Vera Lengsfeld / 04.06.2009 / 10:34 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009-4.Juni

In Leipzig findet nach einem Umweltgottesdienst der zweite Pleißegedenkmarsch statt. Es gehört zu den weitgehend vergessenen Tatsachen, dass die DDR das umweltverschmutzteste Land in Mitteleuropa war. Der größte Teil der fließenden Oberflächengewässer war biologisch tot, vor allem wegen der ungeklärten Industrie-, und Haushaltsabwässer, die in die Bäche und Flüsse geleitet wurden. In Leipzig machte sich der Gestank der Pleiße besonders dort bemerkbar, wo er der Fluss durch innerstädtische Parks floss. Deshalb haben sich an diesem Sonntag mehr als 500 Menschen versammelt, um auf den jämmerlichen Zustand ihres Flusses hinzuweisen. Die meisten Teilnehmer sind weiß gekleidet. Es gibt nur vereinzelte Plakate. Jeder weiß, worum es geht, auch die Staatssicherheit, die alles genau beobachtet und nach der Auflösung des Gedenkmarsches besonders Jugendliche in Nebenstrassen anhält, um ihre Ausweise zu kontrollieren und Meldung an die Bildungseinrichtungen zu machen, wenn es sich um Oberschüler oder Studenten handelte. Die Stimmung ist angespannt, denn am Morgen waren die ersten Nachrichten von der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste in China eingetroffen. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens hatte das Kommunistische Regime ein schlimmes Massaker unter den friedlich protestierenden Studenten angerichtet. Am Ende beläuft sich die schreckliche Bilanz auf 3000 und mehr Tote.

In Peking erinnert heute nichts an die Ereignisse vor zwanzig Jahren. Keine Blumen, keine Kränze, schon gar keine Gedenkfeier. Das Regime hat alles getan, um die Erinnerung an das Massaker auszulöschen. Es war damit erfolgreich. Die Eltern reden mit ihren Kindern nicht darüber, aus Angst, die Kinder könnten etwas verlauten lassen und Schwierigkeiten bekommen. Ein Trost ist, dass sich das nicht ewig aufrechterhalten läßt. Die Warschauer durften Während der gesamten kommunistischen Zeit nicht des Warschauer Aufstandes gedenken, in dem die polnische Heimatarmee zwei Monate erbitterten Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet hat. Die Rote Armee stand in Sichtweite von Warschau und hatte den Befehl, den Aufständischen nicht zu Hilfe zu kommen. Erst seit wenigen Jahren gibt es ein viel besuchtes Museum des Warschauer Aufstandes und das Zeichen der Aufständischen, ein P, das auf einem W steht, für kämpfendes Warschau, ist heute in der ganzen Stadt zu sehen. Eines Tages wird es am Tien An Men ein Denkmal für die tapferen Studenten geben. So lange hat die Freie Welt die Verpflichtung, die Erinnerung zu bewahren.

 

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