“Ariks letzter Kampf” war die Schlagzeile der letzten Tage. Scharons Ärzte sprachen von einem kritischen Zustand, die Familie des 85-jährigen saß an seinem Bett. Hinter den Kulissen wurde bereits das Staatsbegräbnis geplant, so die israelische Presse. Das Land bereitete sich auf die Trauer vor und fragte sich, wie Ariel Scharon in die Geschichte eingehen wird. Sein Vermächtnis ist groß, aber vor allem umstritten. Der ehemalige Verteidigungs-, Industrie-, Energie-, Außen- und schließlich Premierminister war sowohl im Ausland, als auch in Israel eine kontroverse Persönlichkeit.
1928 im von den Briten verwalteten Palästina geboren, wuchs Scharon mit den typischen Konflikten eines jüdischen Siedlers auf. Schon mit 15 Jahren wurde er Mitglied der Haganah, der jüdischen Untergrundbewegung, aus der nach der Staatsgründung die Israelische Armee werden sollte.
Früh machte sich Scharon als zuverlässiger und sicherer Anführer einen Namen, der kein Risiko scheute und Autorität bei seinen Untergebenen genoss.
1953 betraute ihn der damalige Premierminister Ben Gurion höchstpersönlich mit der Aufgabe, die berühmt-berüchtigte 101 Einheit zu gründen, um präzise und effektiv auf die ersten palästinensischern Guerilla-Aktionen reagieren zu können. Ben Gurion war es auch, der dem als Ariel Scheinermann geborenen Soldaten den Nachnamen Scharon gab.
Im Sechstagekrieg erlangte er internationalen Ruhm als militärischer Stratege, dessen extrem offensive Taktik zur rasanten Eroberung der Sinai-Halbinsel und der Vernichtung der ägyptischen Armee beitrug. Seine Rückberufung aus dem militärischen Ruhestand im Yom Kippur Krieg im Jahr 1973, für die er sich - unter Missachtung von Anweisungen - mit der Rückeroberung des Sinai bedankte und schließlich auf der ägyptischen Seite des Suez-Kanals, 100 Kilometer vor Kairo stand, brachte ihm endgültig den Heldenstatus in Israel ein. Das berühmte Bild Scharons mit Kopfverband machte die Runde. Ariel Scharon, von Freunden und Soldaten nur Arik genannt, war plötzlich “König von Israel” und “Gottes Löwe”.
Sabra und Schatila
Im September 1982 umzingelte die Israelische Armee die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila im Südlibanon. Verbündete libanesische Milizen wurden in die Lager gelassen und richteten ein Massaker an, dem tausende Zivilisten zum Opfer vielen. Israel war in den Libanon einmarschiert, um die christliche südlibanesische Armee im Kampf gegen die PLO zu unterstützen und sah sich starker, innenpolitischer Kritik ausgesetzt. Ariel Scharons Rolle dabei war unumstritten. Als Verteidigungsminister war er der Hauptverantwortliche für die Massaker auf Israelischer Seite. Für manche war er nun der “Schlachter von Beirut”.
Eine Untersuchungskommission stellte eine indirekte Schuld Scharons fest und sprach von einer persönlichen Verantwortung für die Massaker. Die israelische Öffentlichkeit verlangte seinen umgehenden Rücktritt, doch Scharon blieb stur. Erst nach starken, politischen Unruhen verließ er das Amt des Verteidigungsminister und wurde Minister ohne Ressort.
Besuch des Tempelbergs als angeblicher Auslöser der zweiten Intifada
Wenige Monate vor seiner Wahl zum Premierminister im Februar 2001 besuchte Ariel Scharon den Tempelberg in Jerusalem. Mit 1000 Polizisten betrat Scharon den Berg, der Felsendom und Al-Aqsa Moshee beherbergt, eines der bedeutendsten Heiligtümer des Islam. Am Tag danach begannen die palästinensischen Proteste, die sich zu einer 5 Jahre andauernden Terrorwelle ausweiteten und als Zweite Intifada in die Geschichte eingingen.
Scharons Besuch auf dem Tempelberg nannten die palästinensischen Führer, allen voran Yassir Arafat, den Grund und Auslöser der Intifada. Der Besuch wäre ein Symbol des jüdischen Machtanspruchs über islamische Heiligtümer gewesen, den das palästinensische Volk nicht hinnehmen konnte.
Das Timing Scharons war sicherlich nicht optimal, wurde von der palästinensischern Führung jedoch missbraucht, um einen Anlass für von langer Hand geplante Unruhen zu finden. Imad Faluji, damals palästinensischer Kommunikationsminister, gab später zu, dass die Intifada seit der Rückkehr Arafats von den Camp David Verhandlungen geplant worden war. Internationale Medien griffen die palästinensische Version der Geschichte jedoch nur zu gerne auf.
Einseitiger Abzug aus Gaza
Nach drei Jahren im Amt des Premierministers nahm sich Scharon des dringlichsten und gewagtesten Projekts an. Im Juni 2004 verabschiedete das israelische Parlament den von Scharon erarbeiteten Plan zum einseitigen Abzug aus dem Gazastreifen.
Paradoxer hätte die Lage nicht sein können. Ariel Scharon, in den vorigen Jahrzehnten großer Befürworter und aktiver Unterstützer der Siedlerbewegung, beschloss plötzlich die Aufgabe des Gaza-Streifens und damit die Umsiedlung tausender jüdischer Familien. Trotz großer Unterstützung in der Gesellschaft und von palästinensischen Politikern blieben der Öffentlichkeit vor allem die bewegenden Bilder von kinderreichen Familien in Erinnerung, die von Soldaten aus ihren Häusern gezerrt wurden, vor denen bereits die Bulldozer warteten.
Als Zeichen des guten WIllens gedacht stellte sich der Abzug aus dem Gazastreifen als sicherheitspolitische Katastrophe für Israel heraus. Ein Jahr nach der Räumung der Siedlungen gewann die radikal-islamische Hamas die Wahlen in Gaza, bedroht seitdem den Süden Israels mit Raketenbeschuss und ist hauptverantwortlich für Terroranschläge im Landesinneren.
Scharon - ein israelisches Symbol
Das Vermächtnis Scharons verlangt eine differenzierte Betrachtung. Seine militärischen Glanzleistungen werden ihm in Israel nie vergessen. Zu wichtig war seine Rolle im Yom Kippur Krieg, zu patriotisch ist sein Aufstieg vom 15-jährigen Untergrundkämpfer zum General. Seine größten Eigenschaften - Durchsetzungskraft und Eigensinn - brachten ihm in bedeutenden Schlachten den Sieg und beschmutzten gleichzeitig das Ansehen des Landes, für das er kämpfte.
Unter seiner größten politischen Entscheidung leidet der Süden des Landes seit acht Jahren, dennoch ist Scharon mehr für Israel, als die Summe seiner Leistungen und Entscheidungen. Kaum jemand war sein Leben lang so der Israelischen Sicherheit verpflichtet, wie er.
Ariel Scharon ist kein typischer Israeli, aber kaum jemandes Lebensweg ist so symbolisch für Israel, wie der von Arik, dem Kind weißrussischer Einwanderer, der es bis zum Regierungschef brachte.
Scharon wird man in Israel nie heilig sprechen, wie Ben Gurion oder Yitzchak Rabin. Aber das, was er für das Land und die Armee getan hat, wird man nicht vergessen.