Wolfgang Röhl / 04.02.2013 / 22:27 / 0 / Seite ausdrucken

Pressefreiheit in Gefahr! In Deutschland

„Reporter ohne Grenzen“, gegründet 1985 in Frankreich, ist nützlich, wenn sich die Organisation für verfolgte Journalisten in aller Welt einsetzt und über deren oft lebensgefährliche Arbeit berichtet. Aber ROG informiert auch über den Stand der Presse- und Meinungsfreiheit in sage und schreibe 179 Staaten und erstellt dazu ein jährliches Ranking. Wozu eigentlich? Wo Pressefreiheit besteht und wo nicht, das kann man sich leicht ausmalen, oder? So einfach ist das nicht. Denn Deutschland hält laut aktuellem Ranking nur den schmachvollen Platz 17. Da ist es nicht mehr weit zur Bananenrepublik.

ROG versucht mit der Liste ein Fine tuning, das Fort- oder Rückschritte abbilden soll. Burma etwa ist 2013 durch seine politische Öffnung innerhalb eines Jahres von Platz 169 auf Platz 151 aufgestiegen, Bangladesh aus irgendwelchen Gründen von 129 auf 144 abgerutscht. Was das für die Menschen in jenen Ländern konkret bedeutet und nach welchen Kriterien und aufgrund welcher Quellen das Ranking überhaupt zustande kommt, das ist eine komplizierte und ziemlich fragwürdige Angelegenheit. Wer Geduld hat, kann sie auf der ROG-Website nachlesen.

Nun wundert es sicher niemanden, dass westliche Demokratien die oberen Plätze der Liste belegen und Diktaturen, Gottesstaaten oder Clancluster wie Nordkorea, Saudi-Arabien oder Syrien die unteren. Allerdings staunen Menschen, die schon etwas herumgekommen sind,  dass Mauretanien und die Zentralafrikanische Republik sich im ROG-Mittelfeld halten (Plätze 67 und 65), ausgerechnet Großbritannien aber auf einem vergleichsweise schwachen Platz 29 landet (10 Plätze hinter Namibia) und Jamaica auf Platz 13 liegt, vier Zähler vor Deutschland. Vor Deutschland liegen auch noch Tschechien und Estland. Die Pole Position hält natürlich Finnland, das wie immer vorbildlich dasteht.

Finnland ist immer zum Knutschen.

Warum in Deutschland die Pressefreiheit bedroht ist? Ein ROG-Rätsel. Weder sind Morde, Verhaftungen, Attacken oder Drohungen gegen Journalisten hierzulande sehr gängig, noch werden die Medien vom Staat nennenswert gegängelt. Jedenfalls nicht die privaten. Mit der Auskunftsfreude von Behörden, Polizei und Geheimdiensten mag es manchmal hapern. Aber schließlich ist die Bundesrepublik nicht Luxemburg oder Andorra (Platz 4 und 5), sondern die stärkste Wirtschaftsmacht Europas, mittlerweile verstrickt in diverse militärische Konflikte. Deutschland, längst im Fadenkreuz der üblichen Spionage- und Terrorverdächtigen, ist möglicherweise mit Holland oder Norwegen (Platz 2 und 3) nicht richtig vergleichbar. Kaum einer wird sich wohl wünschen, dass gewisse deutsche Behörden ohne weiteres sensible Daten rausrücken. Schon gar nicht, wenn das „Neue Deutschland“ anruft.

Und wenn ein TV-Reporter wie der NDR-Mann Christoph Lütgert sich zum hundertsten Mal filmen lässt, wie er vor der Zentrale von Kik oder sonst wo steht, Handy am Ohr, und mit seinen ad hoc-Interviewanfragen natürlich abblitzt (Lütgert und ähnliche Investigatoren nennen das eine Mauer des Schweigens), dann ist auch das kein Beinbruch der Informationsfreiheit. Niemand, der seine Murmeln noch in der Schüssel hat, würde einem linken Wichtigtuer mit selbsterteiltem Kampfauftrag wie Lütgert mal so eben ein Interview geben, das sich der Mann dann nach Gusto zusammenschneidet.

Warum Deutschland im aktuellen Ranking schlecht abschneidet, erklären Hinweise, wie die ROG-Liste erstellt wurde: „Der Fragebogen berücksichtigt in diesem Jahr stärker als bisher Faktoren wie Medienvielfalt, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder Zugangsmöglichkeiten zum Beruf des Journalisten.“ Ferner sei die „Unabhängigkeit der staatlichen Medien“ untersucht und bewertet worden.

Unabhängigkeit des Staatsmedien! Da klingelt’s doch! Da denkt man sofort an öffentlich-rechtliche Sendeanstalten. An ihren ewigen Verlautbarungsjournalismus, an die penetranten Guttuer-Kampagnen. Da denkt man an das Ausmaß, in dem Parteien und „gesellschaftlich relevante“ Gruppen das öffentlich-rechtliche System gekapert und untereinander verteilt haben. Und man erinnert sich daran, dass ARD und ZDF, durch Zwangsgelder („Demokratieabgabe“) unterhalten, sich politisch so gut wie gar nicht mehr unterscheiden. Höchstens versucht das ZDF, welches vor Dezennien als irgendwie „rechtslastig“ galt (es hielt sich einst als Alibiveranstaltung Gerhard Löwenthals „ZDF-Magazin“), die ARD ein Stückchen weit links zu überholen.

