Vera Lengsfeld / 15.12.2009 / 14:24 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 15. Dezember

Die Welt erfährt vom Tode des sowjetischen Dissidenten Andrei Sacharow, der am Vorabend in Moskau an einem Herzinfarkt gestorben ist. Wenige Wochen vor seinem Tod hatte Sacharow die Errichtung eines Denkmals vor der berüchtigten Ljubljanka, dem Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Geheimpolizei, durchgesetzt. Walter Kempowski notiert, dass er sich bei dieser Gelegenheit erinnere, wie Michael Gorbatschow dem Duma-Abgeordneten Sacharow ins Wort fiel, als der auf die Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion hinwies. Gorbatschow zeigte ihm sogar einen Vogel. Die Gorbi- Manie des Westens konnte diese Szene nicht aufhalten
In der rumänischen Stadt Timisoara verhaftet die Securitate den reformierten Pastor Laszlo Tökes, der seit Wochen in der Sakristei seiner Kirche Zuflucht gesucht hatte. Polizei und Securitate gehen gewaltsam gegen etwa 5000 Demonstranten vor, die zum Schutz von Tökes eine Menschenkette gebildet haben.
In Karl-Marx-Stadt wird beschlossen, dass die Stadt künftig wieder Chemnitz heißen soll.
Im Deutschen Theater in Berlin werden erstmals öffentlich Texte des verstorbenen Regimekritikers Robert Havemann verlesen.

Ausstellungseröffnung im Bundespresseamt am Reichstagsufer 14 in Berlin. Gezeigt werden Fotografien von Angelika von Stocki unter dem Titel: „Der Zerfall der Mauer“. Der Ort könnte passender kaum sein. Noch vor zwanzig Jahren, als sich hier eine Großkantine für die umliegenden Institutionen befand, konnte man aus den Fenstern des in Spreenähe liegenden Gebäudes nicht auf den Fluß sehen. Vom Bahnhof Friedrichstraße, dessen westliche Halle für Ostberliner so unzugänglich war wie der Mond, bis zur Wilhelmstraße, die damals Herrmann-Matern-Straße hieß, waren rechts und links der Spree doppelt mannshohe Sichtschutzwände errichtet, die von Stacheldrahtkronen besetzt waren. Damit sollte verhindert werden, dass Menschen auf die vorbeifahrenden Lastkähne springen, in der Hoffnung, so in den Westen zu gelangen. Die eigentliche Grenze war noch fast einen Kilometer entfernt, war aber hier schon sichtbar. Wo heute die „Ständige Vertretung“ des Bonner Gastwirts Friedel Drautzburg für pralles Kneipenleben sorgt, war damals eine verlassene, tote Ecke. Nichts erinnert heute mehr an diese Obszönität mitten in der Stadt. Von der Mauer ist weniger geblieben als vom Limes. Das finde ich befreiend. Die ausgestellten Fotos dokumentieren ihr Verschwinden und ihre Verwandlung in ein Objekt der Kunst. Ob es gelungene Graffitti ist, die von Stocki in ihren Bildern fest hält, oder die glücklichen Momente, in denen sich die Jugendlichen auf der Mauerkrone aufreihen , wie Perlen auf einer Schnur, stets ist es ein ganz besonderer Blick, der die Aufnahmen so bemerkenswert macht. Besonders eindrucksvoll ist ein Foto, auf dem junge Männer auf der Mauerkrone ein Transparent halten: „Deutschland einig Vaterland“. Die Jugendlichen sind sichtbar welche mit Migrationshintergrund. Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher.

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