Protest ersetzt Leistung

In den sozialen Medien üben Studenten Kritik an der Uni Hohenheim in Stuttgart. Unter anderem beschweren sie sich über fehlende Ruhe, formelle Fehler und den unfairen Schwierigkeitsgrad der Prüfung. Vorangegangen war folgender Vorfall: An der Universität Hohenheim haben rund 50 Studenten während einer Prüfung in Finanzwirtschaft gleichzeitig eine Prüfung abgebrochen und danach Atteste vorgelegt. Alle kamen vom selben Arzt und lieferten die gleichen Diagnosen. Die Uni wittert Betrug. 

Mit einigem Befremden lese ich von diesem „Skandal“ innerhalb unseres Bildungssystems. Es ist schon der zweite innerhalb weniger Wochen. Davor hörte man von einer Online-Petition gegen die unverhältnismäßig schwere Englischprüfung im baden-württembergischen Abitur. 

Wie schon gesagt, habe ich etwas Mühe mit dieser weinerlichen Protestkultur, die sich durch das Internet großartig artikulieren und organisieren lässt. Ebenso mit den ständigen Beschwerden über die unfairen äußeren Umstände, die den erwarteten und verdienten Erfolg verhindert hätten. Kann er nicht mehr verdient werden, so versucht man wenigstens, ihn einzuklagen. 

Kürzlich hörte ich im Radio ein Interview mit einer Studenten-Sprecherin, die auf die Frage nach dem Grund ihrer Proteste äußerte, das Studium wäre zu „leistungsorientiert“. Für mich klingt das seltsam. An was soll es denn sonst orientiert sein? Am Wohlbefinden der Studenten? Ist das Studium ein Hobby? Man kann der Studentin zugutehalten, dass es sich um ein Live-Interview handelte. Da der Reporter jedoch darauf verzichtete, die etwas unbeholfene Aussage klarzustellen, blieben die Orientierungswünsche der Studenten im Dunkeln. 

Proteste scheinen Volkssport zu werden

Die Proteste gegen angebliche Benachteiligung scheinen Volkssport zu werden. Ich sehe diese Tendenz in einigen Bereichen unserer Gesellschaft. Hierzu einige Beobachtungen und Gedanken aus meinem Berufsalltag: 

Jeder, der in seinem Leben schon zahlreiche Prüfungen durchlaufen hat, weiß, dass das Pendel in erstaunlicher Regelmäßigkeit in beide Richtungen ausschlägt. Da gibt es Prüfungen, die unverhältnismäßig schwer sind und ebenso welche, die unerwartet leicht von der Hand gehen. Wenn man ehrlich ist, wird man genauso oft für lückenhaftes Lernen unverdient belohnt, wie man trotz intensiver Vorbereitung auch mal enttäuscht wird. Vorausgesetzt natürlich, man ist nicht völlig fehl am Platz und ohnehin hoffnungslos überfordert. 

Ich arbeite seit vielen Jahren an einer Musikschule und habe zahlreiche Schüler von ihrem 8. bis 18. Lebensjahr durch die Schulzeit begleitet. Unabhängig von ihren Fähigkeiten am Instrument zeigen sie auch sehr unterschiedliche allgemeine Lernbegabungen. 

Eine positive Lernbegabung äußert sich in einer wachen Persönlichkeit, in der Fähigkeit, Schwierigkeiten schnell zu erkennen und in der Art, Lösungen zu entwickeln und konsequent umzusetzen. An einem Instrument kann man wunderbar das ökonomische, ich nenne es auch „das clevere Lernen" trainieren. Macht man das geschickt, kann man selbst mit geringer instrumentaler Begabung auf ein passables und ansprechendes Niveau kommen. 

Ein schwieriges Klientel in meinem Arbeitsfeld sind die „theoretisch“ Hochbegabten. Sie haben tatsächlich ein gewisses überdurchschnittliches Talent am Instrument, aber leider keinen Zugriff darauf, da ihnen das Talent zum disziplinierten Lernen fehlt. Sie haben keine Konstanz, sind dafür aber übermäßig anspruchsvoll und saugen ihrer Umgebung die Energie ab, die ihnen selbst fehlt. Ihre Brillanz existiert nur in ihrer Wunschvorstellung oder der ihrer Eltern. 

