Vera Lengsfeld / 13.11.2009 / 18:49 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 13. November

Die Sperrzone an der innerdeutschen Grenze und entlang der Berliner Mauer wird aufgehoben. Erstmals seit 28 Jahren kann man sich von Osten her der Grenze wieder nähern. Das ZK der SED tagt innerhalb weniger Tage zum zweiten mal . Es beschließt auf Druck der Parteibasis einen Sonderparteitag einzuberufen. Er soll vom 15. Bis 17. Dezember in Berlin stattfinden. Die Stimmung im ZK ist panisch. Angst vor dem Volk erschüttert die gerade noch allmächtigen Genossen bis ins Mark. Sie erwarten Bestrafung, wähnen sich mitten in einer „mittelalterlichen Inquisition“, auf einem „Fass Dynamit“, in den Betrieben würden die Parteifunktionäre „reihenweise abgeschlachtet“. Das wird behauptet, obwohl niemandem auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Die SED- Funktionäre ernten lediglich offenen Widerspruch. Den können sie nicht aushalten. Fast alle Politbüromitglieder kündigen ihren Rücktritt an. Krenz fürchtet die verheerende öffentliche Wirkung eines solchen „Liquidatorentums“. Er will die Rücktritte geheim halten. Derweil fordern die Demonstranten: „Vorwärts zu neuen Rücktritten“.
Die Verwirrung der Opposition hält an. Wolfgang Ullmann von „Demokratie jetzt“ versucht gar, Verbündete unter den Bürgerrechtlern für eine Forderung nach sofortiger Schließung der Grenze zu gewinnen. Zum Glück findet er niemanden, der einen solchen Aufruf unterstützen wollte. Das hätte die Opposition restlos diskreditiert. Ullmann ist überzeugt,dass diese drastische Maßnahme gerechtfertigt wäre, damit die DDR weiter existieren könne. Durch die Demonstrationen sei ein selbstbewusstes „Staatsvolk der DDR“ entstanden. Der Widerspruch, dass man ein solches „Staatsvolk der DDR“ nicht einzumauern brauchte, fällt Ullmann offenbar nicht auf.
Während der Wunsch nach Vereinigung bereits in der Luft liegt, kursieren innerhalb der Opposition im November allerlei Papiere, die sich mit dem Überleben der DDR beschäftigen. Keines dieser Papiere entfaltet eine Wirkung.  An der Rettung der DDR ist außerhalb von SED und Opposition kaum jemand interessiert.

Deutschland bereitet sich auf die größte Trauerfeier seit dem Ableben von Konrad Adenauer vor. Das Event soll im Fußballstadion in Hannover stattfinden. Neben der Schickimicki-Prominenz hat sich auch Innenminister de Maiziere angesagt. Gestern gab es schon einen spontanen Trauermarsch. Niemand spricht darüber, dass sich Enke auf die rücksichtsloseste Weise, die es gibt, das Leben genommen hat. Wer denkt an den Lokführer der ihn totfahren, an die Leute vom Katastrophenschutz, die Enke von den Schienen kratzen mussten? Der Mann wird gefeiert, wie ein Held, dabei hat er anderen Menschen schwersten Schaden zugefügt. So verhält sich eine Gesellschaft, die nicht sicher ist, ob sie noch Werte besitzt

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