Annette Heinisch / 07.10.2021 / 12:00 / Foto: Imago / 77 / Seite ausdrucken

Verwaltungsrichter verurteilen Söders Menschenbild

Reinhard kommentiert in der FAZ: „Doch der Wille, insbesondere Söders, richtete sich eher auf die Verhinderung Laschets als auf eine Regierungsbeteiligung der Union. CDU und CSU waren alles andere als geschlossen-konstruktiv und haben es insgesamt dem anderen Lager leicht gemacht: als Hebammen einer Ampel-Koalition.“ In der Tat hätte ein gemeinsamer Wahlkampf der Union möglicherweise den Unterschied von 1,7 Prozent gebracht, der zum Sieg fehlte. 

Erst als die CSU, allen voran Söder, kurz vor der Wahl aufhörte, den Unions-Wahlkampf konsequent zu torpedieren, zogen die Zustimmungswerte an. Vermutlich war eher das Eigeninteresse Söders für diesen Kurswechsel maßgebend, denn zu diesem Zeitpunkt drohte seine CSU unter 30 Prozent zu rutschen. Der Kurswechsel hielt aber nur bis zur Wahl, danach zückte er wieder das Messer. Er will die Macht und lässt keinen neben sich bestehen. Söders Machtstreben ist legendär, durch nichts besser in Szene gesetzt als das Foto aus der Spiegelgalerie in Herrenchiemsee, wo er die Kanzlerin im Juli 2020 empfing. Passend zu diesem Ambiente regierte er auch in der Corona-Pandemie. Er sperrte seine Bürger weg, die Corona-Maßnahmen waren in keinem Bundesland rigider als in Bayern. Bei den Wahlen bekam er die Quittung, nur 31,7 Prozent wählten CSU, damit verlor er 7,1 Prozent der Wählerstimmen. 

Nun kommt die Quittung auch von anderer Seite; der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, das höchste Gericht Bayerns, schritt zur nachträglichen Gefangenenbefreiung. Es entschied, dass die nächtliche Ausgangssperre unwirksam gewesen sei: „Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war”.

Grund dafür war, dass die Maßnahmen gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstießen. Dabei hat das Gericht offenbar bereits die Eignung der Generalklausel als Rechtsgrundlage in Zweifel gezogen, weil diese ursprünglich nur für begrenzte Betretungsverbote von Gebieten, z.B. bei Tollwutgefahr, gedacht sei. Die Richter meinten im Übrigen, dass, wenn den Bürgern von vornherein rechtswidriges Verhalten unterstellt würde, dies für ein fragwürdiges Menschenbild spräche. Ähnlich hatte bereits zuvor das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, welches in einem Eilverfahren eine nächtliche Ausgangssperre für unverhältnismäßig hielt (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht vom 06.04.2021, Az.: 13 ME 166/21).

Söders Verhalten müsste politische Konsequenzen haben

Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die allerdings zur Revision zugelassen wurde, müsste unter normalen Umständen zum sofortigen Rücktritt des Ministerpräsidenten führen. Es geht hier schließlich nicht um peanuts, sondern um die Anordnung drastischer, freiheitsentziehender Maßnahmen über einen längeren Zeitraum. Hausarrest – und ein solcher war es weitgehend – ist in vielen Ländern eine Form der Strafe anstelle der Gefängnisstrafe. Wenn also in einem freiheitlichen Rechtsstaat einer Regierung bescheinigt wird, die Freiheitsrechte ihrer Bürger unverhältnismäßig eingeschränkt zu haben, dies auch noch mit einer fragwürdigen Begründung, so müsste ein solches Verhalten natürlich politische Konsequenzen haben. 

Dass die Politik bei der Corona-Pandemie das Maß verloren hat, haben in der Vergangenheit bereits namhafte Juristen beklagt. Öffentlich wurde kürzlich die massive Kritik des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Dabei geht es nicht um die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen; es geht um das grundsätzliche Staatsverständnis, das Verhältnis von Staat und Bürger: 

Sind wir freie Bürger eines freien Landes, eigenverantwortlich und selbstbestimmt handelnd mit dem Staat als unserem Diener? Das ist das Menschenbild des Grundgesetzes. Oder sind wir die betreuten Mündel der Obrigkeit, der Staat ist unser Herr und Erzieher, wir nur die unmündigen Diener des Herrn? Das ist weitgehend die Realität.

Dabei geht es nicht nur darum, dass Majestätsbeleidigung unter anderem Etikett wieder verfolgbar geworden ist oder um den Umstand, dass wir mehr als die Hälfte der Zeit für den Staat arbeiten, also auch insoweit nicht mehr unser eigener Herr, sondern vor allem Staatsdiener sind. 

Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe

Es geht auch darum, wie sehr wir uns in unserer Lebensgestaltung durch staatliche Vorgaben, Gesetze, Bürokratie, Subventionen oder Sanktionen steuern oder durch das Wechselspiel von Ein- und Ausgrenzung u.a. „nudgen“ lassen. Die Krönung dieser Entwicklung weg von dem, was uns unsere auf autoritärer Erfahrung basierende Verfassung vorgibt, ist aber ein unverhohlen als Herrscher auftretender Ministerpräsident, der sich offenbar an Macht berauscht und seine eigenen Interessen über die seiner Partei, vor allem aber die Deutschlands stellt.

