Stephan Kloss, Gastautor / 15.11.2023 / 10:00 / Foto: Pixabay / 87 / Seite ausdrucken

Sächsischer Corona-Prozess im Hochsicherheits-Saal

In Sachsen gibt es nun auch einen großen Coronaprozess gegen die 66-jährige Ärztin Dr. Bianca Witzschel. Ihr wird der Handel mit falschen Masken-Attesten vorgeworfen. Der erste Verhandlungstag wirkte aber, als gehe es um ein Verfahren gegen Terroristen.

Der Vorsitzende Richter hatte am Vorabend (man könnte auch sagen: sehr kurzfristig und ungewöhnlich) verfügt, dass der Verhandlungsort aus dem üblichen Saal am Landgericht verlegt werden soll in das Prozessgebäude neben der JVA Dresden am Hammerweg. Selbst einer der zwei Anwälte der Angeklagten wusste nichts und kam zu spät. Erst nach und nach, als die Staatsanwaltschaft bereits die Anklageschrift verlas, trafen auch Besucher ein, meistens Anhänger der angeklagten Moritzburger Ärztin Dr. Bianca Witzschel. Sie wurde kurz vor Prozessbeginn in Handschellen in den Saal geführt, bewacht von zwei großgewachsenen Justizbeamten. Warum? Damit die 66-Jährige nicht plötzlich flieht? Das würde sie ohnehin nicht schaffen, denn der Gerichtssaal ist ein Hochsicherheitstrakt.

Hier fanden Prozesse gegen richtige Verbrecher bzw. Terrorverdächtige statt, u.a. gegen die Linksterroristin Lina E., den Remmo-Clan (dessen Mitglieder sächsische Juwelen aus dem Grünen Gewölbe in Dresden stahlen), IS-Anhänger sowie die Freitaler Terrorzelle. War es die Absicht des Vorsitzenden Richters der 15. Strafkammer (Große Strafkammer) am Landgericht Dresden, die Angeklagte, die seit acht Monaten in der JVA Chemnitz in Untersuchungshaft sitzt und dort angeblich keine Post empfangen darf, mit gefährlichen Schwerverbrechern oder Terroristen gleichzusetzen, als er die Verhandlung in den Hochsicherheitstrakt verlegte? 

In der Umgebung des Gebäudes standen mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei. Davon zwei Fahrzeuge direkt vor dem Eingang. Schon einschüchternd. 

Wer den Saal neben der JVA Dresden am Hammerweg nicht kennt: Der Saal (ein Sicherheitstrakt) ist durch eine große, über 2 Meter hohe Glaswand in zwei Teile getrennt. Die Zuschauer auf der einen, Gericht, Staatsanwälte, Angeklagte und Verteidiger auf der anderen Seite. Der Ton der Verhandlung wird per Lautsprecher übertragen. Im Zuschauerteil „überwachen“ und „beobachten“ ständig zwei Justizbeamte Zuschauer und Pressevertreter. Der Autor empfand das gesamte Setting des Verfahrens einschüchternd. Die Justizbeamten waren streng, aber freundlich.

Die Verlesung der Anklage als Geduldsprobe

Die Anklageschrift war so lang, dass sich die zwei Staatsanwälte bei der Verlesung abwechseln mussten. Es werde immer die komplette Anklage mit allen Details verlesen, klärte mich ein Prozessbeobachter auf. Monoton verlasen die Staatsanwälte die Namen aller Personen, die von der Angeklagten gegen Geld entweder Maskenatteste oder Bescheinigungen für PCR-Teste oder Antigenteste erhalten haben sollen. Verkauf von ärztlichen Gefälligkeitsgutachten, so der Tatvorwurf. Zwischen 25 und 30 Euro soll die Ärztin pro Attest erhalten haben, insgesamt 30.000 Euro von rund 1.000 Personen. Außerdem soll die Angeklagte einen nicht zertifizierten Elektroschocker besessen haben, weshab ihr auch illegaler Waffenbesitz vorgeworfen wird. Damit ist die 90-minütige Anklage grob zusammengefasst.

