Dirk Maxeiner / 22.07.2008 / 20:54 / 0 / Seite ausdrucken

Dr. Hansen und Mr. Hyde

Erschienen in DIE WELTWOCHE vom 17.08.2008

Der prominente Nasa-Klimaforscher Dr. James Hansen, ein sanfter älterer Herr, will Zweifler am menschengemachten Klimawandel als Verbrecher gegen die Menschheit aburteilen.

Es hätte alles so harmonisch sein können. Anfang Juli trafen sich zwei Dutzend Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee zu einer Tagung mit Nachwuchswissenschaftlern. Am zweiten Tag versammelten sich sieben der Honoratioren zu einer Diskussion über den Klimawandel. Vor einem überfüllten Auditorium wurden die üblichen Bekenntnisse und Mahnungen ausgesprochen, das Hohelied von der Verantwortung für künftige Generationen gesungen. Und dann passierte es. Einer spielte nicht mit.  Der Norweger Ivar Giaever, Nobelpreisträger für Physik, sagte Unerhörtes: „Beim Klima ist alles im Bereich der normalen Schwankungen, wir sollten die Religion des Klimawandels nicht widerspruchslos akzeptieren.“

Es ist zum Verzweifeln. Kaum setzt sich irgendwo auf der Welt eine gemütliche Runde zur Abwendung oder Verwaltung der Klimakatastrophe zusammen, springt so ein skeptischer Teufel aus der Kiste. Der Zweifel ist scheinbar ein unausrottbares Nagetier. Doch damit soll jetzt endlich Schluss sein. Zumindest wenn es nach Dr. James E. Hansen geht. Der einflussreiche Nasa-Klimaforscher ist der Überzeugung, dass der Klimawandel „zu 102 Prozent vom Menschen gemacht ist.“ Und deshalb will er den Unbelehrbaren ihre Skepsis per Gesetz austreiben. Die Idee ist prinzipiell nicht neu. Die amerikanische Zeitschrift „Grist“ forderte für „Leugner“ schon mal Verfahren „im Stil der Nürnberger Prozesse“. Und der britische Umweltaktivist George Monibot machte den weiterführenden Vorschlag: „Jedesmal, wenn jemand infolge einer Überschwemmung in Bangladesh ertrinkt, sollte man einen Angestellten einer Fluggesellschaft aus seinem Büro zerren und ertränken.“

Solche Fanatiker sind in der Regel nicht ernst zu nehmen. Doch Hansen ist nicht irgendwer. Und er machte seinen Vorschlag auch nicht irgendwo. Der 67jährige Atmosphärenphysiker ist Direktor des Nasa „Goddard Institute for Space Studies“ (GISS) in New York und gilt als der am meisten zitierte Klimaforscher der Welt. Seinen Ruf nach den Gerichten formulierte er am 23. Juni 2008 vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses. Skepsis und Zweifel in Sachen Klimakatastrophe sind für ihn Ergebnis finsterer PR-Machenschaften der Ölkonzerne. Deren Bosse sollten aus dem Verkehr gezogen werden: Wegen „Schwerverbrechen gegen Menschheit und Natur“. Das wäre dann eine Verurteilung aufgrund eines Schadens, von dem man vermutet, dass er in Zukunft eintreten könnte, gleichsam das Vorsorgeprinzip im Strafrecht. Ähnliche Überlegungen liegen ja auch Guantanamo zugrunde. Aber was macht das schon, schließlich geht es um die Rettung der Welt.

Hansen nutzte eine Jubiläumsrede in Sachen Klimawandel für seine Attacke: Vor exakt zwanzig Jahren, am 23 Juni 1988,  stand er schon einmal vor dem US-Kongress. Es war damals ein außergewöhnlich heißer Sommer in Washington, die ganze Stadt litt unter drückender Hitze. Dies erschienen Hansen und verbündeten demokratischen Senatoren ein pädagogisch geeigneter Zeitpunkt, um dem Kongress und der Welt die unfrohe Botschaft von der menschengemachten und potenziell katastrophischen Erderhitzung zu verkünden. Einer der Senatoren hieß Al Gore. Die Medien-Strategie entpuppte sich als Volltreffer, Hansens Glut und Schweiß-Rede schlug ein wie eine Bombe. Sie darf als Urknall des ganz großen Klima-Alarms gelten. Seit nunmehr zwanzig Jahren ist es beständig „fünf vor zwölf“. Ein neuer Mahner und Warner war geboren.

