Allein an diesem Sonntag reisen vier Millionen DDR-Bürger nach Westdeutschland, umgekehrt kommen zehntausende Westdeutsche in die DDR. Bis zu 60 Kilometer lange Autoschlangen haben sich vor allen Grenzübergangsstellen gebildet. Im Westen werden die Ostdeutschen begeistert empfangen. Kirchgemeinden, Vereine, Privatleute richten Verpflegungsstellen ein. Geschenke an Wildfremde werden überreicht viele lokale bieten Gratis-Kaffe für DDR-Bürger an. Es herrscht immer noch Volksfest-Stimmung. An den Schaltern, an denen das „Begrüßungsgeld“ ausgegeben wird, muss man stundenlang warten. Insgesamt spendiert der westdeutsche Steuerzahler über eine Milliarden Mark.
Den Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Walter Momper, die DDR-Bürger sollten das Begrüßungsgeld 1:4 eintauschen, lehnt die Bundesregierung ab. Ohnehin verfällt der Wert der DDR-Mark rasant. Auf dem freien Markt erzielt sie höchstens eine Kurs von 1:10 oder darunter.
Die Medien versuchen krampfhaft, was anderes als reine Freude an der unverhofften Bewegungsfreiheit zu finden. Walter Kempowski notiert, dass von Reportern seit vier Tagen dieselben Fragen gestellt werden: „Fühlen Sie sich freudig bewegt, oder sind Sie auch ein bisschen traurig…?“ , „Haben Sie vielleicht insgeheim….?“, „Werden sie wirklich freundlich begrüßt?“ Ein DDR-ler gab die Frage zurück: „Sagen Sie mir doch mal, was Sie so fühlen!“ Bundespräsident Richard von Weizäcker glaubt, vor „Triumphgefühlen“ warnen zu müssen. Kempowski grübelt, wie man sich denn verhalten solle, wenn man diese Warnung beherzigen wollte. Der Besuch von Bundeskanzler Kohl in Kreisau bleibt unbeachtet.
In Berlin wird die Mauer an mehreren Stellen durchbrochen.