Silvia Meixner / 21.10.2010 / 09:49 / 0 / Seite ausdrucken

Wiener Brut

Jede Stadt hat ihre Sorgen. Hier sind die aktuellen politischen aus Wien: Man muss seine Zeit nicht im Kaffeehaus vertrödeln. Man könnte stattdessen zum Beispiel an einer Uni-Demo teilnehmen. Verglichen mit Berliner Demos, bei denen es schon mal zur Sache gehen kann, verlaufen Wiener Demos allerdings meistens geradezu gemütlich. Die Studenten wehren sich derzeit zu Recht gegen massive Sparpläne der Regierung und versprechen einen „heißen Herbst“.

Viele Wiener jammern, andere tun was: Der Wiener Bauunternehmer Richard Lugner, genannt „Mörtel“, international bekannt aus der Opernball-Berichterstattung - er lädt sich jedes Jahr eine hübsche Frau aus Hollywood ein, mit der er dann durch Wien charmiert - kennt sich auch in der Politik aus. Er hat schon mal erfolglos für das Amt des Bundespräsidenten (wird in Österreich vom Volk gewählt) kandidiert und verfährt in der Berichterstattung um sein turbulentes und hemmungslos zur Schau gestelltes (Privat-)-Leben offenbar nach der Philosophie Harald Juhnkes, der einmal sagte: „Hauptsache, mein Name ist richtig geschrieben“. Der 78jährige Mörtel kennt keine PR-Skrupel und keine Müdigkeit. Er singt sich neuerdings in Lederhosen durchs Land. Textauszug: „I bin der Lugner, olé,olé…!“ Man kann ihm einfach nicht böse sein.

Im Wiener Parlament ist die Stimmung derzeit gedämpfter. Hier ist niemandem nach Singen zumute. Es geht um Macht und Sparen. Österreich muss sein Defizit in den Griff bekommen, Optimisten trösten sich mit der Tatsache, dass das Land bei der Verschuldung im EU-Mittelfeld liegt, Pessimisten und Realisten ist das natürlich zu wenig. Und dann wäre da noch das Problem mit der FPÖ. Es gibt in Wien Bezirke, in denen die FPÖ mit Frontmann Heinz-Christian Strache bei den kürzlich stattgefundenen Gemeinderatswahlen 40 Prozent erreicht hat. Seltsame Landstriche, fürwahr. Die Plakate der Wahlen hängen immer noch, Heinz-Christian Strache (FPÖ), der sich selbst „HC Strache“ (dann lieber Mörtel!) nennt, grinst Passanten noch immer allüberall entgegen.

Wie der verstorbene Jörg Haider setzt auch der Wiener Politiker auf vermeintlichen Schwiegersohn-Charme und befremdliche Slogans wie „Abendland in Christenhand“. Bei der Landtags- und Gemeinderatswahl vom 10. Oktober wurde die FPÖ mit Spitzenkandidat HC und Wahlsprüchen wie zum Beispiel „Sarrazin statt Muezzin“ zur zweitstärksten Partei Wiens, seitdem gibt es turbulente Koalitionsverhandlungen. Strache forderte im Parlament gerade „die Befreiung vom rot-schwarzen Stillstand“. Gähn. Weniger Stillstand kann man immer fordern - oder es auch gleich lassen. Am Wochenende findet eine Regierungsklausur statt, danach soll das Budget für 2011 feststehen. Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) pocht auf Solidarität. Das ist ein ebenso edles wie vages Wort, das niemandem weh tut. Entscheidungen müssen trotzdem fallen.

Nur in einem sind sich Österreicher und ihre Volksvertreter derzeit beinahe alle einig: Die Vorgehensweise der Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) erzürnt vermutlich sogar jene Menschen, die meinen, dass in Österreich zu viele Ausländer leben. Der aktuelle Fall der Familie Komani, die aus dem Kosovo nach Österreich kam, beherrschte in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen: Der Vater wurde mit seinen beiden achtjährigen Zwillingstöchtern kurzerhand in sein Herkunftsland abgeschoben. Dabei hatten die Komanis, die sich in der oberösterreichischen Stadt Steyr ein Leben in Freiheit aufbauen wollten, alles richtig gemacht, sich integriert, die Landessprache gelernt, der Vater arbeitete als Gärtner. Die Mutter der Kinder war dem jahrelangen Druck der drohenden Abschiebung nicht gewachsen und befindet sich in Wien in psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus.