Auch 2008 sieht die Menschheit nach Meinung von James Hansen ihrer unwiderruflich „letzten Chance“ entgegen. Er spricht gerne von einem „Tipping-Point“, also einem Punkt an dem das Klima möglicherweise abrupt umschlage. Wann und ob das der Fall sein wird, kann natürlich Niemand sagen. Der Tipping-Point ist insofern die moderne Version des Damokles-Schwertes. Hansens äußerlich ruhige und sanfte Art macht seine Vorträge überzeugend, der weiche Tonfall des mittleren Westens wirkt sympathisch. Man würde einen Gebrauchtwagen von ihm kaufen.

Hansen fährt einen alten Volvo und pendelt am Wochenende zwischen seiner bescheidenen Wohnung an der New Yorker Upper West Side und einer kleinen Wochenendfarm in Pennsylvania. Er wuchs als fünfter Spross einer Bauersfamilie in Iowa auf und führt zusammen mit seiner Frau Anniek ein Leben, dass Freunde als „asketisch“ beschreiben. Hansen studierte Astronomie, Physik und Mathematik und beschäftigte sich anfangs mit der Planetenforschung. Er ist seit 1972 bei der Nasa und war an Raumsonden zur Venus beteiligt. Dann begann er sich mit den Treibhausgasen zu befassen und widmete sich Computermodellen zur Klima-Simulation.

In der Klimaforschung fand er seine Berufung. Und mit seinem durchschlagenden Auftritt von 1988 entdeckte er die Verlockungen von medialer Präsenz und politischem Einfluss. Es war zugleich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. 2006 erklärte das Time-Magazin Hansen zu einer der „100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres“. Die Laudatio dazu schrieb Al Gore. Überschrift :„Die Weisheit eines Klima-Kreuzritters“. Im Jahr darauf nahm Time Al Gore in die Liste der 100 wichtigsten Persönlichkeiten auf. Die Laudatio schrieb - Überraschung! - James Hansen. Gore führe einen „harten Kampf“ und wisse besonders gut, wie schwierig es sei den Widerstand von Interessengruppen zu überwinden, „die Zweifel am Klimawandel sähen.“ Al Gores Katastrophen-Ephos „Eine unbequeme Wahrheit“, das mit den Fakten äußerst großzügig umgeht,  wird von Hansen als „wissenschaftlich akkurat“ gelobt. Was nahe liegt, schließlich beriet Hansen Gore. Man kennt sich und man hilft sich im Global-Warming-Business.

Und man schwingt gerne die grobe Keule. Für Al Gore ist „die Evidenz einer ökologischen Kristallnacht so klar wie das Klirren der zerberstenden Scheiben im Berlin.“ Für James Hansen stellt sich mit Blick auf kalbende Gletscher die Frage: „Können diese krachenden Eismassen als eine Kristallnacht dienen, die uns aufweckt?“ Angesichts eines mit Kohle beladenen Güterzuges fühlte er sich zu der Bemerkung veranlasst: „Wenn wir es nicht schaffen den Bau neuer Kohlekraftwerke zu verhindern, dann sind dies Todeszüge - nicht weniger grausam als die Waggons, die ins Krematorium fuhren…“ Dafür zumindest hat er sich entschuldigt.

Die Grenze zwischen Berufung und Obsession verwischt. Aus wissenschaftlichen Kritikern werden so kriminelle Leugner. Und die können nur von Exxon-Mobile bezahlte Söldner sein. Dabei bezieht James Hansen durchaus auch Mittel von Dritten. So überreichte die Heinz-Foundation James Hansen 2001 einen Preis in Höhe von 250.000 Dollar für dessen Verdienste um die Klimaforschung. Vorsitzende der Wohltätigkeits-Organisation ist die schwerreiche Gattin von John Kerry.  Im Wahlkampf unterstütze Hansen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Kerry. Das war sein gutes Recht und er hätte es wahrscheinlich ohnehin getan. Wissenschaftlern mit anderer Meinung spricht er solche persönliche Integrität nicht zu.

