Vera Lengsfeld / 02.04.2017 / 16:28 / 7 / Seite ausdrucken

Kleinod und Versuchsfeld: Eine Metropole in der israelischen Wüste (1)

Selten habe ich so gut geschlafen wie hier in der Wüste. Nach dem Aufstehen musste ich mir ein paar Sachen besorgen, denn schon am Nachmittag hatte ich einen Auftritt in der Ben Gurion-Universität. Meine Gastgeberin fuhr mich zum Einkaufszentrum des Ortes, vorbei an drei Schulen. In Metar leben mehr (jüdische) Kinder und Jugendliche als Erwachsene. Als wir unser Ziel auf einer Anhöhe erreichten, von wo sich ein weiter Blick auf die Westbank öffnete, sah ich als erstes, dass der Grenzzaun durch eine Mauer ersetzt worden war.

Auf der Straße zum Grenzkontrollpunkt herrschte lebhafter Verkehr. Jeden Morgen kommen die Palästinenser, um in Israel zu arbeiten. Sie fahren mit ihren Autos bis zur Grenze, die sie zu Fuß überqueren müssen. Auf der anderen Seite steht eine meist von Beduinen betriebene Fahrzeugflotte, mit der die Grenzgänger zu ihren Arbeitsstellen gefahren werden. Wer in Metar einen Job hat, ist auf Fahrzeuge nicht angewiesen. So wurde der Grenzzaun immer löchriger, weil jeder bestrebt war, den kürzesten Weg zu wählen. Das ist nun vorbei. Metar wächst schnell. Nun gibt es ein Baugebiet, das sich in Richtung Grenze hinzieht. Die Häuser müssen aber eine Schussweite von der Mauer entfernt bleiben. An einem der nächsten Tage werde ich das Grenzgebiet näher erkunden.

Der Unicampus ist ein Traum

Heute muss ich nach Beer Sheva, neben Hebron die älteste Stadt Israels. Der Ortsname geht zurück auf Abraham. Der biblische Stammvater soll hier einen Brunnen gegraben und mit dem Philisterkönig Abimelech einen Bund zur Nutzung geschlossen haben. Beer Sheva heißt sowohl Sieben- als auch Eidbrunnen. Was lange ein verschlafenes Provinznest war, ist heute eine schnell wachsende Metropole, Israels sechstgrößte Stadt. Vielleicht ihre jüngste, denn das Stadtbild wird in erheblichem Maße von Studenten geprägt, die an der immer noch größer werdenden Ben Gurion-Universität studieren. Die Forschungsinstitute der Universität zählen zu den renommiertesten der Welt. Deshalb haben sich rund um das Unigelände Hightech-Unternehmen wie Satelliten angesiedelt. Mein Begleiter Chaim Noll, der vor über zwanzig Jahren hierher kam, weist mich immer wieder darauf hin, dass er damals überall noch Sand gesehen hat, wo heute hochmoderne Gebäude stehen. Eine wunderschöne, kühne weiße Brücke verbindet den Hightech-Gelände mit der Universität.

Das moderne Beer Sheva ist architektonisches Kleinod und Versuchsfeld zugleich. Ich glaube sofort, dass man nirgendwo in Israel so viele ungewöhnliche Gebäudekonzepte auf einmal bestaunen kann. Sie haben eines gemeinsam: Innenhöfe und Häuserschluchten sind so konstruiert, dass sie vor den häufigen Sandstürmen schützen und Schatten spenden.

Der Unicampus ist ein Traum: Es gibt Wiesen, Kolonnaden aus weißem Sandstein, sogar einen künstlichen Bach, schattenspendende Bäume und Blumen. Man sieht unter den Studenten auch Beduinenmädchen, die zum Teil direkt aus dem Zelt ihrer Familie kommen und oft gegen den Widerstand ihrer Familie hier studieren. Auch in meiner Veranstaltung sollte eine von ihnen sitzen. Ich hätte sie gern gefragt, was sie am Thema „Wachsender Antisemitismus in Deutschland und Europa" interessiert, aber sie war am Ende zu schnell verschwunden.

Politiker verzocken wertvolles Vertrauen

Mir wurde gesagt, dass vergleichsweise viele Studenten zu meinem Vortrag gekommen seien. Immerhin waren fast alle Plätze besetzt. Die Diskussion war jedenfalls sehr lebhaft. Zu meiner Überraschung wurde ich gefragt, ob ich mit Deutschland nicht zu hart ins Gericht gehe. Ich hatte am Ende von der verdienstvollen Recherche Anabel Schunkes über Antisemitismus in der Rapperszene und das Einsickern antisemitischer Zerrbilder in Fernsehsendungen wie „Tatort“ berichtet. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie positiv das Deutschlandbild in Israel immer noch ist. Ein Vertrauenskapital, das von unseren unfähigen Politiken verzockt wurde.

Noch profitieren wir von diesem positiven Bild. Israel bildet viel mehr Hightech-Studenten aus als es beschäftigen kann, trotz der vielen Firmengründungen. Viele Studenten gehen noch nach Deutschland, besonders nach Berlin, wo sie mit der Gründung von Unternehmen zu einem Wirtschaftsaufschwung beigetragen haben, über dessen Ursachen sich die meisten Berliner im Unklaren sind. Was wird, wenn diese jungen Unternehmer beginnen, sich unsicher zu fühlen, weil der importierte Antisemintismus im Alltag zunehmend spürbar wird? Mark Gelber, der mich in die Uni eingeladen hat und ein großer Deutschland-Freund war, würde nun nicht mehr auf Berlins Straßen seine Kippa tragen.

