Vera Lengsfeld / 06.07.2009 / 14:31 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009-6. Juli

Ungewohnter Besuch in Bonn: statt der polnischen Kommunisten erscheint der frisch gewählte Fraktionsvorsitzende der Solidarnosc im Sjem Bronislaw Geremek zu Wirtschaftsverhandlungen. Die Bonner Politiker sind etwas verunsichert. Sie haben es mit dem Vertreter einer Organisation zu tun, die vor wenigen Wochen noch verboten war und als unberührbar galt. Auch die Medien hängen diesen Staatsbesuch ganz tief. „Bild“ beschäftigt sich lieber mit dem verschämten Geständnis von Spitzensportlern, zu rauchen. Das „Neue Deutschland“ berichtet um so intensiver über Staatschef Honeckers neuesten Besucher. Alvaro Cunhal, der Vorsitzende der Portugisischen kommunistischen Partei ist Honeckers Bruder im Geiste. Er lehnt Glasnost und Perestroika vehement ab und versucht,  in seiner Partei jeden Gedanken an Reform zu unterbinden. Vielen gilt er als letzter Stalinist Europas. Honecker wird der Gedankenaustausch mit dem verknöcherten Hardliner gut getan haben. Genutzt hat es ihm freilich nichts.

In der aktuellen Ausgabe von „eigentümlich frei“ findet sich ein bemerkenswerter , nachdenklicher Artikel von Klaus Rainer Röhl über die Gewaltbereitschaft der 68er.  In „Niemand skandierte Ga- Ga- Ghandi“ Röhl zeichnet nach, wie die Gewalt erst mit Worten hoffähig gemacht wurde, bevor sie zur materiellen Gewalt wurde. Er bekennt sich mit beispielhafter Offenheit zu den eigenen Fehlern, etwa als Herausgeber einen verständnisvollen Artikel über die Hinrichtung deutscher Ärzte durch die Vietcong mitverantwortet zu haben. Die stille Akzeptanz von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen ist bis heute ein großes Problem. In den Berichten über die linksterroristischen Randalen am 1. Mai in Berlin und mehr über die jüngsten Krawalle in Hamburg wurde immer wieder mit Empörung auf gänzlich unpolitische Mitläufer verwiesen, die „kein Anliegen“ hätten. Als ob ein „Anliegen“ das Werfen von Brandbomben auf Menschen akzeptabler machte. Die linksradikale Gewalt hört seit Jahren nicht auf, weil sie sich offensichtlich einer gewissen Nachsicht bei den Behörden erfreut. Wie anders wäre denn die extrem niedrige Aufklärungsquote zu deuten? Die auffällige Zurückhaltung der Justiz, linksradikale kriminelle Delikte zu verurteilen? Zur Zeit kann man nur in den Verfassungsschutzberichten nachlesen, dass die linksradikale Gewalt ein viel größeres Problem ist, als die Rechtsradikale. Kann das daran liegen, dass rechtsradikale Gewalttaten mit drastischen Strafen geahndet werden, linksradikale aber nicht? Mir ist noch aufgefallen, dass gerätselt wird, warum die linke Szene nicht ausgetrocknete , nachdem die Finanzierung durch die DDR weggefallen ist. An Finanznot leiden die Autonomen jedenfalls nicht, wie die neueste Hochglanzbroschüre, die zur Gewalt gegen Soldaten aufruft,  beweist. Heute muss Steuergeld dafür herhalten, was früher durch die DDR-Machthaber finanziert wurde. Staatliche Fördermittel fließen an Dachverbände, die nach eigenem Gusto, ohne darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, das Geld an „Initiativen“ weiter reichen. Am Ende wird wieder Steuergeld gebraucht, um die Gewalt einzudämmen, bzw. die Folgeschäden zu beseitigen. Auf diese Weise werden jährlich hunderte von Millionen verbrannt, die für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Ein Hoffnungsstreifen am Horizont ist nur, dass die Linksterroristen auf immer weniger Resonanz bei der Bevölkerung stoßen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 21.04.2024 / 10:00 / 34

„Der General muss weg!” Der Fall Siegfried Buback

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Vera Lengsfeld / 28.12.2023 / 10:00 / 124

Wolfgang Schäuble – Tod einer tragischen Figur

Wolfgang Schäuble, die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com