Die Revolution in der DDR macht Weihnachtspause. Das DDR-Fernsehen überträgt am Heiligabend erstmals die die evangelische Christvesper und die Christmesse des Papstes aus dem Vatikan. Die beteiligten Journalisten und Kameraleute werden es genossen haben, ohne Genehmigung einer Behörde einfach nach Rom fahren und ihre Idee umsetzen zu können.
In Rumänien gehen die Kämpfe auch an den Festtagen weiter.
Ich habe Weihnachten zum zweiten mal in Cambridge gefeiert, diesmal mit Freunden aus der DDR. Sie überreden mich endgültig, meinen Plan, lieber meine Dissertation in Ruhe zu Ende zu schreiben und die Revolution von Ferne zu beobachten aufzugeben.
Habe ich das bereut? Nicht wirklich, denn es war eine einmalig spannende Zeit, weshalb ich dieses Tagebuch, wenn auch in gelockerter Form, mindestens bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März fortführen werde. Vor zwanzig Jahren haben wir uns vom Realsozialismus befreit, nicht aber von den Gefährdungen der Demokratie. Ich habe gelernt, dass Demokratie nie stabil sein kann, sie ist lebendig, weil sie sich ständig verteidigen, zur Not auch neu erfinden muss. Eher zufällig habe ich heute auf der Suche nach der geeigneten Morgenlektüre zu Poppers „Alles Leben ist Problemlösen“ gegriffen und als Weihnachtsgeschenk folgende zwei Abschnitte gefunden, die gut zur gegenwärtigen Klimaauseinandersetzung passen.
Sir Popper definiert Vernunft oder Rationalismus als „Überzeugung, dass wir durch die Kritik unserer Fehler und Irrtümer lernen können und insbesondere durch die Kritik anderer und auch durch Selbstkritik. Ein Rationalist ist einfach ein Mensch, dem mehr daran liegt zu lernen, als recht zu behalten; der bereit ist von anderen zu lernen, nicht etwa dadurch, dass er fremde Meinungen einfach annimmt, sondern dadurch, dass er gerne seine Ideen von anderen kritisieren lässt und gerne die Ideen anderer kritisiert. Der Nachdruck liegt hier…auf der kritischen Diskussion.“
Und für alle, denen die Obamamanie wie mir auf die Nerven geht: Popper betont die „Pflicht der Intellektuellen, „andern dazu zu verhelfen, sich geistig zu befreien und die kritische Einstellung zu verstehen; eine Pflicht, die die meisten Intellektuellen seit Fichte, Schelling und Hegel vergessen haben.“ Statt dessen treten sie „als Führer auf, als Propheten; zum Teil, weil es von ihnen erwartet wird, dass sie als Propheten auftreten- als Verkünder der dunklen Geheimnisse des Lebens, der Welt und des Menschen, der Geschichte und der Existenz. hier, wie so oft erzeugt die ständige Nachfrage leider ein Angebot. Führer und Propheten werden gesucht. Kein Wunder, dass Führer und Propheten gefunden werden. Aber erwachsene Menschen brauchen keine Führer…und erwachsene Menschen sollten auch wissen, dass sie keine Führer brauchen.
Mit dem Wunsch, dass Poppers Worte möglichst viel Gehör finden, wünsche ich allen Lesern ein frohes Fest !