Filipp Piatov / 07.01.2014 / 22:11 / 0 / Seite ausdrucken

Putin und die Schwarzen Witwen

Die Gesichter der “schwarzen Witwen” gingen durch die Medien. Junge, enschlossene Frauen in schwarzen Kopftüchern mit eiskalten Blicken. Aber erst das Wissen, dass sie sich in Mitten von Menschenmengen in die Luft gesprengt hatten, löste Entsetzen aus.

Seit Anfang 2000 gibt es in Russland das Phänomen der schwarzen Witwen. Frauen meist von russischen Spezialeinheiten getöteter Rebellenführer, die sich im Auftrag des heiligen Krieges auf öffentlichen Plätzen oder, wie vor einigen Tagen in Wolgograd, in Bussen und Hauptbahnhöfen in die Luft jagen.

Doch erst seit dem Aufruf eines Terroristenführers im Juli 2013, die Olympischen Spiele mit allen Mitteln zu verhindern, haben die Anschläge eine internationale Dimension erreicht.  Unter jedem Anschlagsort steht nun die Entfernung zu Sotschi, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele, die im Februar 2014 stattfinden werden.

Dass fünf Wochen vor Beginn der Spiele Selbstmordattentate verübt werden, ist wohl kein Zufall. Ob den Sportlern und Besuchern in Sotschi eine reale Gefahr droht, ist eine andere Frage.

Von Sotschi nach Grozny, der Hauptstadt Tschetscheniens, sind es gerade mal 800 Kilomenter. Nimmt man Abkürzungen über das Gebirge des Norkaukasus, ist es deutlich weniger. Nach Dagestan ist es etwas weiter, knapp 1100 Kilomenter. Für russische Verhältnisse ist das gar nichts.

Das vom Terror heimgesuchte Wolgograd liegt wesentlich weiter im Inneren Russlands als der Austragungsort der Winterspiele. Dennoch scheinen die meist tschetschenischen Terroristen kein Problem damit zu haben, ins Landesinnere einzudringen und Attentate zu verüben. Im Westen weiß man wenig von tschetschenischem Terrorismus, Dagestan ist den meisten erst seit dem Bombenanschlag beim Boston Marathon im Frühjahr 2013 ein Begriff.

Erster Tschetschenienkrieg

Der Tschetschenien-Konflikt hat eine lange Vorgeschichte und schwappte erst in den 1990ern auf die russische Teilrepublik Dagestan über. Die politische Zeitbombe legte Stalin, als er Hunderttausende Tschetschenen nach Mittelasien deportieren ließ und Tschetschenien mit Russen bevölkerte. Die Bombe ging hoch, als die Sowjetunion zerbrach und die unterdrückten Tschetschenen die Unabhängigkeit von Russland forderten.

Im Zuge des Zerfalls und dem aufkommenden tschetschenischen Nationalismus verließen tausende Russen die kaukasische Republik, die sich nunmehr in einem unerklärten Bürgerkrieg befand. Unabhängigkeitsanhänger lieferten sich politische und militärische Kämpfe mit der russlandtreuen Opposition.

Um der Auflösung des jungen Staates Einhalt zu gebieten, ordnete Präsident Jelzin die Bombadierung Groznys an. Mit einem präzisen Schlag gegen die Separatisten sollte an Tschetschenien ein Exempel für die anderen Teilrepubliken statuiert werden. Was folgte, war ein zweijähriger Krieg, der Tschetschenien in Schutt und Asche legte und nach internationalen Schätzungen bis zu 80.000 zivile Opfer forderte, während mehr als eine halbe Million Menschen ihr Zuhause verloren.

Immer wieder geriet auch Dagestan zwischen die Fronten. Regelmäßig besetzten tschetschenische Rebellen Dörfer der russischen Teilrepublik, um den Kreml zum Abzug der Truppen zu zwingen. Dagestan wurde Ziel von Anschlägen, Geiselnahmen und Zufluchtsstätte für den internationalen Islamismus.

Der Krieg stieß sowohl auf gesellschaftlichen, als auch auf militärischen Protest in Russland. 1996, nach einem letzten, massiven Bombardement der tschetschenischen Hauptstadt beendeten die Russen den Krieg. Militärisch hatten die Russen ihn verloren. Das tschetschenische Volk, jeglicher Infrastruktur beraubt und jahrelang unter stärkstem Beschuss gelebt, versank im Chaos.

