Gastautor / 27.06.2009 / 11:11 / 0 / Seite ausdrucken

Thomas M. Eppinger: Nachruf auf eine Revolution

Iran hat gewählt und das Ergebnis ist in jedem Fall beängstigend. Entweder hat die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einen irren Antisemiten und notorischen Holocaustleugner als Präsidenten bestätigt, jenen Mann, für den Israel das grausamste rassistischste Regime der Welt ist, das er am liebsten ausradieren würde. Oder die Mullahs hinter Ahmadinejad sind sich ihrer innenpolitischen Macht dermaßen sicher, dass sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine Militärdiktatur errichten, die nicht einmal mehr auf minimalen Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen zu sein glaubt.

Nun ist auch Mir-Hossein Mussawi alles andere als ein radikaler Gegner des Religionsdiktatur. Die Lichtgestalt wider Willen wurde erst durch die Protestbewegung gegen die offensichtliche Wahlfälschung zur Integrationsfigur, in die eine unterdrückte Bevölkerung ihre Hoffnungen auf Demokratie projiziert.

Denn eines ist klar: Der Iran ist genauso wenig eine Demokratie wie der Vatikan. Doch während im Vatikan die Schweizer Garde freundlich für Touristen posiert, prügeln im Iran die Basij auf Frauen ein, denen das Kopftuch verrutscht ist. Auch ohne Wahlbetrug herrschten im Iran heute keine demokratischen Verhältnisse.

Eine ausgeklügelte Verfassung schützt die unumstößliche Herrschaft der Mullahs. Es gibt keine Gewaltenteilung. Legislative, Exekutive und Judikative sind zur Gänze der religiösen Führung unterstellt:

Der Revolutionsführer wird vom Expertenrat auf Lebenszeit ernannt, seit 1989 ist das Ali Chamenei als Nachfolger Ayatollah Khomeinis. Er hat die uneingeschränkte Macht, ernennt die obersten Richter, hat das letzte Wort im Wächterrat, der alle Gesetze auf ihre Konformität zum Islam überprüft, und ist Oberkommandierender der Streitkräfte.

Der Expertenrat besteht aus 86 Mullahs und wird alle acht Jahre vom Volk gewählt. Allerdings muss der Wächterrat vorher alle Kandidaten genehmigen.

Der Wächterrat ist das Zentrum der Macht und besteht aus sechs Geistlichen und sechs weltlichen Rechtswissenschaftern. Die Geistlichen werden direkt vom Revolutionsführer ernannt, die Weltlichen vom Obersten Richter, der wiederum vom Revolutionsführer ernannt wird. Er kann jedes Gesetz ablehnen oder im Nachhinein für ungültig erklären und Kandidaten die Teilnahme an der Wahl für Parlament und Präsidentenamt verweigern. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Revolutionsführer.

Der Präsident ist Regierungschef und ernennt die Mitglieder des Kabinetts. Seine Macht ist ziemlich begrenzt. Alle zu wählenden Kandidaten und alle Gesetze müssen vom Wächterrat bestätigt werden.

Egal, wie oft man die Urne schüttelt: am Ende kommt nur raus, was der oberste Mullah reingelegt hat.

Das Regime ist wirtschaftlich unfähig. Der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Wie in jeder Kommandowirtschaft blüht die Korruption. Die Arbeitslosenrate wird auf 50% geschätzt. Obwohl Iran über die weltweit drittgrößten Erdölreserven verfügt, muss Benzin importiert werden. Die Inflationsrate ist zweistellig.

Das Land ist fruchtbar, das Klima günstig. Als ich vor Jahren mit einer österreichischen Delegation unter der Führung des späteren EU-Kommissars Fischler gesprochen habe, die gerade aus Iran zurückkam, schwärmte der Chef der Bundesforste von Bäumen, die dreimal schneller wachsen als in Österreich. Größer als die Begeisterung über die natürlichen Voraussetzungen war nur sein Entsetzen über das Fehlen jeglicher Grundkenntnisse von Land- und Forstwirtschaft.

Es gibt keine Pressefreiheit. Religiöse Minderheiten wie die Bahai werden systematisch verfolgt, ihre Führer werden verschleppt und ermordet. Politische Gegner werden gefoltert und ermordet, auch im Ausland. Ahmadinejad wird verdächtigt, persönlich an der Ermordung dreier kurdischer Politiker in Wien beteiligt gewesen zu sein. Iran ist der wichtigste Financier der Terrororganisationen Hisbollah und Hamas.

Recht wird wie in Saudi-Arabien auf Grundlage der Scharia gesprochen. Ehebrecher werden gesteinigt, Homosexuelle und unkeusche Mädchen gehängt. Der Abfall vom Islam wird ebenso mit dem Tode bestraft wie Vergewaltigung, Mord, Drogenhandel und Gotteslästerung. Allein in den ersten zweieinhalb Monaten dieses Jahres wurden mehr als 120 Hinrichtungen vollstreckt, auch an Minderjährigen. Die Hinrichtungsmethoden bieten mehr Abwechslung als das Fernsehprogramm: zur Wahl stehen öffentliche Enthauptung, Steinigung, Erhängen oder Auspeitschen. Nur für minderschwere Delikte muss man sich mit der Amputation von Gliedmaßen, der Prügelstrafe oder dem Ausstechen der Augen begnügen. Frauen dürfen sich nicht unverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen. Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen wurde erst 2002 auf internationalen Druck hin von 9 auf 13 Jahre hinaufgesetzt.