Beängstigend bleibt, dass und wie viele Söder als Heilsbringer ansehen. Zweifellos sollte eine Führungspersönlichkeit ein entsprechendes Format mitbringen. Es dürfte auch erkennbar sein, dass die Wähler sich nach all den schwurbeligen und indifferenten Merkeljahren nach einer klaren, man könnte sagen „maskulinen“ Führung sehnen. Form und Format ersetzen aber nicht Inhalt. Ein Mensch, welcher den Versuchungen der Macht erliegt, ist grundsätzlich untauglich für einen Führungsposten.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Bestand hat. Sollte dies der Fall sein, könnten Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe auf den Freistaat zukommen. Die Frage, ob darüber hinaus grundsätzlich eine unzulässige Freiheitsberaubung durch Ausgangssperren außerhalb eines konkreten Schadens zu entschädigen ist, dürfte dann demnächst die Gerichte beschäftigen. 

Es bleibt zu hoffen, dass die Judikative ihrer Rolle als dritte Gewalt, die die Einhaltung des Rechts – nicht der einfachen Regierbarkeit – garantieren soll, gerecht wird.

 

Hinweis der Redaktion: Auch zum Thema "Impfzwang" gibt es ein neues verfassungsrechtliche Gutachten.

Foto: Imago

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HDieckmann / 07.10.2021

Dann haben wir in Bayern also keinen Ministerpräsidenten, sondern einen Gefängnisdirektor.

Chr. Kühn / 07.10.2021

Herr Kleinophorst: In der Politik gilt, daß der, der Anstand hat, keinen Verstand hat. Und der mit Verstand hat keinen Anstand. Sollte einer zufällig doch beides haben, ist er schlechterdings nicht zuständig. MS wird maximal eine Augenbraue hochziehen, und den Rest dann der Ablage “P” übergeben.

Dr Stefan Lehnhoff / 07.10.2021

Nahezu ALLE sog. Corona Maßnahmen waren illegal und ausnahmslos alle unsinnig. Auch interessant, dass man in einem „Rechtsstaat“ Schadenersatz einklagen kann, wenn man illegal wird gesperrt wird nicht selbstverständlich scheint, sondern hier als Frage aufgeworfen wird. Typen wie Söder gehören vor Nürnberg 2. Ich weiß, die Chancen sind nicht gut, aber wenn das nicht je passiert, bedeutet es dem Untergang eines freiheitlichen Menschenbildes und damit unserer Zivilisation- nicht weniger. Es ist aus vielen Gründen eben nicht wie 1945 oder 1990. Letzte Chance, macht Euch das klar! In 3 Jahren oder 33- das sind die Alternativen.

f. roheim / 07.10.2021

Das Verwaltungsgericht hatte offenbar 16 Monate lang Wichtigeres zu tun. Und den Schadensersatz bezahlen - Anerkennung vorausgesetzt - die bayerischen Untertanen selbst, nicht “der Staat”.  Weg mit Söder & Co.  ab 14.10.  “buendnis-landtag-abberufen.de”  .

Walter Weimar / 07.10.2021

Wer Söder diesmal gewählt hat, der muß mit dem Klammerbeutel gepudert sein. Über so einem Wähler kann mal nur noch ein Kreuz machen, der ist vom lieben Gott verlassen. Söder hat mit Tradition, Demokratie, Kultur und Anstand, selbst oder vorallem in Bayern, nichts mehr gemeinsam.

Ute Dremmel-Schulte / 07.10.2021

Honecker (jawoll - ich ziehe diesen Vergleich!) wurde -wie fast alle Diktatoren- nie zur Verantwortung gezogen. Er entging einer Verurteilung, indem er Grund- und Menschenrecht für sich beanspruchte: “Ätschi-Bätschi!”. Die Allgemeinheit könnte sich noch heute darauf verständigen, daß diejenigen, die Grund- und Menschenrechte Dritter infrage stellen oder einschränken, diese nie wieder zu eigenen Gunsten einfordern können. Würde dieser Grundsatz einmal praktiziert, wäre spätestens morgen Frieden auf der Welt. Fazit: Entweder die Zivilisation beseitigt diesen Doppelstandard, oder dieser Doppelstandard beseitigt die Zivilisation.

Petra Wilhelmi / 07.10.2021

Frau Heinisch, Ihr Artikel in allen Ehren, aber woher wollen Sie wissen, dass nicht gerade das, was Söder in der Corona-Plandemie abliefert, so gewollt ist? Es gibt keinen Rechtsstaat mehr und sicherlich wird in der Revision Söder wieder weiß gewaschen werden. Sollte mich arg wundern, wenn dann das andere Gericht nicht einen Wink bekommt.

Dr. med. Jesko Matthes / 07.10.2021

Söder? Dem passiert nichts. Das war damals Notstand, ist es noch, und der rechtfertigt alles. Söder hat längst ganz andere Sorgen. Fragt sich, wo die ersehnte Ampel bleibt, wie alle Geisterfahrer. Und wenn die Ampel ausfällt… heißt es dann plötzlich rechts vor links? Und wo ist rechts und wo links, wenn man in der verkehrten Fahrtrichtung unterwegs ist? Das sollen die bei CSU und CDU jetzt mal schön gemütlich unter sich klären. Was uns die Ausgangssperre, das denen ihre Klausurtagung. Viel Vergnügen!

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