Meine Nachbarin hat mir gerade mit stolzgeschwellter Brust erzählt, dass ihre neunzehnjährige Tochter für einen exklusiven Escortservice arbeitet und sich dumm und dusslig verdient, seit sie Analverkehr in ihr Dienstleitungsspektrum aufgenommen hat. Eine Bekannte hat angefangen, wildfremden Männern Blowjobs zu offerieren, damit ihre Kinder sich Reitstunden und Nikesneakers leisten können. Und die Kinder sind begeistert von Muttis neuem Job! Und mein neuer Kollege plaudert gern übers Flachlegen auf Flatrate in den neuartigen Geiz-macht-geil-Bordellen ...
Das glauben Sie nicht? Nein, das sollten Sie auch nicht tun. Ich habe nur ein Gedankenexperiment gewagt. Was wäre, wenn? Wenn es tatsächlich wahr wäre, was unlängst in der Frauenzeitschrift Brigitte stand:
Dass Prostitution mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, legal und enttabuisiert, als ganz normale Dienstleistung mit Sozialversicherung und Steuernummer; als Job angeblich so attraktiv wie lukrativ, dass moderne Frauen, auch Akademikerinnen, alles hinschmeißen und aus Spaß am Freudenhaus und purer Abenteuerlust ihren Körper verkaufen.
Ausgelöst durch Erfahrungsliteratur wie Fucking Berlin, Nach der Vorlesung ins Bordell oder Mein Leben als Edelhure bricht ein neuer Huren-Hype über uns herein.
Wie alle Jahre wieder.
Schon in den achtziger Jahren saß in jeder Talkshow mindestens eine Prostituierte und erzählte Döntjes aus ihrem Leben. Sie behaupteten auch damals schon, ihr Job sei ein ganz normaler, weshalb sie auch ein völlig normales Leben führten.
Und die Moderatorinnen, in Sachen Prostitution mehrheitlich absolut unbedarft, nickten dazu stets brav mit dem Kopf:
Ja, so isses.
Die Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002, von der man sich Gott weiß was versprochen hat, hat die Situation von Huren mitnichten verbessert - ganz im Gegenteil. Allein die Tatsache, dass die meisten Prostituierten ihren Anspruch auf Sozialversicherung nicht wahrnehmen, spricht Bände über die Normalität dieser Dienstleistung.
Noch nie haben Freier für so wenig Geld so viele sexuelle Dienste verlangt wie heute; noch nie wurde derartig auf Kondomfreien Sex gedrängt wie im HIV-Zeitalter.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, wird vordergründig auch noch die Normalität des Hurenberufs lanciert: Sexarbeiterinnen berichten mittlerweile, dass sie sich von Ärzten und Therapeuten anhören müssten, es sei krankhaft, wenn sie unter ihrem Job litten.
Traditionell wird die Debatte um Sinn und Unsinn der Prostitution mit den alten Klischees eingeleitet: Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Und deswegen schon irgendwie gut und richtig.
Und so wichtig für das Gesellschaftsgefüge. Denn schließlich brauchen Männer Sex, und dafür haben sich Frauen zur Verfügung zu halten. Und Frauen, die sich nicht prostituieren, müssen denen dankbar sein, die es tun, weil es sonst ihnen selbst an den Kragen ginge. Quatsch von Frauen für Frauen. Sex als ständige Bedrohung? Damit kann man moderne Frauen nicht mehr einschüchtern!
Der Bedarf nach Sex als Dienstleistung nimmt jedenfalls stetig ab, seit sich rumgesprochen hat, dass auch Frauen Sex brauchen. Und ihn sich nehmen, wo sie ihn kriegen können. So wie Männer es auch schon immer getan haben. Und das ist heutzutage eben nicht mehr ausschließlich in der Ehe, sondern eben auch mal der One-Night-Stand oder die schnelle Nummer zwischendurch mit dem attraktiven Fremden aus dem Internet.
Prostitution soll jetzt sogar nicht einmal mehr mit Zwang, Drogensucht, Schmutz, Erniedrigung und Geschlechtskrankheiten assoziiert werden, sondern mit Freiheit, Luxus und Abenteuer.
Fehlen eigentlich nur Selbstverwirklichung und Emanzipation.
Wirklich neu ist das nicht – schließlich unterliegen Männer schon seit Jahrtausenden der irren Vorstellung, Frauen würden sich der Prostitution freiwillig und obendrein noch lustvoll hingeben. Dieser Mythos stammt von den Prostituierten selbst und war schon im alten Rom gut fürs Geschäft. Der Kunde heute will obendrein sein Gewissen beruhigen - Gutmenschentum macht auch vor dem Strich nicht halt. Am Hamburger Steindamm konnte ich einmal einem so genannten Anbahnungsgespräch lauschen:
Das ist ja eigentlich traurig, dass ein so hübsches Mädchen wie du das nötig hat. Sprach’s und verschwand mit dem Mädel flugs im Stundenhotel. Erinnert an die bürgerliche Macke, vor einem Festmahl der Hungernden der Welt zu gedenken.
Jetzt sollen an der Prostitution obendrein die Verlockungen einer entfesselten Konsumgesellschaft schuld sein, weiß die Brigitte - in der gern Schuhe für fünfhundert und Uhren für fünftausend Euro angepriesen werden. Die Frau von heute
werde nicht mehr durch Unbildung, Elend und Hunger in die Prostitution getrieben, sondern weil die Kinder Designermode brauchen. Oder weil sie sich mal so richtig weiblich und begehrt vorkommen will.
Falls es solche Frauen gibt, woran ich nicht einmal Zweifel hege, dann sind sie jedenfalls kein Fall für die Sozialversicherung.
Allenfalls für die Klapsmühle.