Im Rahmen von rechtspsychologischen Fragestellungen beschäftigten sich Kassin und Kollegenschaft schon vor zwanzig Jahren damit, ob Schuldvermutungen Prozesse von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen aktivieren können. Im dazugehörigen Experiment wurden „Tatverdächtige“ durch „Befrager“ verhört. Erhielten die Befrager experimentell die Information induziert, dass ein bestimmter Tatverdächtiger schuldig sei, wählten die Befrager mehrheitlich Fragen, die die vermeintliche Schuld bestätigten, und sie übten mehr Druck aus, um ein Geständnis zu erzwingen. Im zweiten Teil hörten unbeteiligte Personen die Tonaufnahmen der Verhöre. Sie nahmen Tatverdächtige, die angeblich schuldig waren, als defensiv wahr und hielten sie tendenziell auch für schuldig.

Könnte die Art dieses Verfahrens sich selbst erfüllende Prophezeiungen bei den Prozess-Verantwortlichen aktivieren? Beziehungsweise die Erwartung zu induzieren, dass die Angeklagte sehr wahrscheinlich schuldig ist? Welche Faktoren könnten dazu beitragen? Zum Beispiel diese:

  • Verhandlung im Hochsicherheitstrakt, strenge Einlasskontrollen
  • Anfertigung von Kopien der Ausweise aller Besucher und Pressevertreter
  • Mehrseitige sitzungspolizeiliche Anordnung mit strengen Regeln
  • Vorführung der Angeklagten in Handschellen
  • Antrag der Verteidigung beim Haftprüfungstermin auf Aussetzung des Haftbefehls war zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt worden
  • 40 angesetzte Verhandlungstage, letzter Verhandlungstermin am 27. Juni 2024 – richtig gelesen, nächstes Jahr

Verstörend war: Es gab keine Erklärung seitens der Justizbeamten am Eingang, was mit den erhobenen persönlichen Daten geschieht (Kopie der Ausweis-Dokumente), ob und wo sie gespeichert werden, wer Zugriff hat etc. (dass sich Behörden anlasslos Kopien von Dokumenten machen, kenne ich bisher nur aus Autokratien und Diktaturen). 

Apropos 40 Verhandlungstage. Was könnte da passieren? Will das Gericht alle 1.000 „Abnehmer“ der Atteste als Zeugen vernehmen? 25 pro Verhandlungstag? Sozusagen im Come-and-go-Verfahren? Fragen über Fragen. 

Wo sind die Geschädigten?

Den Ausführungen der Staatsanwaltschaft war zu entnehmen, dass der Angeklagten zwischen drei und vier Jahre Haft drohen sowie die Entziehung der Approbation. Losgelöst von juristischen Fragen und Moral bleibt im Rahmen eines Perspektivwechsels die Frage: Wo sind eigentlich die Geschädigten in diesem Verfahren? Richtig, es gibt keine. Die Ärztin hatte auf Nachfrage gegen Geld Atteste ausgestellt. Das mag moralisch vielleicht verwerflich sein, vielleicht auch kriminell. Aber alles geschah freiwillig, ohne Zwang. Aus Sicht der "Klienten" war das offenbar ein Weg, um weiter am Leben während der Coronazeit teilnehmen zu können. Interessanterweise haben die zwei Staatsanwälte, die gut vorbereitet waren, keine Geschädigten benannt. Nichts. Oder der Autor hat es überhört. Interessanterweise wurde die Ärztin auch nicht der Steuerhinterziehung angeklagt. Eigenartig.

Holen wir uns ins Gedächtnis, was Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf einem Bürgerdialog in Zwickau über die Corona-Zeit sagte

„Es war nicht notwendig … diese Schulen zuzumachen, Kindergärten zuzumachen, die Bundesnotbremse war nicht notwendig. Es sind in dieser Zeit sehr, sehr viele Ungerechtigkeiten passiert. Sehr viele Entscheidungen, die man heute anders treffen würde … man kann versuchen, jetzt nach vorn zu leben. Nicht mehr diese Fehler zu machen und es sich gegenseitig nicht so aufzurechnen.“

Seine Koalitionspartnerin, die grüne Ministerin Katja Meier, und der vor ihr angeführte sächsische Justizapparat – auf jeden Fall Teile davon – samt weisungsgebundener Staatsanwaltschaft, machen das volle Gegenteil: Sie rechnen der angeklagten Ärztin alle Fehler, die sie zweifellos gemacht hat, haarklein und minutiös auf. Während sich die sächsische Regierungskoalition (CDU, SPD, Grüne) aus jeglicher Corona-Aufarbeitung davonstiehlt und die Bürger bittet, „es sich gegenseitig nicht so aufzurechnen“.

