Jede Stadt hat ihre Sorgen. Hier sind die aktuellen politischen aus Wien: Man muss seine Zeit nicht im Kaffeehaus vertrödeln. Man könnte stattdessen zum Beispiel an einer Uni-Demo teilnehmen. Verglichen mit Berliner Demos, bei denen es schon mal zur Sache gehen kann, verlaufen Wiener Demos allerdings meistens geradezu gemütlich. Die Studenten wehren sich derzeit zu Recht gegen massive Sparpläne der Regierung und versprechen einen „heißen Herbst“.
Viele Wiener jammern, andere tun was: Der Wiener Bauunternehmer Richard Lugner, genannt „Mörtel“, international bekannt aus der Opernball-Berichterstattung - er lädt sich jedes Jahr eine hübsche Frau aus Hollywood ein, mit der er dann durch Wien charmiert - kennt sich auch in der Politik aus. Er hat schon mal erfolglos für das Amt des Bundespräsidenten (wird in Österreich vom Volk gewählt) kandidiert und verfährt in der Berichterstattung um sein turbulentes und hemmungslos zur Schau gestelltes (Privat-)-Leben offenbar nach der Philosophie Harald Juhnkes, der einmal sagte: „Hauptsache, mein Name ist richtig geschrieben“. Der 78jährige Mörtel kennt keine PR-Skrupel und keine Müdigkeit. Er singt sich neuerdings in Lederhosen durchs Land. Textauszug: „I bin der Lugner, olé,olé…!“ Man kann ihm einfach nicht böse sein.
Im Wiener Parlament ist die Stimmung derzeit gedämpfter. Hier ist niemandem nach Singen zumute. Es geht um Macht und Sparen. Österreich muss sein Defizit in den Griff bekommen, Optimisten trösten sich mit der Tatsache, dass das Land bei der Verschuldung im EU-Mittelfeld liegt, Pessimisten und Realisten ist das natürlich zu wenig. Und dann wäre da noch das Problem mit der FPÖ. Es gibt in Wien Bezirke, in denen die FPÖ mit Frontmann Heinz-Christian Strache bei den kürzlich stattgefundenen Gemeinderatswahlen 40 Prozent erreicht hat. Seltsame Landstriche, fürwahr. Die Plakate der Wahlen hängen immer noch, Heinz-Christian Strache (FPÖ), der sich selbst „HC Strache“ (dann lieber Mörtel!) nennt, grinst Passanten noch immer allüberall entgegen.
Wie der verstorbene Jörg Haider setzt auch der Wiener Politiker auf vermeintlichen Schwiegersohn-Charme und befremdliche Slogans wie „Abendland in Christenhand“. Bei der Landtags- und Gemeinderatswahl vom 10. Oktober wurde die FPÖ mit Spitzenkandidat HC und Wahlsprüchen wie zum Beispiel „Sarrazin statt Muezzin“ zur zweitstärksten Partei Wiens, seitdem gibt es turbulente Koalitionsverhandlungen. Strache forderte im Parlament gerade „die Befreiung vom rot-schwarzen Stillstand“. Gähn. Weniger Stillstand kann man immer fordern - oder es auch gleich lassen. Am Wochenende findet eine Regierungsklausur statt, danach soll das Budget für 2011 feststehen. Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) pocht auf Solidarität. Das ist ein ebenso edles wie vages Wort, das niemandem weh tut. Entscheidungen müssen trotzdem fallen.
Nur in einem sind sich Österreicher und ihre Volksvertreter derzeit beinahe alle einig: Die Vorgehensweise der Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) erzürnt vermutlich sogar jene Menschen, die meinen, dass in Österreich zu viele Ausländer leben. Der aktuelle Fall der Familie Komani, die aus dem Kosovo nach Österreich kam, beherrschte in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen: Der Vater wurde mit seinen beiden achtjährigen Zwillingstöchtern kurzerhand in sein Herkunftsland abgeschoben. Dabei hatten die Komanis, die sich in der oberösterreichischen Stadt Steyr ein Leben in Freiheit aufbauen wollten, alles richtig gemacht, sich integriert, die Landessprache gelernt, der Vater arbeitete als Gärtner. Die Mutter der Kinder war dem jahrelangen Druck der drohenden Abschiebung nicht gewachsen und befindet sich in Wien in psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus.
Vater und die Kinder sind im Kosovo und dürfen nun zurückkehren, allerdings gibt es noch keinen verbindlichen Termin. Im Fernsehen gab es Bilder des weinenden, hilflosen Vaters und seiner verstörten Kinder, die von jetzt auf gleich wieder im Kosovo gelandet waren. Der Vater erzählt den Kindern, dass es sich nur um einen kleinen Urlaub handelt. Bleibt zu hoffen, dass die Mädchen das glauben, denn sie wurden in der vergangenen Woche unverhofft am frühen Morgen von der Polizei abgeholt und bis zu ihrem Abflug in Schubhaft genommen. Was soll man von einem Staat halten, der achtjährige Kinder in eine Zelle steckt? Ein sogenanntes „humanitäres Visum“ soll den dreien nun die Rückkehr nach Wien ermöglichen. Drei Menschen, die ein Gewinn für Österreich sind. Bürger der Stadt Steyr, in der die Komanis ein paar Jahre gelebt hatten, planen einen Solidaritäts-Fackelzug für die Komanis. Ein Hoffnungsschimmer.
Silvia Meixner ist Wienerin, Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de