Der Schotte Brian Morrison erhielt letzten Sonntag eine unfreiwillige Unterweisung in elektrischem und autonomem Fahren. Die Transformation der Automobile und ihrer Fahrer schreitet voran. Genau wie der Abstieg einst reicher Autostädte. Ingolstadts Bürgermeister verkündet: Es geht uns knorke, wir haben nur kein Geld mehr.
Brian Morrison, 53, wohnhaft in einem Vorort von Glasgow, fuhr am letzten Sonntagabend gegen 10 Uhr nach Hause. Seit einiger Zeit fährt er elektrisch, genauer gesagt einen MG ZS EV. Das klingt very british, ist aber very chinese, denn die Marke MG wurde von einem chinesischen Autokonzern namens SAIC übernommen. Statt an einem kernigen – aber nicht immer zuverlässigen – Sportwagen klebt das MG-Zeichen nun an einem rundlichen Elektro-SUV – ebenfalls nicht immer zuverlässig. Wobei es einen entscheidenden Unterschied gibt: Früher blieben MG schon mal unerwartet liegen – heute halten sie unerwartet nicht mehr an.
Die alte Malaise hing oft mit der suboptimalen Arbeitsmoral britischer Gewerkschaftsmitglieder zusammen, da fand sich schon mal eine klappernde Whisky-Flasche im Türinnenfutter eines Neuwagens. Nicht gerade als Muster an Zuverlässigkeit galt auch die von der Firma Lukas aus Birmingham bereitgestellte elektrische Anlage vieler britischer Autos. Lichtmaschinen-Hersteller Lukas machte sich einen Namen als „Inventor of Darkness“, zu deutsch „Erfinder der Dunkelheit“. Letzten Sonntag war es in Glasgow ebenfalls schon stockdunkel, die Scheinwerfer des MG funktionierten aber mustergültig. Der MG fuhr Brian Morrison so unerschütterlich Richtung Heimstatt, als nehme er an einer Militärparade auf dem Platz des himmlischen Friedens teil.
Während er sich einem Kreisverkehr näherte, musste der Mann am Steuer feststellen, das plötzlich sämtliche neun Warnlampen im Cockpit strahlten und blinkten wie die Leuchtreklame eines Nachtclubs in Soho. Außerdem ließ sich die Marschgeschwindigkeit nicht unter etwa 30 km/h drosseln, weil die Bremsen so beharrlich streikten wie die Bergarbeiter unter Margaret Thatcher. Sobald der Pilot den Fuß von der Bremse nahm, beschleunigte der MG wieder auf etwa 50 km/h. Und so ging es durch diverse Kreisverkehre, über Zebrastreifen und über rote Ampeln. „Schotte von seinem Auto gekidnappt“, schilderten die Medien die Situation am folgenden Tage, was ein wenig an die beliebte Schlagzeile „Mann beißt Hund“ erinnert.
Alte britische Formel-1-Traditionen
Auf einer Ausfallstraße gelang es dem Entführungsopfer dann, die Nummer 999 zu wählen und die Polizei über seine missliche Lage zu informieren. In Motorstreifen in Glasgow scheinen noch die alten britischen Formel-1-Traditionen fortzuleben, jedenfalls befand sich der MG „innerhalb von Minuten“ im Sandwich zweier Streifenwagen. Die schienen von so etwas nicht zum ersten Mal zu hören: Telefonisch wurde mit dem Fahrer sozusagen eine Checkliste abgearbeitet mit dem Ziel, die Fuhre endlich zu stoppen. Die dachte aber gar nicht daran. Als letzten Versuch baten die Streifenbeamten den Fahrer dann, den Autoschlüssel aus dem Fenster zu werfen. Mit steigender Entfernung vom Schlüssel würde das schlaue Auto – so die Hoffnung – sich dann für geklaut halten und stoppen. Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht, der saudumme MG fuhr einfach weiter und weiter.
Und so setzte ein Retter sich vor den MG und bremste ihn sanft bis zum Stillstand aus. Nachdem der leicht traumatisierte Fahrer ausgestiegen war und den Boden küsste wie ein Seekranker, der endlich am Ufer angelangt ist, wollte die Polizei das Sandwich wieder lockern. Und was macht der MG? Der Missetäter wollte abhauen und musste gewissermaßen in Handschellen gelegt werden, bis Fachkundige ihm das elektrische Licht endgültig ausbliesen.
Ich weiß natürlich, dass es sich hier um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, den man nicht verallgemeinern kann. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob das auch die britischen Versicherungen wissen, die die Prämien für elektrische Autos um bis zu 1.000 Prozent anheben, einige wollen E-Mobile derzeit gar nicht mehr versichern. Das hat unterschiedliche Gründe und ist bei manchen Modellen bauartbedingt, dürfte die Lust auf ein elektrisches Abenteuer aber ähnlich stimulieren wie Nancy Faeser das Wahlergebnis der SPD in Hessen.
