in Mode gekommen zu sein. Die Empörungsreflexe klingen stereotyp und gehen als “artig” durch, selbst wenn sie beleidigend oder verletzend und ungerecht sind; sie müssen nur in den Zensurkanon passen. Gleichzeitig hat sich in der kleinen satirischen Nische des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine neue Gattung der politischen Schmäh-Comedy (Heute-Show, Anstalt) entwickelt, die konsequent einseitig und propagandistisch wirkt. Die Kunstform der Satire ist kaum noch anzutreffen. Das Niveau ist erwartbar niedrig, die Einschaltquoten entsprechend hoch. Ich kann mich nicht erinnern, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen jemals eine so unterirdische, explizit obszöne Schmähung wie die des Herrn Böhmermann ausgestrahlt wurde! Die Satire, wenn es sie als Kunstform und Institution geben würde, würde sich dagegen wehren, nun als Deckmäntelchen für den Kontrollverlust eines Entertainers herhalten zu müssen. Rede- und Meinungsfreiheit hin und her: Es wäre mehr als merkwürdig, wenn das Staatsfernsehen und die Bundeskanzlerin jetzt so tun würden, als handele es sich bei Böhmermanns Attacke gegen Erdogan nicht um eine Staatsaffäre! Mit Satire und Tucholsky hat das Ziegenf…..-Gedicht absolut nichts zu tun. Ich stelle mir gerade vor, wie man über Meinungs- und Satirefreiheit diskutieren würde, hätte sich Böhmermann mutig für ein äquivalentes Merkel-Bashing entschieden…
Frauz Merkel rief in der Türkei an, damit Sultan Erdogan NICHT ein Strafverfahren nach §103 StGB anstrengt. Denn das verliert Herr Böhmermann. Und das wäre noch peinlicher für die Bundesrepublik: Erst Erdogan etwas vom Grundrecht der Meinungsfreiheit (z.B. Art. 5 Abs.1 GG) zu erzählen - und dann zähnekniorschend den Absatz 2 des Art 5 GG anwenden müssen: “(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.”
In der Wiener “Die Presse” waren vor ein Paar Wochen zwei interessante Nachrichten zu lesen. Die erste: Bei einer Pressekonferenz hat Erdogan eine Journalistenfrage nach den Vorteilen des von ihm angestrebten Präsidialsystem etwa mit den Worten verteidigt : In Deutschland vor dem zweiten Welkrieg hat dieses System sehr gut funktioniert. Die zweite: Erdogan hat gesagt, wir waren einmal vor den Toren Wiens, es ist an der Zeit, daß wir dorthin wieder kommen. Was die Spielregel betrifft, ist er sicher sehr flexibel.
Herr Weimer, wie immer finde ich auch diesen Beitrag wieder hervorragend. Hervorragend in der Bestimmtheit, aber auch in der Ausgewogenheit. Warum in aller Welt, wird hier eine Satire derart runtergemacht, die wohl kaum schlimmer ist, als die Karikaturen von Charlie Hebdo. Der Unterschied: Hier wurde eine Person aufs Korn genommen, dort eine Religion. Bei Charlie Hebdo war die Presse- und Meinungsfreiheit unantastbar. Nicht so beim Erdogan-Gedicht. Dem Türken-Pascha hat sich Merkel untertänigst vor die Füße geworfen. Sie meint ihn ja noch zu brauchen, wegen ihrer verfehlten Flüchtlingspolitik. Relativismus ist ohnehin das negative Kennzeichen Merkels. Der Relativismus scheint sich aber schon weiter gefressen zu haben. Ein Lars Reichow (Mainz wie es singt und lacht) verurteilte in einer Kolumne in der MAZ das Erdogan-Gedicht aufs Schärfste. Der Lars Reichow, der in der Mainzer Fastnacht-Sitzung derart unflätig und beleidigend über die Polen und ihren Präsidenten vom Leder gezogen hat, legt als Kaberettist auch zweierlei Maßstäbe an. Man hat sich angepasst. Leider.
Klass Artikel, der das ganze Dilemma sehr gut auf den Punkt bringt. Merkels Politik hat Deutschland unnötig in schwere See gebracht
Es ist mühsam über Merkel zu resümieren, warum sie jenes tut und dieses lässt. Die ganze Diskussion ist quälend, bleiern, komplett entsaftet, das ist die aktuelle deutsche Politik. Die CDU als Partei ist merkwürdig müde, das neue Deutschland halt. Das Land wirkt schläfrig, reduziert, es ist und gibt sich zunehmend alternativ- und perspektivlos. Es scheint gerade so, als ob der Feinstaub im Lande eine Psychopharmaka enthielte, ein Beruhigungsmittel halt, das die Funktionen des zentralen Nervensystems dämpft. Doch die Gründe, warum das so ist, muss man nicht bei den Tranquilizern suchen.
Das DDR Gehabe dieser Kanzlerin geht schon viel zu lange und ist mittlerweile unerträglich geworden. Noch unerträglicher ist das Verhalten des Herrn Gabriel und seine SPD, die zu all dem schweigt und es eigentlich in der Hand hätte, durch ein Mißtrauensvotum zumindest ein Zeichen zu setzen. Aber nichts geschieht, gar nichts. Dann sollen sie auch verschwinden nach der nächsten Bundestagswahl, aber bitte ohne Pensionsansprüche und Übergangsgelder. Sollen sie sich auf dem freien Arbeitsmarkt um tun, wie der Bürger.
Nun, Herr Weimer, abgesehen davon, dass ich die Machwerke des “Satirikers” Böhmermann unterirdisch finde, haben Sie es exakt auf den Punkt gebracht. Es scheint, ich habe mich in Ihnen verschätzt. In div. Talkrunden wirkten Sie auf mich eher, als wollten Sie “kein Wässerchen trüben”. Danke für die klaren Worte. Zur Kanzlerin erübrigt sich jeder Kommentar; was diese Frau anfasst, ist perdu.
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