Vera Lengsfeld / 22.11.2009 / 14:14 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 22.-25. November

Das „Neue Deutschland“ zitiert Bundesaußenminister Genscher, der ein „starkes Signal“ an die Länder des Osten fordert. Genscher meint aber die Regierungen, nicht die im Aufbruch befindlichen Völker. Walter Kempowski hat das Gefühl, die „Mechanik der Revolution“ in der DDR sei in eine ruhigere Phase eingetreten. Dabei finden so viele Demonstrationen wie nie statt, mit steigenden Teilnehmerzahlen. Es ist eher eine gewisse Ermüdung bei der Berichterstattung aufgetreten. Die DDR-Organe registrieren dagegen den Druck von der Straße sehr genau und machen weitere Konzessionen: das Oberste Gericht der DDR spricht sich für die Reform des politischen Strafrechts und eine Überarbeitung der Verfassung aus.
In Prag bereichern die Demonstranten ihre friedlichen Ausdrucksmittel um gemeinsames Schlüsselklirren auf dem Wenzelsplatz. Ausgeführt von Zehntausenden gibt das einen nachdrücklichen Klang

23. November

Nachdem die Akademie der Wissenschaften Robert Havemann wieder in ihre Mitgliederliste aufgenommen hat, wird er nun auch von der SED rehabilitiert. Außerdem Rudolf Herrnstadt, Lex Ende und Walter Janka.
Die Volkspolizei bewacht die Entfernung von Malereien auf der Ostseite der Mauer. Walter Kempowski kommentiert: „Es gehört wirklich nicht viel dazu, die Deutschen hassenswert zu finden“
Das „Neue Deutschland“ titelt: „Ohne SED gibt es bei uns keinen Sozialismus“ und meint das beschwörend. Genau deshalb wollen die Demonstranten die SED nicht mehr.
Der frischgebackene Ost-CDU-Chef Lothar de Maiziere spricht sich für eine Konförderation der beiden deutschen Teilstaaten aus. Auch damit ist er hinter dem zurück, was die Mehrheit der Demonstranten will: die schnelle Vereinigung ohne wenn und aber.

24. November

Die Demonstrationen in der Tschechoslowakei zeigen Wirkung: die gesamte Führung der Kommunistischen Partei tritt zurück und macht den Weg frei für Reformen und demokratische Wahlen.
In der DDR drängt die Opposition auf einen Runden Tisch nach polnischem Vorbild. Die Kontaktgruppe der Oppositionsgruppen bittet die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche , eine Einladung zu einem Runden Tisch auszusprechen. Die Opposition ist sich mit der Kirche weitgehend über die Modalitäten einig. die SED oder die Modrow- Regierung werden nicht nach ihrer Meinung gefragt.
Der Ministerrat der DDR beschließt Maßnahmen gegen Schieberei und Spekulation. Niemand hatte bisher davon gehört, dass dies Probleme in der DDR seien. Offensichtlich wappnet sich die Regierung für die Dinge, die da kommen sollen.

25. November

Auf der Demonstration in Plauen wird die erste Forderung nach Wiedervereinigung öffentlich erhoben. die zeit der verdeckten Wünsche und Anspielungen ist vorbei. Das Volk beginnt, Tacheles zu reden.
Die Regierung der DDR zeigt sich nach außen unbeeindruckt. Sie beschließt ein Abkommen mit Österreich über eine Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
In Prag findet die größte Demonstration in der Geschichte der Tschechoslowakei statt. Über 500 000 sind auf dem Wenzelsplatz versammelt.

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