Hansjörg Müller / 12.03.2014 / 12:56 / 5 / Seite ausdrucken

Unheimliche Aktivisten

Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Israel-Kritik und Antisemitismus? Allein schon die Frage ist problematisch, denn hat sich jemals irgendjemand gefragt, worin legitime Russland-, Slowakei- oder Guatemala-Kritik bestehen könnte?

Dabei ist es gar nicht so schwierig, zu unterscheiden. Selbstverständlich darf man Israel kritisieren: Ohne weiteres kann man etwa die Meinung äussern, dass die Siedlungspolitik, die der jüdische Staat im Westjordanland verfolgt, eine mögliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts eher erschwert als erleichtert. Doch gibt es auch Fälle, in denen der Verdacht des Antisemitismus zur Gewissheit wird: Dies ist dann der Fall, wenn an Israel strengere Massstäbe angelegt werden als an alle anderen Staaten, wenn falsche Tatsachen verbreitet werden oder dem Land das Existenzrecht abgesprochen wird.

Eine europäische Obsession

In den meisten Ländern Europas ist Israel-Kritik längst zu einer Obsession geworden, die in allen politischen Lagern mehr oder weniger verbissen verfolgt wird. Bei den Damen und Herren, die auf dieser Seite abgebildet sind, handelt es sich um ganz besonders engagierte Kritiker des jüdischen Staates. Sie gehören der globalen Bewegung BDS («Boycott, Divestment, and Sanctions») an und fordern einen Boykott israelischer Waren, den Abzug ausländischer Investitionen sowie politische Sanktionen. Zu den Unterstützern zählen amtierende und ehemalige Nationalräte wie Andrea Hämmerle, Geri Müller und Daniel Vischer, aber auch Arnold Hottinger, der frühere, langjährige Nahostkorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung».

Zweierlei Mass

«Israelische Produkte? Kaufe ich nie!», sagen diese Israel-Kritiker voller Stolz und berufen sich dabei auf das völkerrechtswidrige Gebaren des jüdischen Staates. Doch haben dieselben Leute mit ähnlichem Engagement zu einem Boykott Russlands aufgerufen, seit dessen Truppen in der Ukraine operieren? Und sind marokkanische Orangen für Müller, Hämmerle und Hottinger genauso tabu wie jene aus Jaffa, nachdem Marokko nun seit 1979 die Westsahara besetzt hält?

Derartige Einwände kümmern die Israel-Kritiker nicht. Und eben damit wird ihr Boykottaufruf zum reinen Willkürakt gegen das jüdische Volk, der unweigerlich Erinnerungen an die 1930er-Jahre weckt, als der Pöbel durch deutsche Städte zog und «Kauft nicht bei Juden!» auf die Schaufenster jüdischer Geschäfte schmierte.

Bezeichnend ist auch, dass sich die Schweizer BDS-Mitglieder in ihrer Kritik von Tatsachen nicht beirren lassen: Israel sei ein Apartheidsstaat, behaupten sie ebenso falsch wie erwartbar. Sicher kommt es gelegentlich vor, dass israelische Araber diskriminiert werden, doch zeugt der Vorwurf der Apartheid von Masslosigkeit und Unwissenheit: In der Knesset, dem israelischen Parlament, gibt es arabische Abgeordnete und dem Obersten Gerichtshof des Landes gehört seit 2004 ein arabischer Israeli an. Alles in allem ergeht es Israels arabischer Minderheit besser als der muslimischen Mehrheit in den meisten arabischen Staaten.

Ein neuer Holocaust

Am verräterischsten ist freilich dieser Satz im Schweizer BDS-Manifest: «‹Die PalästinenserInnen haben einfach Pech, an der Existenz Israels ist nicht mehr zu rütteln› – so der resignative Grundtenor angesichts eines scheinbar unlösbaren Konflikts.»

Unwillkürlich fragt sich der Leser: Was sind das für Menschen, die es für ein Unglück halten, dass an der blossen Existenz des jüdischen Staates angeblich nichts zu ändern sei? Nein, wer so redet, fordert keine Zweistaatenlösung, sondern das Ende Israels. Weswegen es konsequent ist, dass die BDS-Leute auf dem Recht aller palästinensischen Flüchtlinge auf «Rückkehr zu ihren Wohnstätten und ihrem Besitz» bestehen. Eine Forderung, deren Verwirklichung unweigerlich auf die Vertreibung der Juden aus dem Nahen Osten oder auf einen neuen Holocaust hinausliefe. Es sind unheimliche Aktivisten, mit denen wir es hier zu tun haben. Ihre Forderungen zeugen von mangelndem Urteilsvermögen, Herzenshärte und schierer Dummheit.

Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 12.3.14

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Heinz Schwob / 13.03.2014

Ja, sehr gut geschrieben. Man sieht ja, dass weder die Rückgabe des Sinai noch des Gazastreifens die Araber davon abhält, die Juden vernichten zu wollen!

Ruth Würsch / 13.03.2014

Klarer Text!! Und ‘europäische Obsession’ ist ein treffender Übertitel. Leon Pinsker hat es 1882 so ausgedrückt: „Die Judophobie ist eine Psychose. Als Psychose ist sie hereditär, und als eine seit zweitausend Jahren vererbte Krankheit ist sie unheilbar.“ Man kann also durchaus der BDS Bewegung ein kollektives OCD diagnostizieren.

