Die ungarischen Zeitungen haben heute nur ein Titelthema: am Vortag, als vom Obersten Gericht beschlossen wurde, die hingerichteten Führer des ungarischen Volksaufstandes vom Vorwurf des Landesverrats freizusprechen und als Patrioten anzuerkennen, stirbt Janos Kadar, der Mann, der für die Hinrichtungen verantwortlich war. Bei dem Ex-Parteichef handelte es sich um eine der widersprüchlichsten Persönlichkeiten im Ostblock. Als Innenminister war er für die Verhaftung seines Parteifreundes Laszlo Rajk verantwortlich, wurde dann seinerseits denunziert, verhaftete und gefoltert wegen angeblicher Unterstützung Titos, des jugoslawischen Abweichlers von der Stalin-Linie.
Im Jahre 1953 wurde er von der Regierung Imre Nagy freigelassen und rehabilitiert. Zum Dank dafür beteiligte er sich an der Niederschlagung des Volksaufstandes indem er um sowjetische „Waffenhilfe“ bat und bildete eine Gegenregierung zur Regierung Nagy. Von 1956 bis 1988 war er Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, zeitweilig auch Ministerpräsident von Ungarn.
Einen Tag nach seinem Tod widerruft der Warschauer Pakt die „Breschnew- Doktrin“ über die eingeschränkte Souveränität der Ostblockstaaten. In Zukunft sind „Waffenhilfen“ der Bruderländer bei innenpolitischen Angelegenheiten nicht mehr möglich. Dem Zusammenwachsen Europas steht nichts mehr im Wege. Wieder wurde die Bedeutung des Beschlusses im Westen nicht verstanden.