Gastautor / 01.03.2014 / 17:44 / 5 / Seite ausdrucken

Putins Pappenheimer

Thomas Rietzschel

Wladimir Putin hat es drauf. Er weiß, wie der Hund zu führen ist, auf wem er sich im Ernstfall verlassen kann. Um die Ruhe im Hinterhof seiner Macht muss er sich keine Sorgen machen. Wann immer im Zentrum oder an den Rändern seines Großreiches demokratische Unruhe droht, hat ihm der Westen international den Rücken freigehalten.

Den Vorwurf, Öl ins Feuer aufflackernder Protestbewegungen gegossen zu haben, muss sich in der EU und erst recht in Deutschland niemand gefallen lassen. Eher schon hat man sich bemüht, die Flammen des Protestes auszutreten, bevor sie sich zum Flächenbrand ausweiten konnten – und das auch noch in den angrenzenden Ländern, in Territorien, die Wladimir Putin nach wie vor als seinen Beritt betrachtet, staatliche Unabhängigkeit hin oder her.

Als Vitali Klitschko vor kurzem in Berlin vorsprach, um die Bundesregierung und ihre europäischen Partner zu Sanktionen gegen das Regime von Wiktor Janukowytschs zu bewegen, ließ ihn Angela Merkel mit warmen Worten abblitzen.  Weder wurden dem korrupten System die Konten im Ausland gesperrt,  noch wurde sonst irgendetwas unternommen, das Wladimir Putin als Einmischung in seine außenpolitischen Angelegenheiten hätte missverstehen können.

Stattdessen gab es die gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung, dass ohne Russland gar nichts gehe. Deshalb, erklärten Frank-Walter Steinmeier, der polnische und der französische Außenminister den Aufständischen bei einer Stippvisite in Kiew, deshalb müssten sie sich bescheiden, dürften sie den Bogen ihrer demokratischen Forderungen nicht überspannen.

Tatsächlich ist es den Diplomaten dann auch gelungen, Klitschko und die Seinen noch im letzten Moment zum Handschlag mit Janukowytsch zu überreden. Dass sie den Machthaber von Putins Gnaden kurz vor der Flucht hatten abpassen können, dass er unterdessen auf der Fahndungsliste international gesuchter Massenmörder steht und überdies wegen zahlreicher Kapitalverbrechen gesucht wird, haben die Emissäre des Westens bis heute nicht bemerkt.

Sie wissen längst, was man besser vergisst, wenn man sich bester Beziehungen zum russischen Präsidenten erfreuen will. Der gerissene Machtmensch, das kalte Herz seiner Heimat,  darf sich inzwischen sicherer denn je sein, dass der politische Schwachsinn unserer Diplomaten gerade noch ausreicht,  ihm den Rücken freizuhalten. Diese Pappenheimer werden ihm nicht in die Quere kommen. Da kann er getrost mit dem Säbel rasseln, bedrohliche Manöver abhalten und Tausende Soldaten auf die Krim verlegen, dahin, wo er so wenig verloren hat wie Adolf Hitler seinerzeit im Sudetenland.

Aber auch das wurde ja, erinnern wir uns, nur zum Schutz der eigenen Landsleute besetzt, sozusagen notgedrungen.

Und schon damals, 1938, war der demokratische Westen um eine diplomatische Rechtfertigung der Annexion durch den Diktator nicht verlegen.

Eine allzu kühne Assoziation? Unsinn? Ja und Nein. Natürlich stimmt, was die Historiker von den Zinnen pfeifen: Geschichte wiederholt sich nicht. Darauf ist weder zu zählen, noch ist es zu befürchten. Ebenso gewiss ist aber, dass die menschliche Dummheit nicht aussterben wird, sowenig wie die Eitelkeit der Politiker.

Seit jeher haben sie Despoten die Gasse geschlagen, weil sie fasziniert waren von einer Machtausübung, die sie sich selbst gern zugetraut hätten. In die Rolle der Putins dieser Welt konnten und können sie sich leichter versetzen als in die der Bürger, denen sie kaum noch auf Augenhöhe begegnen.

Dafür, dass das in Zukunft anders werden könnte, gibt es bisher keinen Beleg.  Als Joachim Gauck, ein Seiteneinsteiger im politischen Kartell, seine Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Sotschi absagte, wurde das nicht nur im Kreml als brüskierend empfunden.

Um den Schaden in Grenzen zu halten, beeilte sich die deutsche Bundeskanzlerin ihrem Kollegen Putin zu versichern, dass sie so bald als möglich mit der gesamten Regierung zur Konsultationen nach Moskau kommen werde.  Und was immer bis dahin in der Ukraine geschehen mag, man wird es uns so erklären, dass diesem Treffen nichts im Wege steht.

