Rainer Bonhorst / 27.06.2010 / 00:12 / 0 / Seite ausdrucken

Reisen bildet, aber nicht immer so, wie man es möchte

Angela Merkel erlebt in Kanada, dass die Tugend des Sparens, die sie so hoch hält, nicht universell anerkannt ist. Ja, schlimmer noch: Es gibt offenbar Leute, die halten Sparsamkeit in diesen Tagen für eine Untugend. Sie wollen die deutsche Kanzlerin zu einem Tugendwechsel bewegen.

Barack Obama ist so einer. Er meint, Angela Merkel sollte lieber Geld ausgeben als Geld zu sparen.

Das ist eine vertrackte Situation. Denn im Herzen ist jeder Deutsche ein Schwabe. Die Vorstellung, dass Sparen unangebracht oder gar falsch sein könnte, ist der schwäbisch-deutschen Seele einfach zuwider. Wir wollen nicht nur Exportweltmeister sondern auch Sparweltmeister sein.

Und dann treffen wir in Kanada auf Leute, die denken nicht im Traum daran, Sparweltmeister zu werden. Sie träumen davon, Kaufrauschweltmeister zu werden. Barack Obama ist da nicht allein. Die Verwandlung des   Achtergipfels in einen Zwanzigergipfel hat die deutsche Spartugend endgültig zu einem Minderheitenprogramm gemacht. Die meisten Gipfelbesucher meinen, die Weltfinanzkrise verlange Investition und nicht Sparbuch, Konsum und nicht Konsumverzicht. Sie halten die deutsche Sparsamkeit für Gift in der Flaute.

Mitten im kanadischen Sommer ist die deutsche Kanzlerin unter eine kalte Dusche geraten. Muss sie nun ihrer Tugend beraubt und zum Kaufrausch bekehrt nach Berlin zurückkehren? Nein, sie bleibt standhaft. Allerdings sollte man besser sagen: Sie bleibt dem Prinzip treu, das sie – ganz deutsch - zur Tugend erklärt hat.

Denn es handelt sich ja nur um ein Prinzip; und zwar um ein in der Politik typisches Prinzip, nämlich um eines, das man hochhält, aber nicht einhält. Angela Merkel ist ja nicht bis in ihr Innerstes von Sparsamkeit durchdrungen. Sie hat sich daheim und für die Reise nur das Gewand der eisernen Sparerin umgelegt.  Wie’s darunter aussieht, geht zwar keinen etwas an, aber man weiß es.

Denn das Sparen, das sie als Prinzip so schön vor sich her trägt, kann man bei näherem Hinsehen kaum so nennen. Der deutsche Staat spart ja nicht wirklich, er macht in den nächsten Jahren nur weniger Schulden als üblich. Und auch die deutschen Bürger sind nicht die Sparweltmeister für die sie sich halten. Die erschütternde Wahrheit ist, dass ausgerechnet die Italiener viel mehr von ihrem Geld ansparen als wir Deutsche. Und andere Europäer auch.

Wir sind also in eine wahrhaft tragische Lage geraten. Die deutsche Kanzlerin wird auf dem Kanada-Gipfel wegen einer Tugend getadelt, die sie gar nicht besitzt. Aber was soll sie machen? „Liebe Leute, ich spare doch gar nicht; ich tu doch nur so!“ Soll sie das etwa sagen? Nein, das geht nicht. Sie stünde wie eine Kaiserin ohne Kleider da. Außerdem würde man das ja auch zu Hause hören. Und hier glauben ja die Leute noch, dass unsere Regierung spart.

Nein, sie muss da durch und eine bittere Lehre aus ihrer kanadischen Bildungsreise mit nach Hause nehmen. Sie lautet: Wer sich mit einer Tugend schmückt, die er gar nicht hat, kann Ärger kriegen, den er gar nicht verdient hat.

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