Zweiter Tschetschenienkrieg

1999 erreichte der Konflikt endgültig die jetztige Problemrepublik Dagestan. Nachdem tschetschenische Islamisten, unterstützt von diversen Terrororganisationen - unter anderem der Al Quaida -,  ins benachbarte Dagestan einmarschiert waren, ordnete Premierminister Wladimir Putin die Invasion Tschetscheniens durch russische Truppen an. Bereits im Jahr 2000 setze Putin Achmad Kadyrov als neuen, tschetschenischen Präsidenten ein, dem nach seiner Ermordung durch Rebellen 2004 sein Sohn Ramzan folgte.

Offiziell wurde der zweite Tschetschenienkrieg 2009 beigelegt. Doch die Guerilla-Operationen der islamistischen Terroristen gehen bis heute weiter. Der nun über 20-jährige Konflikt hat aus dem Nordkaukausus ein zweites Afghanistan gemacht. Trotz massiver finanzieller Unterstützung schafft es die tschetschenische Regierung nicht, dem Terrorismus Einhalt zu gebieten. Doch auch andere Republiken werden von weltweiten Terrornetzwerken mittlerweile heimgesucht und tragen den nun islamistisch-russischen Konflikt immer weiter.

Seit 2002 beteiligen sich offiziell auch dagestanische Terrororganisationen am religiösen Guerilla-Krieg gegen Russland. Finanziert von internationalen Netzwerken und kriminellen Aktivitäten waren dagestanische Terroristen in der Lage, Anschläge bis ins Herz Russlands zu tragen. So starben im März 2010 in der Moskauer Metro 40 Menschen bei einem Bombenanschlag. Die Täterinnen: Zwei schwarze Witwen.

Nordkaukasus heute

Sowohl Dagestan als auch Tschetschenien sind politisch eng an den Kreml angebunden. Um die Revolten zu beenden installierte Moskau eigene Leute in den beiden Teilrepubliken, die für Ordnung sorgen und im Gegensatz mit harter Hand regieren können. Die Wahlergebnisse bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in den nordkaukasischen Republiken sind Ausdruck der politischen Farce, die Moskau seit Jahren dort inszeniert. Dass mafiöse Clans regieren und den Rechtsstaat aushebeln, wo sie nur können, ist dem Kreml nur Recht.

Nun sieht Putin sein wichtigstes Prestige-Projekte gefährdet. Die Winterspiele in Sotschi finden in unmittelbarer Nähe des Norkaukasus statt. Nicht auszumalen, wenn Sportler als Geiseln genommen oder ein Bombe im Stadion explodieren würde. Hört man auf die tschetschenischen Terroristenführer, ist die Gefahr hoch akut. Trotz 50.000 Sicherheitskräften, die ihr bestes tun werden, um jegliche Zwischenfälle zu verhindern.

Ob sich die Anführer großer Netzwerke tatsächlich trauen, den großen Feind so zu reizen, ist fraglich. Russland würde mit gnadenloser Härte antworten. Ein Terroranschlag in Sotschi würde einen Krieg nach sich ziehen, den nicht nur die Rebellenführer nicht überleben würden. In der Gesellschaft verwurzelte Rebellenorganisationen können sich gut an die letzten Jahre erinnern und werden abwägen, bevor sie zuschlagen.

Das größte RIsiko geht von kleinen, womöglich internationalen Terrorzellen aus, die gezielt Unruhe und Krieg stiften wollen und sich nicht von großen Netzwerken kontrollieren lassen. Wie im Gazastreifen, wo die Hamas noch zu den gemäßigten Kräften gehört und laufend versucht, Waffenstillstandsabkommen nicht von anonymen Terrorzellen verletzen zu lassen, die regelmäßig Raketen auf Israel schießen.

Denn egal, wer hinter einem Terroranschlag auf Sotschi stecken würde, Leidtragender wäre die Bevölkerung Tschetscheniens und Dagestans. Man sollte Putin viel Erfolg bei der Kampf gegen den Terror wünschen, den er nach den Anschlägen in Wologograd mit markigen Worten angekündigt hat. Es geht nicht nur um Sotschi 2014, es geht um die Zukunft der Menschen im Nordkaukasus.

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