 

 

 

 

 

 

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Leserpost

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Ernst Strobel / 03.03.2014

Komisch, nach den E-Mails des Herrn Klitschko an den litauischen Präsidenten-Beraters Laurynas Jonavicius geht irgendwie etwas anderes hervor. Zum Beispiel schreibt Herr Klitschko dort “....Besonderen Dank an die litauischen Freunde für die finanzielle Unterstützung…..” Oder “Nach unserem Telefongespräch bin ich der Meinung, es wäre nützlich den Besuch einiger hochrangiger Funktionäre der EU zu planen. Der Maidan braucht ständige moralische Unterstützung.” Umbrüche aus der Mitte einer Gesellschaft sehen irgendwie anders aus. Und zum Schluß ein Schmackerl: “....Ein anderes Problem das ich ansprechen möchte ist, dass Janukowitsch sich zurückhält. Das sieht verdächtig aus. Was hat er vor?...” sowie “Ich werde alles was ich kann dafür tun, den Erwartungen meiner europäischen Partner zu entsprechen. Ihr Kollege ist angekommen und hat mit meinem Team angefangen zu arbeiten. Er ist ein echter Profi und ich denke seine Dienste werden notwendig sein gerade wenn das Land destabilisiert ist .” (Anm.: bitte beachte - die Zeitform ist Futur!) Na das ist doch mal eine prächtige Revolution - oder?

Christoph Rohde / 01.03.2014

Strategischer Irrtum des Westens gegenüber Russland Der Westen mit seinem “liberalen Internationalismus” bildet sich ein, durch die Unterstützung “post-kolonialer” “Emanzipationsbewegungen eine bessere Welt herzustellen. Dekonstruktion, wobei Fragen der Konstruktion stabiler Verhältnisse völlig außen vor bleiben. Dafür braucht man im einfachen neo-wilsonianischen “liberalen” Denken personalisierte Feinde. Von Ghaddafi über Mubarak bis zu Assad und Putin. Da ist jede “Opposition”, jeder “Aktivist” der “Gute” - die Anderen die Bösen. Nicht, dass ich einen dieser Autokraten mögen würde. Doch sie sind die Produkte der sie umgebenden sozialen Systeme. Und dass auf der Welt ein primitiver, gewalttätiger Islam anarchische Zustände herbei sehnt und dass tribalistische Strukturen dauerhaft weite Teile Afrikas bestimmen, will man nicht wahrhaben. Kolonialmächte oder Schurken sind Schuld am Bösen der Welt. Es kann aber sein, dass die selbst ernannten “Guten” die Welt in die Katastrophe führen - mit dem Imperialismus des Moralismus. Der Strukturelle Realismus Waltz’ oder der klassische Realismus Morgenthaus - sie warnen vor einer Moralinfusion der Politik. Das Denken in Einflusssphären ist real, und der US-Hegemonialanspruch wird mit subversiiven Mitteln aufrecht erhalten. Es ist Zeit, offen die Einflusssphären zu markieren. Putin ist jedenfalls keiner, der einen Krieg durch Fehlperzeptionen auslöst. Putin war nicht der Aggressor in Georgien, sondern Saakashvili; Putin verteidigt strategisch nur das Minimum: Mittelmeerhafen, Schwarzen Meer-Hafen, Zweitschlagsfähigkeit der Nuklearwaffen. Das ist legitimes Interesse. Wie weit man in Deutschland das strategische Denken verlernt hat - klar die ominösen 12 Jahre - würde Bismarck und Clausewitz sehr weht tun.

Daniel Briner / 01.03.2014

@Thomas Rietzschel: Klar haben die Russen nun die “sozio-politische Lage” stabilisiert und es wagt dort im Moment keiner, auch nur ein Steinchen vom Boden aufzuheben. Chruschtschow schenkte einst die zuvor immer russische Krim seiner Heimat Ukraine; die immer noch mehrheitlich russischstämmige Krimbevölkerung begrüsst die Intervention von Putin. USA-EU sollten sich da völlig raushalten; endet sonst im gleichen Fiasko wie 2008 in Georgien/Südossetien, die Anfänge (USA-EU Agitationen) waren dort die selben. Gab es überhaupt je eine militärische Drohgebärde einer Grossmacht, ob nun Russland, USA oder China, die nicht auf lächerlichen Argumentationen basierten? Im Flüchtlingslager Yarmouk, dem zusammengeschossenen Viertel in der syrischen Hauptstadt Damaskus lässt man die Palästinenser auch lieber verrecken, weil sich die Grossmächte mit Ihren Drohgebärden gegenseitig neutralisieren, anstatt gemeinsam militärisch einzugreifen! Dagegen ist diese ganze Aufregung um die Krim halt schon ziemlich verlogen!

Rolf Menzen / 01.03.2014

Tja, wenn jetzt Ronald Reagan im Weißen Haus säße…

Chris Deister / 01.03.2014

Natürlich steckt Putin sie alle in die Tasche. Zum Neid ist aller Anlaß, Herr Rietzschel, verfügt doch V. P., im Unterschied zur EU- Ochlokratie, über Intelligenz und Strategieerfahrung. Interessant finde ich, dass Sie nicht auf das Hofieren von J. Timotschenko durch unsere Bundeskanzleuse eingehen. . Wie auch immer: das Dilemma haben Sie erst gar nicht erkannt. Wenn wir davon ausgehen, dass es “der” Ukraine schlecht geht: was sind die Alternativen zur alten Herrscherclique? . Eben. Die Ukraine ist ein Kunstgebilde, dass man -Vorbild: die Tschoslowakei- in (mindestens) 2 kleinere Staaten aufteilen sollte (warum nicht 3, das 3. Gebiet [die Krim] kommt als “autonome Republik” nach Rußland). Aber dafür reicht die Phantasie wieder nicht, schon klar… ————————- Interessant finde ich die Ausführungen von “hinter der Fichte” und von Paul Craig Roberts, aber das nur am Rande.

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