Beim abendlichen Gespräch mit Chaim und seiner Frau Sabine stellen wir fest, dass Deutschland auch in Bezug auf Israel ein tief gespaltenes Land ist. Es gibt unverbesserliche Israel-Feinde und begeisterte Israel-Freunde. Dazwischen ein weites Feld mit zu vielen Leuten, die Juden und Israel ablehnen oder einfach nur gleichgültig sind.

Einer der Israel-Freunde war der deutsche Unternehmer Heinrich Otto Deichmann, der die Ben Gurion-Universität großzügig unterstützt und ganze Forschungseinrichtungen finanziert hat. Seine Tochter Ute hat sich entschieden, ganz nach Israel zu ziehen, hat hier spät geheiratet und unterrichtet heute als Professorin an der Uni.

Unter meinen Zuhörern waren auch junge Deutsche, die sich entschieden haben, in Israel zu leben. Der Hauptgrund ist wohl, dass Israel ein entspanntes, erwachsenes Land ist, während Deutschland zunehmend in den Infantilismus abgleitet.

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Leserpost

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Werner Lange / 03.04.2017

Herr Regensbacher, nach meiner Einschätzung ist die Zahl der “Israelfreunde” in D weitaus geringer als die ausgemachten “Israelfeinde”, nach meiner persönlichen Einschätzung sind es, wenns hoch kommt, <20% Israel-Freunde, 50% Israel-Feinde und >30% “Mir-ist-Israel-egal”. Dieses außerordentlich schöne Land, von der ersten Minute angefeindet, hat sich auf eine Art und Weise entwickelt die ich nur als “wunderbar” bezeichnen kann.

Wolfgang Kaufmann / 03.04.2017

Die Frage ist heute nicht mehr die nach dem Antisemitismus der Deutschen. Die Frage ist, warum eine politische Seite Hunderttausende von Multiplikatoren ins Land holt. Nur wegen der Gleichung USA = Kapitalismus = Rothschild-Sachs? Oder welcher Schoß ist hier noch fruchtbar?

Claire Grube / 03.04.2017

Herr Regensbacher, ich glaube Sie haben den Artikel nicht ganz verstanden. Man muss nicht immer mit dem Vorschlaghammer hantieren, wenn es auch subtil geht. Und dass Frau Lengsfeld nicht auf einer Linie bleiben kann, auf der Sie nie gewesen ist, sollte auch klar sein.

Stephan Jankowiak / 03.04.2017

Hallo Herr Regensbacher, Frau Lengsfeld schreibt doch explizit “. . .  weil der importierte Antisemintismus im Alltag zunehmend spürbar wird?”. Sie nennt das Kind beim Namen und verschweigt nichts.

Annegret Ernst / 03.04.2017

Ich habe sehr wohl den Eindruck, daß der Haß und die Verachtung auf Juden wieder steigt. Auch Dank der linken Anti-Israel-Propaganda. Wer zur Intelligenz gehört, sollte schon gegen Israel sein, israelische Produkte nicht kaufen( das neue: Kauft nicht bei Juden) Selbst im normalen, alltäglichen Gespräch ist eine gut verdeckte Abwehr gegen Juden zu erspüren. So meinte eine Bekannte, welche praktizierende Christin ist: Na ja, die Juden haben ja schon immer Geldgeschäfte gemacht. In dem Kontext: die anderen ( Nichtjuden) haben in dieser Zeit gearbeitet. Die Judenverachtung schwelt in gut bürgerlichen Kreisen , die sich nicht einer extremen Richtung zuordnen lassen, ganz knapp unter der Oberfläche. Von den muslimischen , lautstarken Forderungen, „Juden ins Gas“, den Aufrufen der BDS, israelische Waren zu boykottieren, mal abgesehen. Und die Politikerkaste schweigt und kehrt diese Auswüchse des alten Judenhasses permanent unter den Teppich. Denn sich für Juden und Israel tatsächlich einzusetzen, kann inzwischen fatale Folgen haben.

Hein Tiede / 02.04.2017

Otto Regensbacher: Frau Lengsfeld verschweigt die Islamisierung Deutschlands nicht und auch nicht den damit einhergehenden Antisemitismus. Das war in diesem Beitrag nur nicht ihr Thema. Vor zwei Jahren war ich in Beer Sheva und war beeindruckt von der Universität, den Häusern, der Landschaft und auch dem Museum der Luftwaffe Israels. Ich freue mich über die Unterstützung Deichmanns. Das hatte ich nicht gewusst.

otto regensbacher / 02.04.2017

Ich schätze zwar die Artikel von Frau Lengsfeld durchaus. Doch bei dieser Betrachtung geht sie wohl etwas zu weit. Dass es in Deutschland Menschen gibt, die Juden “nicht mögen”, das wissen wir alle. Aber nicht immer sind das Deutsche und vor allem Deutsche ohne Migrantenhintergrund. Aber leider bleibt da Frau Lengsfeld brav auf der Linie unserer Regierenden in Berlin. Es darf nämlich nicht der Eindruck entstehen, dass viele Migranten aus islamischen Ländern “gefährliche Judenhasser” sind. Es ist eben allemal leichter, diese Dinge zu verschweigen!

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