Marko Martin
Was für ein Jammern und Händeringen: Bitte alles, “nur keinen neuen Kalten Krieg”! Ein ganzes Heer von Ostexperten, sekundiert von nach wie vor stramm moskautreuen Politikern der Linkspartei, bastelt nun seit Tagen an dieser Angstkulisse, denn: Wer möchte schon einen Krieg riskieren?
Dass sich beide Szenarien logisch ausschließen, scheint dabei kaum aufzufallen. Gerade nämlich der einstige Kalte Krieg verhinderte einen heißen Krieg – und wurde 1989 vom Westen gewonnen. Auch wenn es die Amnesie-Seligen der Gegenwart nicht gern hören: Es war damals Stalins Reich gewesen, das sofort nach Weltkriegsende expandierte und ganze Staaten zu Vasallen machte.
Winston Churchill hatte in seiner berühmten Fulton-Rede von 1946 für das beunruhigende Geschehen den prägenden Begriff popularisiert: Ein “Iron Curtain”, ein Eiserner Vorhang, senke sich gerade herab und lasse die dahinter liegenden Länder Ost- und Mitteleuropas im Dunkel verschwinden.
Wie perfide der Kreml-Herrscher damals vorging – im jüngsten Buch der amerikanischen Historikerin Anne Applebaum (der Ehefrau des polnischen Außenministers Radek Sikorski) ist es ebenso nachzulesen wie in Pavel Kohouts vor einigen Jahren erschienenem Politthriller “Die Schlinge”, welcher die Hintergründe des Prager Kommunisten-Putschs vom Februar 1948 ausleuchtet.
Denn auch wenn es inzwischen selbst in manch bürgerlichen Kreisen nicht mehr en vogue ist, daran zu erinnern: Der Kalte Krieg war nicht nur der Konkurrenzkampf zweier Systeme, hier standen sich auch totalitäre Macht und demokratisches Gedächtnis gegenüber.
Was einst Dissidenten wie George Orwell, Arthur Koestler, Manés Sperber, Milan Kundera oder Jürgen Fuchs aus dem Inneren des Zwangssystems berichteten, findet nun heute seine Fortsetzung in den schockierenden Zeitzeugentexten einer Swetlana Alexijewitsch oder der jungen Ukrainerin Tanja Maljartschuk. Was damals “Samisdat”-Broschüren und Sendungen von Radio Free Europe waren, sind nun Facebook-Postings und Twitter-Nachrichten – gut so!
Freilich mit einem Unterschied: Die Tyrannen-Kritiker der Gegenwart müssen sich den argen Weg zur Erkenntnis gar nicht mehr erst innerlich freikämpfen – im Unterschied zu ihren Vorgängern hatten sie ja niemals Illusionen über die wahren Absichten der Herrschenden gehegt.
Was jedoch berührt, ist die Kontinuität eines emanzipatorischen Aufbegehrens, das die Kampfansage des Regimes ernst nimmt, ohne sich durch das wohlfeile “Wir müssen differenzieren”-Gemurmel der westlichen Salons irre machen zu lassen.
Wiederkehr des Immergleichen: Schon Genosse Walter Ulbricht hatte einst “den Mann, der den Kalten Krieg erfunden hat” ausgemacht – ausgerechnet in der Person des jüdisch-amerikanischen Publizisten Melvin Lasky, dessen West-Berliner Zeitschrift “Der Monat” ab 1948 die Vorgänge hinter dem Eisern Vorhang analysierte – mit Autoren wie Willy Brandt, Ernst Reuter, Hannah Arendt, Albert Camus und François Bondy.
Denn der kälteste aller Kriege – Lüge, Repression, Vorenthalten bürgerlicher Rechte –, er wurde und wird ja im Inneren der Diktaturen und jetzigen Halb-Demokratien in Moskau und Minsk geführt, von der Regierung gegen die eigene Bevölkerung. Wer in unseren Tagen auf diesen simplen Fakt hinweist, muss sich zwar weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, er verfalle in Kalte-Krieg-Rhetorik.
Man sollte der Anschuldigung dennoch gelassen begegnen: Waren mit solcher “Haltet den Dieb”-Rhetorik nicht bereits die Proteste gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und die Verhängung des polnischen Kriegsrechts als “friedensgefährdend” denunziert worden?
Ankläger expandierender Diktaturen können also durchaus in die Offensive gehen, anstatt sich ängstlich-dialogisch abzusichern – was übrigens auch verlorene Liebesmüh wäre. Bezahlte Lobbyisten vom Schlage eines Gerhard Schröder werden sich davon nämlich ebenso wenig beeindrucken lassen wie der redselige Altkollaborateur Egon Bahr, der nun in allen Medien noch einmal seine große Appeasement-Stunde hat – ganz wie vor 1989, als er die osteuropäischen Dissidenten der Kriegstreiberei verdächtigte und die damaligen Partei-Regimes für Stabilitätsanker hielt.
Wenn die angemessene Rede über die Verfasstheit des Kalten Krieges also sehr viel mit Erinnerungsgenauigkeit zu tun hat, sollte man freilich auch souverän genug sein, unbequeme Fakten nicht zu kaschieren.
Denn so notwendig die westliche Strategie des “Containment”, eines Eindämmens sowjetrussischer Expansion, und die Sorge vor “Dominoeffekten” auch war: Nicht nur bei den Gräueln des Vietnamkrieges, auch in Stellvertreterkriegen und bei der Unterstützung faschistischer Regime in Lateinamerika war sich der Westen untreu geworden und hatte die eigenen Werte schmählich verraten.
Euphemismus sollte sich angesichts dieser tristen Tatsache verbieten, ebenso jenes pseudoclevere Sandkastenspiel “Der Feind meines Feindes ist mein Freund”, das schon immer das Entrée für noch größere Desaster war. Auch jener früheren Schein-Logik, nach der jeder Linksdemokrat im Westen ein verkappter Einflussagent des Ostens sei, braucht man keine Träne nachzuweinen.
Solche Klarheit ist umso nötiger, als die Weichzeichner von heute noch immer mit der These hausieren gehen, damals hätten sich ja “beide Seiten nicht gerade mit Ruhm bekleckert”, sodass der Westen keinen Grund zum moralischen Auftrumpfen hätte – denn was sei schließlich mit McCarthy?
Gewiss: Während die in osteuropäischen Schauprozessen Angeklagten gehenkt wurden, verloren in Hollywood einige Drehbuchschreiber ihren Job. Dabei hatte es eine kommunistische Unterwanderung tatsächlich gegeben.
Als aber die Untersuchungen des hysterischen Senators aus Wisconsin die Grundlage der liberalen Demokratie selbst beschädigten, zog die amerikanische Gesellschaft aus eigener Kraft die Reißleine – ähnlich wie später die einheimischen Massenproteste gegen den Vietnamkrieg mit dafür sorgten, einen Strategiewechsel herbeizuführen.
Von einer Systemgleichheit zwischen Ost und West konnte also dennoch nie die Rede sein. Und während Moskaus Autokrat Putin in Georgien und der Ukraine einmarschiert und innenpolitisch homophobe Gesetze durchpeitscht, ist der Pinochet-Fan und Schwulenverächter Franz Joseph Strauss selbst in der CSU schon halb vergessen.
Wie tönte er einst aus München? “Lieber ein Kalter Krieger als ein warmer Bruder.” Nun, die couragierten Rainbow-Aktivisten und Putin-Gegner von Moskau bis nach Kiew treten gerade den Beweis an, dass man auch beides sein kann, frohgemut, offensiv. Und auch das ist verdammt gut so.