Nachdem Ungarn seine Grenzen für DDR-Flüchtlinge geöffnet hat, wird es immer schwieriger, ein Visum nach Ungarn zu bekommen. Fahren können nur noch diejenigen, die sich rechtzeitig Reisepapiere beschafft haben. Also müssen die Ausreisewilligen ausweichen. Die einzige Möglichkeit, noch unbehelligt die Grenze überschreiten zu können, ist der visafreie Reiseverkehr nach Polen. In Warschau hat sich in den vergangenen Tagen die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland mit Flüchtlingen gefüllt. Jetzt sind die Aufnahmekapazitäten endgültig überschritten. Die Botschaft wird geschlossen.
Das „Neue Deutschland“ berichtet über die akute Wohnungsnot in Westberlin. Bereits 12 000 Westberliner seien ohne Dach über dem Kopf. Die Botschaft heißt: geht lieber nicht in den Westen, denn da werdet ihr auf der Straße landen. Die wenigsten Ausreisewilligen lassen sich von den ND-Parolen beeindrucken. Die SED will, Flüchtlinge zurückzuholen, bzw. Botschaftsbesetzer überzeugen, in die DDR zurückzukehren. Sie setzt dabei wesentlich auf die rhetorischen Fähigkeiten eines alerten Anwalts mit Namen Gregor Gysi.
Gysi, seit 1988 Vorsitzender des Ost- Berliner Rechtsanwaltskollegiums, hatte der SED schon häufiger Dienste geleistet, als Anwalt bekannter Oppositioneller der DDR. Aber auch, wenn er nicht ihr Anwalt war. So versuchte Gysi, mich im Februar 1988, als ich nach dem Willen der Stasi aus dem Gefängnis des MfS in Berlin-Hohenschönhausen in den Westen abgeschoben werden sollte, zu überreden, ohne meine Kinder das Land zu verlassen. Er, Gysi, würde sie mir „an jeden Ort der Welt nachbringen“. Er handelte damit im Sinne eines Maßnahmeplanes der Staatssicherheit, der vorsah, die am Rande der so genannten Liebknecht-Luxemburg-Affäre inhaftierten Bürgerrechtler bis zu einem bestimmten Datum, auf das sich Staatschef Honecker öffentlich festgelegt hatte, abzuschieben. Gysis berühmte rhetorische Fähigkeiten verfehlten bei mir ihre Wirkung. Wie später, als er erfolglos, versuchte, einen geflüchteten Wissenschaftler in Westberlin zu überreden, in die DDR zurückzukehren. Gysi sah das als persönliche Niederlage an. Bei der SED-Führung und der Stasi hat ihm das nicht geschadet. Wegen seiner besonderen Verdienste, und weil Gysi für die DDR im Westen eine gute Figur machte, wurde er mit einer „Daueravisierung“, gültig für die Grenzübergänge Schönefeld und Invalidenstraße belohnt. Die wurde ausgerechnet von Stasioffizier Wolfgang Reuter, der für die Bekämpfung von DDR-Oppositionellen zuständig war, ausgestellt. Im Spätsommer und Frühherbst 1989 war Gysi, oft an der Seite von DDR- Menschenhändler Wolfgang Vogel , in Flüchtlingsangelegenheiten unterwegs.
Gysi konnte zwar die DDR nicht retten, immerhin aber ihre herrschende Partei , die SED, deren letzter Vorsitzender er im Dezember 1989 wurde. In Thüringen schickt sich diese Partei gerade an, der größte Partner in einer Rot-Rot-Grünen Regierungskoalition zu werden. Bodo Ramelow und Gysi gelang es in einer geschickten Inszenierung, den Medien weiß zu machen, Ramelow hätte ohne Rücksprache und trotz des Protestes seiner Partei darauf verzichtet, Thüringer Ministerpräsident zu werden, um eine Koalition eingehen zu können. Ich bin sicher , dass Christoph Matschie der Versuchung nicht widerstehen wird, Ministerpräsident zu werden, auch wenn er wie Medwedjew bei Putin nur der Hampelmann von Ramelow sein wird. Um Thüringen, gar um eine „Erneuerung“ geht es dabei nicht. Es werden aus persönlichem Machtstreben heraus die demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt und damit die Demokratie demontiert. Am Ende wird es sich weder für Matschie persönlich, noch für die SPD auszahlen. Aber der Schaden wird beträchtlich sein.