Ralf Balke / 13.04.2007 / 09:44 / 0 / Seite ausdrucken

Tacheles im T-Shirt

“Ein guter Eindruck ist wichtig”, dachte sich Ari Akkermans. Genau deshalb hatte er sich für seinen ersten Arbeitstag als technischer Übersetzer für Concise Communications in Herzelya Pituach bei Tel Aviv in Schale geworfen. “Als ich am zweiten Tag dann noch einmal mit Jackett und Krawatte ins Büro kam, fragte mich der Pförtner am Eingang: ,Was? Musst du heute schon wieder auf eine Hochzeit?’ Danach bin ich dort nur noch im T-Shirt und Jeans erschienen.”

Die Erfahrungen des jungen Holländers sind typisch für alle, die zum ersten Mal Kontakt mit israelischen Unternehmen haben. Denn ein hohes Maß an Zwanglosigkeit scheint so etwas wie das Markenzeichen von Israels Geschäftskultur zu sein. Die Wurzeln dafür sind in der Geschichte zu suchen.  Lange Zeit dominierte ein kollektivistisches Denken das Wirtschaftsleben des Landes. Und der ruppige Pionier, der die Wüste urbar macht und in einem Kibbuz lebt, war damals so etwas wie das gesellschaftliche Leitbild. Heute dagegen präsentiert sich Israel als hochmodernes Industrieland mit einem Bruttoinlandsprodukt von 130 Milliarden Dollar - mehr als alle seine arabischen Nachbarn zusammen. Doch nicht wenige Verhaltensweisen aus den Kindertagen des jüdischen Staates haben sich bis in die Gegenwart hinein erhalten. Darauf sollte jeder vorbereitet sein, der zum ersten Mal in Israel auf seine Geschäftspartner trifft.

Auch die geringe Größe des Landes - ohne die besetzten Gebiete entspricht Israel mit seinen rund sieben Millionen Einwohnern von der Fläche her ungefähr dem Bundesland Hessen - hat bestimmte Verhaltensweisen geprägt. “Israel ist eine dicht verwobene Gesellschaft. Intuition hat oft Vorrang. Nonverbale Signale haben zudem einen höheren Stellenwert als sprachliches Feingefühl.  Gesellschaftlich ist es akzeptabel, seine Gefühle zu zeigen und sich beispielsweise bei seinen Kollegen genauso zu benehmen wie in der Familie”, weiß Tami Lancut Leibowitz zu berichten. Seit rund 20 Jahren gilt sie in Israel als Guru, wenn es um gute Umgangsformen geht.

Als Chefin des Instituts für Kommunikation, Manieren und Etikette in Tel Aviv versucht sie, ihren Kunden - darunter Manager, Politiker und selbst hohe Militärs - gute Umgangsformen beizubringen. Sie erklärt ihnen, wann man seinen Geschäftspartner mit Handschlag statt mit einem freundschaftlicher Klaps auf die Schulter begrüßt - schließlich kann man sich in der internationalen Geschäftswelt nicht so benehmen wie bei seinen Kameraden vom Reservedienst der Armee.

Gerade was den Dresscode angeht, sollte sich kein Geschäftsmann aus Deutschland durch das äußere Erscheinungsbild seines Gegenübers irritieren lassen, warnt Franz Golling. “Wenn es um den Kleidungsstil geht, sind Israelis sehr unprätentiös. Seine Krawatten lässt man spätestens nach dem zweiten Treffen im Schrank hängen.” Der Mitinhaber der Düsseldorfer Schneider-Golling AG arbeitet bereits seit vielen Jahren mit Israelis zusammen. Als Versicherungsmakler hat Golling sich darauf spezialisiert, israelische Containerschiffe oder auch noble Privatyachten bei deutschen Versicherungen unterzubringen. “Was Israelis einzigartig macht, ist ihre Schnelligkeit, wie sie in Verhandlungen auf den Punkt kommen”, weiß er aus seinen Erfahrungen zu berichten. “Und wenn es darum geht, Preise und Leistungen zu definieren, sind sie wahre Meister im Erkennen von Stärken und Schwächen in Vertragsangeboten.”  Abgesehen von der Zwanglosigkeit, hat Golling wenig nennenswerte mentale Unterschiede ausgemacht: “Eigentlich ist die israelische Geschäftskultur weitestgehend eine mitteleuropäische”, lautet sein Urteil - auch wenn der Begriff Pünktlichkeit gelegentlich ein wenig flexibel gehandhabt wird.

Aber es gibt auch Fettnäpfchen, die spezifisch israelisch sind: “Besserwisserei ist eine Todsünde und sollte tunlichst vermieden werden”, kann Golling nur jedem als Empfehlung mit auf den Weg geben. “Neugierde und interessiertes Fragen dagegen kommen sehr gut an.” Ganz besonders genervt reagieren Israelis, wenn ausländische Gesprächspartner ihr Land als eine ständig bedrohte Volkswirtschaft im Ausnahmezustand betrachten. Schließlich konnte man sich im Sommer ein Bild von der ökonomischen Stabilität machen. Obwohl Israel im Libanon-Krieg wirtschaftliche Schäden von über einer Milliarde Dollar hatte, wuchs die Wirtschaft um über vier Prozent.
Weil Deutschland nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner Israels ist, sind deutsche Geschäftsleute im jüdischen Staat sehr willkommen. “Mit Deutschen arbeite ich am liebsten zusammen”, betont Yossi Kolkovich von XpertLink Technologies 2001 Ltd., einem Beratungsunternehmen für Breitbandkommunikation und Netzwerkserviceleistungen. Worauf jeder Deutsche aber in Verhandlungen mit Israelis seiner Meinung nach vorbereitet sein sollte, ist der etwas härtere Tonfall. “Israelis neigen dazu, ihr Selbstvertrauen sehr plakativ nach außen zu demonstrieren. Das wird von Ausländern nicht selten als arrogant empfunden.  Davon darf man sich auf keinen Fall abschrecken lassen.”

Als dickes Plus bewertet Kolkovich die Fähigkeit der Israelis, die sozialen Aspekte in Geschäftskontakten zu betonen. “Israelis laden Kunden und Geschäftspartner gerne zu sich nach Hause ein.” Dieses Angebot sollte man nicht abschlagen, wobei eine gewisse Vorsicht bei der Wahl der Gesprächsthemen geboten ist. “Diskussionen über den Nahostkonflikt führt man besser nur, wenn der Gastgeber einen ausdrücklich um seine Meinung bittet oder die Kontakte schon eine längere Zeit bestehen”, rät Kolkovich. “Für erste Begegnungen im privaten Umfeld empfehlen sich besser unverfänglichere Themen wie die Familie, sportliche Ereignisse oder Kunst und Literatur.” Kommt dennoch Politik zur Sprache, wird es sehr positiv von Seiten des Gastgebers aufgenommen, wenn man sich erst einmal als guter Zuhörer erweist.

Doch der eigentliche Härtetest für deutsche Geschäftsleute, die nach Israel fahren, ist die Ausreise. Mitunter nehmen die Befragungen etwa zu Geschäftskontakten durch das Sicherheitspersonal am Tel Aviver Flughafen fast den Charakter einer Inquisition an und stellen selbst Gemütsmenschen auf die Probe.

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