Vater und die Kinder sind im Kosovo und dürfen nun zurückkehren, allerdings gibt es noch keinen verbindlichen Termin. Im Fernsehen gab es Bilder des weinenden, hilflosen Vaters und seiner verstörten Kinder, die von jetzt auf gleich wieder im Kosovo gelandet waren. Der Vater erzählt den Kindern, dass es sich nur um einen kleinen Urlaub handelt. Bleibt zu hoffen, dass die Mädchen das glauben, denn sie wurden in der vergangenen Woche unverhofft am frühen Morgen von der Polizei abgeholt und bis zu ihrem Abflug in Schubhaft genommen. Was soll man von einem Staat halten, der achtjährige Kinder in eine Zelle steckt? Ein sogenanntes „humanitäres Visum“ soll den dreien nun die Rückkehr nach Wien ermöglichen. Drei Menschen, die ein Gewinn für Österreich sind. Bürger der Stadt Steyr, in der die Komanis ein paar Jahre gelebt hatten, planen einen Solidaritäts-Fackelzug für die Komanis. Ein Hoffnungsschimmer.
Silvia Meixner ist Wienerin, Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Silvia Meixner / 08.09.2015 / 12:00 / 1

Silvis Culture Club (80): Exquisite Dummheit über den Wolken

Air Berlin schickt mir eine sensationelle Offerte: „Machen Sie uns ein Angebot für einen freien Nebensitz“. Die Idee ist so penetrant wie sinnfrei und ich…/ mehr

Silvia Meixner / 06.09.2015 / 09:26 / 2

Silvis Culture Club (79): Wiener Flüchtlingshilfe mit Tücken

Weekendbesuch in der Heimat. In Wien gibt es derzeit nur ein Thema: Die Flüchtlinge. Die häufigste Frage dieser Tage im Bekanntenkreis: „Wie helfen wir?“ Es…/ mehr

Silvia Meixner / 30.10.2014 / 10:34 / 2

Wie kann man den Jesiden helfen?

Die IS hat im nordirakischen Sindschar-Gebirge tausende Jesiden eingekreist – es sind rund zehntausend Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollen. Die IS setzt auf…/ mehr

Silvia Meixner / 31.03.2014 / 00:16 / 1

Silvis Culture Club (56): Österreich geht in die Luft

Podersdorf gehört zu jenen Orten auf unserem Planeten, die man nicht kennen muss - aber wenn man einmal dort war, hat man ihn und sein…/ mehr

Silvia Meixner / 28.08.2013 / 23:41 / 5

Reisetagebuch Tirol: Der Berg ruft - der Berg dankt!

Hollareduljöö! Der Berg ruft. Aber diesmal nicht zum Vergnügen, sondern zur harten Arbeit. Mein Feind des Tages heißt Sauerampfer. Ich habe noch nie über ihn…/ mehr

Silvia Meixner / 18.04.2013 / 23:03 / 0

Silvis Culture Club (37): Salzburger Reisetagebuch – Wir Ösis verkleiden uns nicht!

In Salzburg gibt es nicht nur Mozart und seine Kugeln. Deshalb widmen wir uns der Tracht: Salzburg für Fortgeschrittene! Heute gibt’s ja in jedem besseren…/ mehr

Silvia Meixner / 03.03.2013 / 20:28 / 0

Silvis Culture Club (33) Salzburger Reisetagebuch – Die Geissens sind gelandet!

Mit dem Hubschrauber. Wie bescheiden. Eigentlich forderten sie noch einen weißen Tiger und sechs Harleys, aber da haben die Salzburger nicht mitgemacht. Sie haben einfach…/ mehr

Silvia Meixner / 11.02.2013 / 23:07 / 0

Silvis Culture Club (32): Tiroler Tagebuch - Froher Gast, niemals Last!

Zwei Hunde auf der Skipiste! Anderswo würde man sie jetzt vermutlich gnadenlos über den Haufen fahren oder die Besitzer lynchen. Auf dem Grünberg in Tirol…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com