Hörte Onkel Xi Jinping mit?
Der MG ist inzwischen wohl in der Obhut des Herstellers, der herausfinden will, woran es lag: Da kann man nur hoffen, dass die MG-Elektronik sich besser erinnern kann als unser Bundeskanzler. Zumal man ja sagt, dass Autos eine Seele haben. Ich beispielsweise rede mit ihnen. Die sind allerdings alle im letzten Jahrhundert gebaut, mit so einem neuen Ding werde ich mich auf keinen Fall unterhalten, weil das ja alles aufzeichnet. Was hat Brian Morrison bloß zu seinem MG gesagt? War er vielleicht etwas ungehalten und es sind ihm rassistische Sätze über die Lippen gekommen wie etwa: „Nun halt endlich an, Du verf%&!!! chinesische Reisschüssel“? Hörte Onkel Xi Jinping diese Schmähung des Großen Reiches mit und drückte den Terminatorknopf?
Man kann ja nie wissen. Zumindest wenn man dem Brumm-Brumm-Fachblatt auto motor und sport glaubt. Die zitieren nämlich eine Studie der Modzilla Foundation: „Autos sind in Sachen Datenschutz die schlechteste Produktkategorie, die wir je überprüft haben.“ In modernen Fahrzeugen würden durch Kameras, Mikrofone oder gekoppelte Telefone extrem viele personenbezogene Daten gesammelt und weitergegeben – darunter auch solche zu „privaten Interessen, sexueller Aktivität oder zum individuellen Gesundheitszustand.“ Ich weiß ja nicht, was Sie während der Fahrt so treiben, rate aber unter diesen Umständen zumindest vom Gebrauch der primären Geschlechtsorgane ab.
Das Auto diente dem Menschen bisher eben nicht nur zum freien Transport, sondern war auch ein Ort der Geselligkeit und Intimität. Lange vor seinen europäischen Altergenossen empfanden junge Menschen in Amerika das Auto beispielsweise als ein Niemandsland, das den Beschränkungen und Tabus von Gesellschaft und Familie entzogen war. „Man müsste mal eine Abhandlung über den sittlichen, physischen und ästhetischen Einfluss des Ford-T-Modells auf das amerikanische Volk herausgeben“, schrieb der Schriftsteller John Steinbeck. „Die meisten Babys jener dahingegangenen Epoche wurden im Modell-T-Ford gezeugt und nicht wenige in ihm geboren“.
Rasanter U-Turn hin zu einem totalitären Werkzeug
Das autonom fahrende und vorzugsweise elektrische Automobil entfernt sich mit doppelter Richtgeschwindigkeit von jenem Vehikel der Freiheit und macht einen rasanten U-Turn, hin zu einem weiteren totalitären Werkzeug. Ich will das kleine Malheur von Glasgow nicht überbewerten, aber es hat doch eine metaphorische Komponente: Wir werden vielleicht bald nicht mehr selbst fahren, sondern gefahren werden – und zwar nicht dahin, wohin wir wollen, sondern dahin, wohin andere wollen. Autolos, bargeldlos und besitzlos sollt ihr glücklich sein!
Es wird aber noch ein wenig dauern, bis dieser Gedanke sackt. Beispielsweise beim SPD-Bürgermeister der Autostadt Ingolstadt und dem Bayerischen Rundfunk. So bringt Audi im Laufe des Jahres 2026 für den Weltmarkt nur noch E-Modelle neu heraus, was heiter werden kann. In einem aktuellen Bericht des BR heißt es nämlich: „Gewerbesteuer seitens Audi bricht massiv ein“. Hauptgrund für künftige Sparmaßnahmen sei, dass es zu massiven Einbrüchen bei der Gewerbesteuer seitens des VW-Konzerns komme. Oberbürgermeister Scharpf: „Audi in Ingolstadt steht zwar super da, stellt auch neue Leute ein, unsere Steuer kommt allerdings über den Konzern“. Es käme bei weitem nicht rein, was in der Finanzplanung vorgesehen gewesen wäre. Deshalb habe er „eine Haushaltssperre für den Verwaltungshaushalt erlassen“.
Die „gute Nachricht“ laut BR: „Audi geht es gut. Der Wirtschaftsstandort Ingolstadt leidet bislang nicht“. Es würden lediglich Dienstleistungen eingeschränkt, beziehungsweise neue Gebühren erhoben. Ach so. Der Bürgermeister gibt sich davon überzeugt, „dass die Automobilbranche die Transformation schaffen wird und es dann auch bei den Ingolstädter Finanzen besser aussehen wird.“ Diese Einlassungen könnte – je nach Lieblings-Literat – von George Orwell oder Robert Habeck stammen: In Ingolstadt läuft alles supi, sie haben nur kein Geld mehr.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten.Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.