17. Allmählich beginnen sich die verschiedenen Protestaktionen, die in immer kürzeren Abständen in der DDR stattfinden, zu vernetzen und aufeinander zu beziehen: in der Berliner Gethsemanekirche findet ein erstes Fürbittgebet für die in Leipzig nach dem Montagsgebet inhaftierten Menschen statt.
In Polen begeht man erstmals den Jahrestag des sowjetischen Einmarschs in Teile Polens nach dem Hitler-Stalin- Pakt. Die „Welt am Sonntag“ titelt: „Erstmals greifen Warschaus Kommunisten den Kreml öffentlich wegen Besetzung Polens an“. Dabei werden auch die von den Sowjets begangenen Verbrechen thematisiert.
Präsident Obama hat von daher den schlechtestmöglichen Zeitpunkt gewählt, um den Verzicht der USA auf ein atomares Schutzschild in Europa zu verkünden. Die Polen mussten es als Affront empfinden, dass Obama ausgerechnet am Jahrestag des Einmarsches den Verzicht auf das Atomschutzschild bekannt gab. Der Präsident legt damit eine außenpolitische Instinktlosigkeit an den Tag, die zeigt, wie wenig er sich um die Lehren, die auch die USA aus der blutigen Geschichte des 20. Jahrhunderts ziehen müssten, schert. Einigermaßen grotesk wirkt auch die Begründung: der Iran treibe die befürchtete Entwicklung von Langstreckenwaffen nicht mehr voran. Da wird der geschichtspolitischen Ignoranz noch die Naivität gegenüber einem Diktator draufgesetzt, der gerade durch einen staatstreichartigen Wahlbetrug von sich reden gemacht hat und dabei ist, die Opposition in seinem Land mit Hilfe von Schauprozessen nach stalinistischem Vorbild mundtot zu machen.
18. Noch ein Novum im immer turbulenter werdenden DDR-Alltag: auf ihrer Verbandstagung verabschieden die Unterhaltungskünstler der DDR eine Resolution. Im Text werden Reformen verlangt und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das „Neue Forum“, das nach den Gesetzen der DDR immer noch eine illegale Zusammenrottung ist, verlangten die Künstler die Tolerierung basisdemokratischer Gruppen. Es heißt: Das „Land braucht die millionenfache Aktivierung von Individualität; die alten Strukturen sind offenbar nicht mehr in der Lage dazu.“ Die Unterhaltungskünstler trugen in den folgenden Tagen und Wochen diese Resolution zu Beginn ihrer Konzerte vor und erreichten damit ein Millionenpublikum. Vor diesem Hintergrund wirkt die Schlagzeile des „Neuen Deutschland“ wie Realsatire: „Hohe Leistungen an jedem Tag für bewährten Kurs der Hauptaufgabe“
Wie Realsatire auf die Naivität des amerikanischen Präsidenten beim verzicht auf das Atomschutzschild in Europa wirkt auch die prompte Reaktion von Ahmadinedschad. In seiner Rede anlässlich des „Jerusalem-Tages“ verkündete der iranische Diktator, der Holocaust sei eine „falsche Behauptung, ein Märchen, das als Vorwand für Verbrechen gegen die Menschheit missbraucht“ werde. Aber Ahmadinedschad ist kein Fürstenclown, sondern ein Gewaltherrscher, der nicht zögern wird, alle ihm zur Verfügung stehenden Waffen gegen Israel einzusetzen. Der Westen hat anscheinend immer noch nicht begriffen, dass ein Angriff auf Israel ein Angriff auf seine Lebensgrundlagen bedeutet. Mit Israel würde der Westen seine Zukunft verlieren. Wo bleibt die entschiedene Reaktion der Bundesregierung? Wo die entschlossene Ächtung des Diktators durch die EU? Wo ist der politische Wille, die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel energisch in die Tat umzusetzen?