Doch all das spielte beim Downgrading Deutschlands keine Rolle. Eine Rolle spielte, so schreibt ROG in einer Begründung, zum Beispiel der Umstand, dass 2012 „mehrere Zeitungstitel komplett eingestellt wurden.“ Und dass die Berichterstattung im Überregionalen „immer stärker gebündelt“ würde, Regionalblätter wie die „Deister-Leine-Zeitung“ und das Boulevardblatt „Abendzeitung“ aus Nürnberg dicht gemacht wurden. Ferner sei in deutschen Medien die Schleichwerbung auf dem Vormarsch, glaubt ROG.

Das ist, mit Verlaub, regelrechter Bullshit. Fangen wir mit dem letzten Punkt an: Schleichwerbung in den Medien hat sicher nicht zugenommen, „Wetten dass“ hin oder her. Die Reise- und Motorteile von Lokalblättern bis hin zu so genannten Qualitätsmedien bestanden immer zu einem erheblichen Teil aus gesponserten Artikeln, die als solche nicht ausgewiesen waren. Erst in den letzten Jahren hat sich (u.a. im Springer-Verlag, sorry) teilweise die Compliance eingebürgert, milde Gaben etwa eines Reiseveranstalters oder einer Fluggesellschaft ausdrücklich zu erwähnen.

Wahr ist, dass People-Magazine mindestens zur Hälfte aus ungekennzeichneter Werbung für Lifestyle-Quatsch bestehen. Aber was, bitte, haben schwachsinnige Illus wie „Bunte“, „Gala“ oder „InStyle“ mit Meinungsvielfalt zu tun?

Im Fernsehen war Schleichwerbung immer gang und gäbe. Jeder „Tatort“ macht ja fette Werbung, für BMW, Audi, Ford, VW. Eine Figur wie der WDR-Hobbythek-Mann Jean Pütz verkörperte das Schleichwerben viele Jahre lang (heute käme ein Pütz freilich so nicht mehr auf Sendung). Und was ist der ZDF-Dauerbrenner „Das Traumschiff“ anderes als Unterhaltung mit angeschlossener Werbung für einen Dampfer und die Urlaubsdestinationen, die er anläuft? Mit wenigen Ausnahmen wurden alle Drehs für die „Landausflüge“ vom Traumschiff seitens der jeweiligen Fremdenverkehrsämter großzügig unterstützt. Das geht schon bald 30 Jahre so. Niemand regt sich darüber auf, zu Recht. Die Pressefreiheit nimmt an solchem Pipifax keinen Schaden.

Überhaupt besteht der gesamte öffentlich-rechtliche TV-Betrieb zum größten Teil aus Schleichwerbung. Notwendigerweise. Welcher Promi, der noch etwas Selbstachtung besitzt, käme denn aus freien Stücken zum schmierigen Beckmann, zur krachkessen Frau Will, zum Gackerfredy Lanz, wenn er dort nicht sein neues Buch, die neue CD oder Tournee annoncieren könnte? 5000 Exemplare Mehrverkauf bringe ihm ein Auftritt in einer bundesweit ausgestrahlten Talkshow, erzählte mir ein Bestsellerautor. Wenn eine Nase, die gerade kein privates Produkt auf dem Markt geschmissen hat, bei „3 nach 9“ oder in der NDR-Talkshow aufscheint, dann handelt es sich um einen Schauspieler, der demnächst in einer Serie des Staatsfunks antritt. Also auch um Schleichwerbung.

Was nun die angeblich schwindende Medienvielfalt betrifft: dass Blätter irgendwann scheitern, die bereits mausetot zur Welt kamen, wie die „Financial Times Deutschland“, gehört zwingend zur Marktwirtschaft. Die darüber jammern, verwechseln Planstelleninhabe mit Medienvielfalt. Dass für ein linkes Schnarchblatt wie die „Frankfurter Rundschau“ kein Bedarf mehr bestand, war seit den späten 1980ern klar. Die Redaktion sollte der SPD und Dumont die Füße küssen, dass sie noch bis 2012 mit enormen Summen durchgefüttert wurde. Und dass die SPD-nahe „Westfälische Rundschau“ als originäres Blatt verschwunden ist, sie, die den gleichen Käse druckte wie alle anderen WAZ-Blätter, schmerzt natürlich ihre Redakteure. Doch kaum einen sonst. Den Verlust von ein bisschen gedrucktem Lokalkolorit machen die zahlreichen Websites und Blogs aus der Region leicht wett.

Interessanterweise werden die neuen Medien von Reporter ohne Grenzen, in dessen Kuratorium nur Leute aus den alten Medien sitzen (darunter gleich vier Vertreter des Staatsfunks), gar nicht in die Medienvielfalt-Rechnung einbezogen.

Keine Frage, mit der deutschen Meinungsvielfalt ist es manchmal nicht weit her. Inhaltlich. Bei Reizthemen wie Euro, Sozialpolitik, Islamismus, Immigration, Klimawandel, Energie, USA, Israel usf. lässt sich das leicht feststellen. Dass das gleichgerichtete Mainstream-Geschnatter, von der Münchener Prantl-Prawda oder der Hamburger Alt-Haubitze ausgehend, sich noch immer wellenartig bis in die Kommentarspalten der letzten Mantelredaktion aus der norddeutschen Grünkohl-Diaspora ausbreitet - darüber könnte man sicher lamentieren.

Die ROG-Leute sehen die Meinungsvielfalt anderweitig bedroht. Wäre besser, sie blieben bei ihrem Kerngeschäft. Dem Schutz verfolgter Journalisten in Staaten, wo Journalisten wirklich verfolgt werden. Verdienstvolle Vereine, deren Ruf von Eiferern ruiniert wurde, gibt es bereits. Amnesty International, zum Beispiel.

http://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/rte/docs/2013/130129_Methode_Rangliste.pdf

 

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