Sieglinde Wuttke / 13.03.2014

Vielen Dank für diesen guten Artikel. Es scheinen so kluge Köpfe zu sein, doch an der Israel-Wahrheit scheiden sich die Geister. Ich würde sie nicht einmal nur für “dumm” bezeichnen, die BDS-Mitglieder und Israel-Kritiker sind viel gefährlicher, weil sie den Geist Hitlers in sich tragen: Kauft nicht bei Juden.

Christopher Reiss / 13.03.2014

“Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Israel-Kritik und Antisemitismus?” Allein schon diese Frage des Autors ist problematisch, denn hat sich jemals irgendjemand gefragt, worin illegitime Israel-Kritik bestehen könnte? Oder warum eine Israel-Kritik zwingend legitim sein muss, damit sie nicht sofort als “anti-semitisch” erkennbar wird? Kann man nicht einfach seine Meinung sagen - und sei sie auch noch so dumm oder falsch – ohne gleich als “Anti“ bezeichnet zu werden? Jakob Augstein könnte endlich aufatmen. Klar gibt es Anti-Semitismus. Wenn die dumme oder falsche Meinung systematisch und dauerhaft in eine gleiche Richtung tendiert, dann darf man durchaus von einer “Anti”-Haltung ausgehen. Auch die BEWUSSTE Verbreitung falscher Tatsachen legt einen solchen Schluss nahe. Den Staat Israel und seine Bürger PAUSCHAL in einen negativen Kontext zu stellen oder gar das Existenzrecht in Frage zu stellen, kann sogar jederzeit als Anti-Semitismus interpretiert werden. Was allerdings NIEMALS von vornerein als “Anti” ausgelegt werden sollte, sind die “strengeren” Maßstäbe, die man an das eine oder andere Land anlegt. Es ist nicht möglich an alle Länder die gleichen Maßstäbe anzulegen. Israel, USA oder die BRD sind z.B. Demokratien, die den Menschrechten offensiv das Wort reden und oft auch durchsetzen, während z.B. Iran oder Nordkorea totalitäre Staaten darstellen, die die Menschenrechte - nach demokratischem Verständnis – systematisch mit Füssen treten. Natürlich werden von Demokratieaffinen Menschen da andere Maßstäbe angelegt, weil jeweils auch andere Erwartungen geweckt werden. Je höher die Erwartung, desto schneller kann man enttäuscht oder einer vermeintlichen Widersprüchlichkeit bewusst werden. Eine daraus resultierende Kritik und vielleicht auch Einseitigkeit ist aber nicht als “Anti” zu verstehen, zumindest wenn es nicht gar zu oberflächlich wird. Unterschiedliche Maßstäbe sind unvermeidbar und auch menschlich. In Deutschland ist der Bezug zum eigenen Land, zu den USA oder Israel natürlich stärker ausgeprägt als zu Nigeria oder Russland, zu denen der historische bzw. kulturelle Bezug nun mal nicht gleichermassen vorhanden oder ausgeprägt sein kann.

Elisabeth Zillmann / 12.03.2014

Danke, einfach nur danke!

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hansjörg Müller / 23.11.2017 / 18:00 / 0

Hang on, Berlin busy

Verglichen mit anderen europäischen Ländern und gemessen an seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung ist Deutschland in weiten Teilen der britischen Presse eher untervertreten. Das westliche…/ mehr

Hansjörg Müller / 02.10.2017 / 16:05 / 8

Ein Besuch in der “Islamischen Republik Tower Hamlets”

Von Hansjörg Müller. Es scheint, als sei es im Rathaus von Tower Hamlets nicht überall ratsam, laut zu reden. "Willkommen in Grossbritanniens dysfunktionalstem Bezirk", raunt…/ mehr

Hansjörg Müller / 16.08.2017 / 15:25 / 4

Wegschauen bis zum Gehtnichtmehr

Die skandalösen Vorgänge, die Grossbritannien derzeit beschäftigen, haben sich über Jahre hingezogen. Dasselbe gilt für ihre Aufklärung: Am Mittwoch befand ein Gericht in Newcastle 17…/ mehr

Hansjörg Müller / 23.04.2017 / 06:25 / 0

Der neue Klassenkampf: Bodenpersonal gegen Raumfahrer

Interview. Hansjörg Müller sprach mit David Goodhart. Diejenigen, über die wir an diesem Nachmittag reden, sieht man an David Goodharts Wohnort nicht: Wer in Hampstead…/ mehr

Hansjörg Müller / 12.11.2016 / 06:20 / 0

Wenn Donald die Brechstange wegpackt

Donald Trump ist eine politische Blackbox. Für Journalisten macht ihn das attraktiv: Man kann endlos darüber spekulieren, was er als Präsident wohl tun wird. Zwar…/ mehr

Hansjörg Müller / 10.06.2016 / 06:15 / 2

Brexit: Reden wir doch mal mit den Briten statt über sie

Wer sich als britischer Historiker dieser Tage politisch äussert, scheint gar nicht vorsichtig genug sein zu können: Einen Reporter von Le Devoir aus Montreal hat…/ mehr

Hansjörg Müller / 24.05.2016 / 09:05 / 1

Österreich: Der weniger problematische Obskurant hat gewonnen

Es fiel schwer, in diesem Wahlkampf Partei zu ergreifen. Alexander Van der Bellen, Österreichs neuen Bundespräsidenten, verband mit seinem Gegner Norbert Hofer mehr, als beider…/ mehr

Hansjörg Müller / 26.04.2016 / 10:45 / 3

Bundespräsidentenwahl: Österreich lechts und rinks

Auf das Wahlergebnis folgte – wie meist – der Moment der Phrasendrescherei: Heinz-Christian Strache, der Chef der rechten FPÖ, trat vor die Kameras, überdreht, das…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com