Es kommt nicht allzu häufig vor, dass die Weltöffentlichkeit gespannt auf ein politisches Signal aus Wien wartet. Und das man ein solches Signal mit europaweiter Wirkung ausgerechnet vom Ergebnis der Wahl des verhältnismäßig machtlosen Bundespräsidenten erwartet, ist wahrscheinlich noch nie vorgekommen. Jedes Drehbuch, in dem gestanden hätte, dass die letzten Hochrechnungen am Wahlabend beiden Kandidaten exakt 50,0 Prozent der abgegebenen Stimmen bescheinigen, wäre wahrscheinlich abgelehnt worden, weil das nun wirklich zu konstruiert wirkt.
Doch nun ist es so und jede einzelne Stimme zählt. Vielleicht sind die Briefwahlergebnisse ja so eindeutig, dass heute Abend feststeht, wer der nächste Bundespräsident ist. Vielleicht wird es aber auch so knapp, dass jede kleine Wahl- oder Auszählungspanne, die auch in den besten Demokratien vorkommt, für den Wahlausgang relevant ist. Wird bei der Aufdeckung eines solchen Falles, dann die Amtsübernahme wieder in Frage gestellt?
Erinnerungen an die US-Präsidentenwahlen 2000
Hören wir auf mit solchen Spekulationen, auch wenn sich vielleicht manch einer aus diesem Anlass an die Auszählung der US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 erinnert. Vor allem aus Florida gab es, wegen Problemen mit den Wahlmaschinen, kein verlässliches Ergebnis. Tagelang wusste niemand, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten würde. Erst als Al Gore den Sieg von George W. Bush anerkannte, gab es Gewissheit. Bei den Zahlen gab es die nicht.
Glücklicherweise ist im kleinen Österreich alles viel übersichtlicher und wir können die Wartezeit aufs Ergebnis mit einem kleinen Rückblick auf die Berichterstattung über den gestrigen Wahlabend überbrücken. Wenn man als Fernsehzuschauer, der ans deutsche Fernsehen gewöhnt ist, die Wahlsendungen des ORF verfolgt hat, dann fiel die Gelassenheit und Entspanntheit auf. Moderatoren und Reporter machten professionell und ohne erkennbare eigene politische Präferenz ihre Arbeit und auch die vor die Mikrophone geladenen Politiker wirkten entspannter als ihre deutschen Kollegen nach den letzten Wahlen hierzulande. Ich kenne die österreichische politische Landschaft leider zu wenig, um ermessen zu können, wie typisch diese Wahrnehmung ist. Doch es war an einem so „historischen“ Wahlabend schon bemerkenswert.
Sowas gibt es: Zwei Kandidaten bekunden gegenseitig Respekt
Ein Höhepunkt war der Moment, als die beiden Kontrahenten um die Präsidentschaft vor die Kameras traten und Alexander van der Bellen zuallererst dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer seinen Respekt zollte, Hofer dies zustimmend erwiderte, beide sich die Hände reichten und der Öffentlichkeit versicherten, sie würden Brücken bauen wollen zu den Wählern des jeweils anderen. Wurden die Gegensätze damit in einer süßen Harmoniesauce ertränkt? Nein, aber die Noch-Kandidaten rapportierten sie schon staatsmännisch zurückhaltend, gaben sich in Details sogar gegenseitig recht und lieferten ein Kontrastprogramm zu ihrem Wahlkampf-TV-Streitgespräch, in dem sich beide wie bockige Kindergartenkinder im Sandkasten benommen hatten.
Der Wahlkampf wurde also nicht fortgesetzt, die Hochrechnungen blieben unverändert bei den 50,0 Prozent für jeden Kandidaten, Überraschungen waren um 19 Uhr im ORF nicht zu erwarten.Nach zwei Stunden österreichischer Wahlsondersendung könnte es stattdessen vielleicht interessant sein, mal zu schauen, wie die Berichterstattung über diese Wahlen in den deutschen Fernsehnachrichten aussah. Also wurde umgeschaltet zum ZDF, zu heute.
Im ZDF kehrt die deutsche Hackordnung zurück
Selbstverständlich war die österreichische Bundespräsidentenwahl der Aufmacher. Der Beitrag bestand fast ausschließlich aus ORF-Material. Auf den Händedruck und die Brückenbau-Aussagen beider Kandidaten ging der Bericht nicht ein. Dafür hatten sich die ZDF-Kollegen bemüht, möglichst oft das Wort „Rechtspopulisten“ bzw. das dazugehörige Adjektiv „rechtspopulistisch“ unterzubringen. Beim ZDF sollte der Zuschauer gar nicht erst auf den Gedanken kommen, dass es sich beim FPÖ-Mann Norbert Hofer um einen normalen Kandidaten auf dem demokratischen Spielfeld handeln könne. Ein deutlicher Kontrast zum ORF, wo er als solcher behandelt wurde.
Würde die Tagesschau in der ARD ihren Zuschauern ebenso deutlich sagen wollen, was die richtige und was die falsche Gesinnung ist? Deren Wien-Korrespondent Michael Mandlik konnte man ungefähr zwei Stunden zuvor in einer ORF-Runde mit Auslandskorrespondenten mit einem zurückhaltend-nüchternen Statement wahrnehmen. Hatte das Klima abgefärbt? Die Tagesschau kam immerhin mit nur einem „rechtspopulistisch“ aus und zeigte in ihrem Bericht auch den Händedruck und die versöhnlichen Aussagen van der Bellens und Hofers.
Wenn man nun zum ORF zurück zappte, konnte man van der Bellen sogar sagen hören, dass er als Präsident ausländischen Gesprächspartnern auch erklären würde, dass das 50 Prozent-Ergebnis für den FPÖ-Mann Hofer mitnichten ein gefährlicher Ruck ins Rechtsextreme markiere, sondern eher als ein Weckruf einer unzufriedenen Bevölkerung zu verstehen sei.
Solche Erkenntnisse wünschte man sich hierzulande auch, denn wecken kann man ja nur den, der bereit ist, einen Weckruf auch als solchen zu erkennen, statt ihn ignorieren oder weginterpretieren zu wollen.
Zuerst erschienen auf sichtplatz.de