Hansen darf als Archetyp des wissenschaftlichen Aktivisten gelten, wie er in der Klimaforschung inzwischen häufiger vorkommt. Und dafür wird er geliebt und gehasst. Seine Unterstützer und Fans reichen vom Ex-Spekulanten und Milliardär George Soros bis zu Kubas Ex-Staatschef Fidel Castro. Der zitiert ihn in seinen skurrilen „Reflexionen des Genossen Fidel“ 2008 ausführlich. Hansen taugt als Kronzeuge gegen George Bush, weshalb das Weiße Haus nicht gerade zum Fan-Club zählt. Es wurde immer wieder - erfolglos - versucht, Einfluss auf seine Statements zu nehmen, wodurch dieser sich an „Nazi Deutschland“ erinnert fühlte. In einem Akt gehobener Dummheit versuchten Nasa-Funktionäre ihn außerdem dazu zu bewegen, Interviews vorher anzumelden. Hansen trat prompt eine gewaltige Medienkampagne los. Die Meldungen vom verfolgten Wissenschaftler, der „mundtot gemacht“ und „zensiert“ werden soll gingen um die Welt. Die Zensur wird allerdings ein wenig relativiert durch die Zahl der unzensierten Interviews, die James Hansen in den letzten Jahren gab: Eintausendvierhundert. Mundtot ist anders.

Doch mitunter ist Hansen überhaupt nicht auskunftsfreudig, beispielsweise in seiner Eigenschaft als „Herr der Welttemperatur“. Sie wird unter seiner Führung für den Globus ermittelt und jährlich vom Goddard Institute neu veröffentlicht. Im Vergleich zu von anderen Institutionen erstellten Globaltemperaturen reißen die „GISS“ Temperaturdaten auffällig nach oben aus - aus welchen Gründen auch immer. Erst nach langem Widerstand erklärte sich Hansen bereit, anderen Wissenschaftlern Einblick in die zugrunde liegenden Daten und Computercodes zu geben. Die entdeckten zahlreiche Unstimmigkeiten und machten die Nasa darauf aufmerksam. Hansen ließ daraufhin eilig Korrekturen vornehmen.

Besonderes Aufsehen erregten Modifikationen der für die USA ermittelten Temperaturen. 1998 wird für die Vereinigten Staaten nicht mehr das bislang wärmste Jahr ausgewiesen, sondern 1934. Vier der zehn wärmsten US-Jahre des letzten Jahrhunderts liegen jetzt in den dreißiger Jahren, nur drei der Top-Ten stammen aus den letzten zehn Jahren. James Hansen weißt darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den Jahren im Bereich der statistischen Unsicherheiten liegen und sich auf die Globaltemperaturen nur minimal auswirken. Damit hat er Recht. Das galt allerdings auch schon vorher, als die Rekordjahre besser zur Botschaft von der Erderwärmung passten. Nur waren da solche einschränkenden Worte nicht zu vernehmen.

Auch hinter der Überprüfung seiner Temperaturdaten wittert James Hansen finstere Absichten. Er spricht von einem Täuschungsmanöver mit der Absicht „die Klimawissenschaft zu diskreditieren“. Es seien „Hofnarren“ am Werk, „die auch dann noch weiterspielen, wenn das Wasser in die Titanic rauscht“. Sogar die Natur hat sich irgendwie gegen ihn verschworen, denn der Juni 2008 wollte Hansen keinen heißen Kongress-Auftritt liefern. Er war im globalen Durchschnitt deutlich kälter als der des Jahres 1988. Das Jahr, in dem James Hansen die globale Erwärmung auf die Welt-Tagesordnung setzte.

 

 


 

 

 

 

 

 

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