Der DDR-Ministerrat tritt zurück. Das ist der verzweifelte Versuch von Krenz, durch Bauern-, und Damenopfer bei der Bevölkerung Vertrauen zu gewinnen. Der Schritt sollte nicht die gewünschte Wirkung haben.
Das Politbüro beschließt schon wieder eine neue Fassung des Reisegesetzes, die demnächst vom Ministerrat erlassen werden soll. Auch unter Krenz hat die Regierung keinen eigenen Handlungsspielraum.
Der Exodus in den Westen geht weiter. Seit die Grenze zur Tschechoslowakei wieder offen sind, kamen über 50 000 Ausreisewillige über diesen Umweg nach Westdeutschland. Weitere 41 000 warten vor der Grenze. Die Ausreisewelle habe etwas hysterisches, notiert Walter Kempowski in sein Tagebuch. Die Opposition flößt ihm wenig Vertrauen ein. Frau Bohley wirke schüchtern, als ob sie gerade geweint hätte.
Kempowski wundert sich, dass er keinen einzigen der Namen, die jetzt häufiger in den Medien genannt werden, kennt.
Zwanzig Jahre danach kennt man die meisten Namen nicht mehr. Die Zeitungen sind voll mit Berichten über die Ereignisse des 9. November. Zum überwiegenden Teil ist es das, was man früher als Kreml- Astrologie bezeichnete. Es wird genau aufgelistet, was welches Politbüromitglied wann getan und gesagt hat. Dabei war das längst irrelevant, weil die Ereignisse auf der Straße gemacht wurden. Kohl, Gorbatschow und Kohl sind in Berlin. Bild hat die drei vor Mauerelementen fotografiert, als wären sie die entscheidenden Personen beim Einsturz gewesen. Kohl sitzt im Rollstuhl und wirkt zerbrechlich. In den Talksendungen kommen überwiegend Schauspieler und Kabarettisten zu Wort, die der DDR immer noch nachtrauern. Kaum jemand würdigt die Rolle der Menschen, die vor zwanzig Jahren Geschichte gemacht haben.