Heute wissen wir aus zahlreichen Studien: Masken waren wirkungslos und PCR-Tests unzuverlässig. Die Achse hat berichtet. Warum soll jetzt jemand bestraft werden für die Ausstellung eines Attestes für etwas, das nachweislich wirkungslos war? Aber die sächsische Justiz will’s wissen und strengt mit rückwärtsgewandtem Blick einen Prozess an für einen Kontext, den es nicht mehr gibt. Bezahlen werden die sächsischen Steuerzahler für das bevorstehende Mammutverfahren.

Dazu sagte ein erfahrener Prozessbeobachter dem Autor: Das alles ist unverhältnismäßig, hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Ja, der Eindruck drängt sich irgendwie auf.

 

Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und studiert Psychologie.

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Leserpost

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László Leitner / 15.11.2023

Es klingt so, als wollten die Machthaber Rache nehmen an den aufmüpfigen Bürgern, die die vielen Widersprüchlichkeiten in der Corona-Politik gesehen und dagegen opponiert haben. Das wird natürlich von den Menschen im Land wahrgenommen und trägt zum Verfall des Rechtsempfindens und langfristig auch der Institutionen bei. Auf jeden Fall ist nicht davon auszugehen, dass die überzogenen Entscheidungen des Gerichts im luftleeren Raum entstanden sind. Es scheint sich um ein politisches Verfahren zu handeln, das in gewisser Weise an die Dissidenten-Prozesse in Diktaturen erinnert.

Sigrid Leonhard / 15.11.2023

@Gerhard Schäfer, “Wir sollten langsam anfangen, die Namen der Helden sammeln und bewahren!” Viel wichtiger ist es die Namen und Gesichter zu sammeln und zu bewahren, die uns innerhalb von nicht mal 100 Jahren eine 3. Diktatur aufzwingen möchten.

Juri Sirotov / 15.11.2023

Ich bin wirklich ein kleines Licht in der Kritik an unserer Regierung. Kritisiere die Vögel in YouTube und hier auf dem Forum. Im September 2022 wurde das Haus auf den Kopf gestellt. Man vermutete “Gefahr in Verzug” und durchsuchte das Anwesen . Bis heute habe ich noch keinen richterlichen Beschluss gesehen. Dieser Tage bekomme ich eine Vorladung wegen Betrug. Also-einfach erklärt- befürchte ich, dass Kritik mit allen Mitteln verhindert werden soll. Wehrt euch!! PS Ich benutze ein Synonym nach den gemachten Erfahrungen.

Thomas Kurt / 15.11.2023

@Claire Müller: Sie haben völlig recht, niemand auf der Achse, weder Autoren noch Kommentatoren, sollten die verlogenen Wortschöpfungen, die Lügen und Verdrehungen der rotgrünen Propaganda-Sprache übernehmen. LQI wird geschrieben werden.

Gerhard Schweickhardt / 15.11.2023

Der Machtkomplex zeigt seine unmenschliche Fratze.

Wolfgang Richter / 15.11.2023

Bezüglich unwirksamer Gesichtsverhüllungen? Offenbar hat die Justiz reichlich zu viel Personal. Das liegt auf dem Niveau, als ob die bundesdeutsche Justiz 1950 noch Leute auf die Anklagebank gesetzt hätte für Delikte aus Zeiten vor der “großen Kapitulation”.

Sam Lowry / 15.11.2023

Ich freue mich auf das Absitzen der hundert Tagesätze. Wäre zwar lieber in der JVA FT, aber in der JVA Koblenz könnte ich die “Rollator-Gang” mal persönlich treffen und kennenlernen. Werde auf jeden Fall ein paar Dosen Ravioli und einen Dosenöffner dabeihaben :-)

G. Männl / 15.11.2023

Beim cum-Ex Prozess in Bonn gegen den ehemaligen Chef der Warburg Bank sind ! 28 Tage angesetzt. Naja da geht es ja nur um ein bisschen abgezognes Steuergeld in Höhe von 280Mio. Der feine Herr hat natürlich 4 Anwälte und keine Handschellen.

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