Peter Grimm / 06.06.2019 / 13:00 / 44 / Seite ausdrucken

Träumen am taz-Schreibtisch

Zuweilen vergisst man inzwischen beim Scannen der deutschen Tagespresse die einst obligatorische Würdigung der taz. Einst stand sie mindestens für originelle Überschriften, manchmal auch für originelle Ideen. Der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts sehen sich die Kollegen aller Geschlechter in der dortigen Redaktion sicher immer noch verpflichtet. Doch das ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Inzwischen schreiben viele andere Zeitungen auch so, als würden sie ihren Lesern aller Geschlechter nicht mehr zutrauen, diskriminierungsfrei zwischen dem grammatikalischen und dem natürlichen Geschlecht so klar zu unterscheiden, wie es die eigenen Eltern und Deutschlehrer noch konnten und einem idealerweise auch noch beibrachten.

Lange vorbei die Zeit, als nur die taz die sprachliche Umerziehung wagte, seinerzeit noch mit dem Binnen-I, das mittlerweile gegenüber dem Gender-Gap und Gender-Stern geradezu reaktionär wirkt. Und die Blätter, die der frühere taz-Leser für reaktionär hielt, schreiben auch inhaltlich inzwischen das Gleiche wie die einstige Avantgarde. Selbst die FAZ hat sich in Inhalt, Sprache und grenzenlos toleranter Orthografie schon weit in Richtung des gesellschaftlichen Fortschritts bewegt.

Da setzt sich leicht der Eindruck fest, dass an den Schreibtischen in der taz gar nicht mehr politisch geträumt wird. Die Partei des Bionade-Biedermeier – ein Spektrum, aus dem auch die meisten der eigenen Leser kommen – ist inzwischen Umfrage-Sieger. Die taz-Redakteure können sich damit der herrschenden Klasse zugehörig fühlen. Dennoch ist der Eindruck falsch. Man sollte öfter in die taz schauen, denn da findet man doch noch Elemente einer eigenen Traum-Gesellschaft. Kostprobe gefällig?

„Führerscheine sollte man im Alter abgeben. Warum nicht auch das Wahlrecht? Ja, ich weiß ein Menschenrecht. Aber es sollte doch auch für uns Junge ein Menschenrecht darauf geben, mindestens Ende siebzig zu werden wie der durchschnittliche Mensch in Europa heute, und das, ohne abwechselnd von Sturmfluten und Waldbränden heimgesucht zu werden.

Was wir brauchen, ist eine Epistokratie der Jugend: das Wahlalter herabsenken und nach oben begrenzen oder zumindest deutliche Anreize dafür setzen, die eigene Stimme an Jüngere zu delegieren. Zugespitzt hieße das, Unschuldige vor einer in fundamentalen Fragen inkompetenten Wählerklientel zu schützen. Das kann man jetzt demokratiefeindlich finden, ich finde es nur vernünftig, sich darüber zumindest mal Gedanken zu machen.“

Weniger Wahlrecht! Weniger Demokratie wagen! Unmündige an die Wahlurne und keine Stimme den falschwählenden Alten! Allerdings klingt die gedankenreiche Kollegin mit dem Begriff „Epistokratie der Jugend“ noch ein bisschen zu sehr nach FAZ-Feuilleton, um so richtig revolutionär zu sein. Aber dennoch, hier ist die taz noch Vorreiter, wie einst beim Binnen-I.

Aber schafft es die taz wirklich, aus den vielen Redaktionen des Fortschritts herauszuragen? War das Zitierte vielleicht ein Einzelfall? Ich gebe zu, in den letzten Monaten nicht genau genug taz gelesen zu haben, um das beurteilen zu können. Aber vielleicht gibt es einen weiteren Hoffnungsschimmer vom Kommentator zum Trump-Besuch in London:

„Die Queen ertrug den ungebetenen Gast tapfer und empfing ihn mit Pomp und Gloria und 41 Salutschüssen, die ihn allesamt verfehlten.“

Von der Erschießung des US-Präsidenten träumt man an taz-Schreibtischen also immer noch. Das gibt’s im FAZ-Feuilleton noch nicht, oder?

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Corinne Henker / 06.06.2019

Gegenvorschlag: Aktives Wahlrecht nur noch für Netto-Steuerzahler. Passives Wahlrecht nur mit abgeschlossener Berufsausbildung/Studium plus mind. 5 Jahre Netto-Steuerzahlung, ab Landtag zusätzlich Mindest-IQ von 120, für die Bundesregierung Mindest-IQ 130. Vielleicht könnte man so etwas Hirn und Sachverstand in die Politik bringen und die “Eliten” würden diese Bezeichnung wieder verdienen?

Stefan Riedel / 06.06.2019

Freie, geheime und gleiche Wahlen ? Nicht mit den Grünen und ihren Presseorganen. Also beim schleifen des “gleich” sind sie jetzt angelangt. “Geheim” und “frei” ist auch nur noch eine Frage der Zeit. Auf zur Wahl der “Grünen Einheitsfront”. Mit ökologistischem Klimagruß!

Hans Weiring / 06.06.2019

Was das Generationen-Thema anbelangt, da hat die US-Filmindustrie schon Anfang der 70er Jahre zielführende Handreichungen angeboten. Der Film “Soylent Green“ mit C. Heston und Edward G. Robinson regt zum Nachdenken an. Gerade im Zeichen der Klimakrise wäre das eine echte Lösung. Aber Leute wie Rezo der Blaue gucken ja nix, was nicht von irgendeinem Influänzer auf Juhtjuub stammt. Schade, wir könnten lösungstechnisch schon so viel weiter sein als nur die Pappe wegnehmen.

Dr. Joachim Lucas / 06.06.2019

Leute wie diese TAZ-Schreiberin sind sicher noch jung. Die frontalen Hirnlappen sind bei ihnen noch nicht voll entwickelt und dann kommt halt ein solcher Stuss raus. Besser wäre es das Wahlalter auf mindesten 21 raufzusetzen, damit wenigstens ein Teil solcher Leute zu klareren Gedanken kommt. Auch das natürlich ohne Gewähr. Schon Mark Twain schrieb: ” Als ich 18 war, stellte ich fest, dass mein Vater von nichts eine Ahnung hatte. Später merkte ich, dass er eine Menge dazugelernt hatte.” Aber bei der TAZ ist wohl insgesamt Hopfen und Malz verloren.

Petra Wilhelmi / 06.06.2019

Das Gegenteil wird gerade gemacht. Bürger, die unter Kuratel gestellt worden sind, dürfen ab jetzt wählen. Ein Schelm, wer Arges denkt.

Gerhard Döring / 06.06.2019

Junge Leute sind auch geadelt weil sie noch nicht so lange hier leben.Auf Werbeplakaten schauen sie oft so als habe man ihnen das Gehirn amputiert, eben Sinnig.Die wissen was und wählen das.Anders herum sollte man aber auch nicht auf die alten weißen Damen verzichten,die,wenn auch früh vergreist,abermals und bis zum Ende immer wieder richtig wählen.

Rudi Knoth / 06.06.2019

Herr Broder nannte die TAZ mal den “Kinderstürmer”. Da scheint was dran zu sein.

sybille eden / 06.06.2019

Nennt man so etwas nicht “ALTERSRASSISMUS” ? - oder besser noch : “SENIORENRASSISMUS”? ...ich fabuliere….

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com