Aus all diesen Gründen geht es mittlerweile längst um viel mehr als um eine gefälschte Wahl. Es geht um die Zukunft eines Landes, in dem 70 % der Bevölkerung unter 25 Jahre alt sind. Es geht um ein Mindestmaß an bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechten. Es geht um alles, was für Salman Rushdie in einer Demokratie unverzichtbar ist: „Wir müssen uns auf die Dinge einigen, auf die es uns ankommt, als da wären: das Küssen in der Öffentlichkeit, ein Sandwich mit knusprigem Speck, Meinungsverschiedenheiten, avantgardistische Mode, die Literatur, Großmut, Wasser, die gerechtere Verteilung der Güter dieser Erde, Filme, Musik, die Gedankenfreiheit, die Schönheit, die Liebe. Das sind unsere Waffen.“

Für uns geht es darum, die Menschen in Iran, die für ihre Rechte kämpfen und manchmal auch sterben, zu unterstützen. Wer die Demonstranten jetzt im Stich lässt, macht sich zum Komplizen der Diktatur. Man könnte meinen, dass gerade die Linke in diesem Freiheitskampf an vorderster Front stehen würde. Doch wo sich sonst die Massen zu Demos sammeln und tausend Lichterketten leuchten wenn es gegen Israel oder Amerika geht, herrscht jetzt bleiernes Schweigen. Was ein richtiger Hardcore-AntiImperialist ist, feiert den Wahlbetrug gar als „Schlappe für den Imperialismus“ und denunziert die iranischen Oppositionellen als „Discomiezen“ und „Strichjungen des Finanzkapitals“.

Man muss kein offensichtlicher Idiot wie Jürgen Elsässer sein, um die iranische Revolution zu romantisieren. Das nachsichtige Wohlwollen, mit dem die Linke auf die theokratische Diktatur blickt, ist so alt wie die Islamische Republik selbst. Ende der 70er Jahre war das Schah-Regime bei den westlichen Intellektuellen so sehr verhasst, dass sie in den charismatischen Geistlichen, die so gar nicht dem aufklärerischen Ideal entsprachen, die Prototypen des postmodernen Revolutionärs sahen. Dabei war der kleinste gemeinsame Nenner der internationalen Solidarität nur der Anti-Amerikanismus. So sind die verhinderten Revolutionäre von 1968 zehn Jahre später reihum dem revolutionären Charme der bärtigen Turbanträger erlegen. Ein Mitstreiter von Michel Foucault, Jean Daniel, bezeichnete seine Haltung zum Iran später als “Irrtum, den wir alle teilten“.

So viel kritische Distanz zur eigenen Vergangenheit kann man von deutschsprachigen Intellektuellen nicht erwarten. In den von Alt-68ern übervölkerten Redaktionen der heimischen Qualitätsmedien wurden die Ausfälle des Irren aus Teheran schon immer beschwichtigt und das Mullah-Regime schöngeredet. Noch vor der Wahl erklärte Georg Hoffman-Ostenhof im „profil“, warum sich niemand vor dem Iran zu fürchten braucht, und zeigte Verständnis für Irans Wunsch nach der Atombombe. Der durchaus lesenswerte Text hat alle Chancen, einmal als Mutter aller Beschwichtigungen in die Geschichte des Journalismus einzugehen.

In dieses Bild fügt sich auch der Auftritt der „Iran-Expertin“ des STANDARD, Gudrun Harrer, im Club 2 zum Thema „Iran - demokratische Reform oder Blutbad?“. Nur ein einziges Mal spricht sie mit Leidenschaft: als sie sich gegen die Formulierung „Mullah-Regime“ verwehrt, weil die Mullahs schließlich keine homogene Gruppe wären. Sie schwadroniert, dass der Iran „die einzige Demokratie in der Region“ sei. Als ihr dann doch noch der Irak einfällt (sie ist ja auch Irak-Expertin), zeichnet sie beim Wort „Wahlen“ ganz automatisch Anführungszeichen in die Luft.

In einer historischen Situation entscheidet sich, auf welcher Seite man steht: man hat die Wahl zwischen richtig oder falsch. Die Folgen der Entscheidung sind in jedem Fall erheblich, stellt Stephan Grigat fest: „Die „Islamische Republik“ hätte sich im Iran kaum 30 Jahre an der Macht halten können, wenn ihr aus Europa nicht mit politischer Nachsicht und ökonomischer Kooperation begegnet worden wäre.“

Wollen wir das Unrechtsregime international isolieren oder über Nokia-Siemens weiter Überwachungssoftware liefern und uns mit der OMV über Milliarden-Deals freuen? Österreich und Deutschland sind in ihrer Geschichte nicht allzu oft auf der richtigen Seite gestanden. Ich fürchte, auch diesmal ist die Entscheidung bereits gefallen.

Permalink:
http://www.eppinger.at/Eppinger/Standpunkte/Eintr%C3%A4ge/2009/6/25_Jubelperser.html

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