Es muss „Studium“ draufstehen

Wenn sich meine Schüler so langsam Richtung Schulexamen begeben, sprechen wir oft über ihre Pläne und Erwartungen. Ich bin dann immer wieder erstaunt, mit welcher mechanischen Selbstverständlichkeit nach einem höheren Abschluss ein Studium folgen soll, selbst wenn bereits der Abschluss Mühe bereitet. Der gesellschaftliche Druck ist enorm. Es scheint egal zu sein, dass man eigentlich ein praktisch veranlagter Typ ist und sich eine zeitaufwändige Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten überhaupt nicht vorstellen kann. Auf der Berufsausbildung muss „Studium“ drauf stehen.

Auch schon zu meiner Zeit (Abi 89) gab es einen gewissen gesellschaftlichen Druck. Speziell, wenn einem die Schule leicht fiel und man sehr gute Abschlussnoten hatte, wurde erwartet, dass man dies „ausnutzte" und ein Studium begann, auch wenn das nicht dem eigenen Typ entsprach. Ich selbst habe mich immer in Tätigkeiten wohlgefühlt, die zu mindestens 75 Prozent praktisch waren. Permanente Rechtfertigungen für diese Entscheidung fand ich ziemlich ermüdend. Ich habe den Eindruck, der Druck hat sich heutzutage noch verstärkt. Schüler, die nicht auf dem Gymnasium sind, bekennen dies oft mit entschuldigender Stimme. Eltern fühlen sich bemüßigt, lange Erklärungen für diese Entscheidung auszusprechen. 

Wenn ich jetzt solche Berichte wie von der Uni Hohenheim in den Nachrichten lese, dann vermute ich, dass hier zu einem nicht geringen Anteil falsche Vorstellungen auf harsche Realität prallen (die zu Recht kritisierten Formfehler ausgeklammert). Das erinnert mich dann an manche meiner Schüler, beziehungsweise an deren Mütter, die mir mit empörter Stimme erzählten, welchen ungerechten Umstände die glänzend erwartete Karriere der Tochter verhindert hätten. Ich denke mir dann im Stillen: Gute Frau, das Abschneiden deiner Tochter deckt sich mit ihrem Potenzial und der Leistungsbereitschaft, die sie seit Jahren zeigt. 

Natürlich ist es hart, eine Niederlage zugeben zu müssen. Es ist erlaubt, ein wenig zu maulen und mit dem Schicksal zu hadern oder auch zu protestieren. Das ist normal und hilft, die Enttäuschung zu überwinden. Nach dem ersten Aufruhr kann sogar eine Art Lerneffekt durch Selbstreflexion eintreten. Die spannendere Frage ist allerdings, wie die als „unfair“ bezeichneten Institutionen darauf reagieren. Gehen sie vor dem immer lautstarker werdenden Protest in die Knie, oder stehen sie zu ihrer Linie? Ich hoffe, letzteres wird der Fall sein.

Cornelia Buchta ist Querflötistin und Musikpädagogin.

Foto: Markytronic CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Elke Albert / 21.06.2018

Offenbar das Ergebnis vom dauerbekuschelt werden im abgeschirmten, konflikt- und keimfreien Hotel Mama…wenn Eltern ALLES von ihren Kindern fern halten und diese ALLES dürfen, ohne jegliche Konsequenzen, dann wird die Brut halt weltfremd. Woher sollen die es denn auch anders wissen, wenn ihnen keiner Grenzen aufzeigt, sie zur Selbstverantwortung erzieht und ihnen nicht beibringt, dass man eben nicht nur Rechte, sondern eben auch Pflichten hat? (Diese Eltern wissen das wahrscheinlich selber schon nicht mehr…) Ich habe auch so etwas in der Nachbarschaft. Das Kind - ca. 3 oder 4 - hat mittlerweile die Mutter bestens im Griff. Wenn dem dann mal irgendwann in Schule oder Studium - oder gar am Arbeitsplatz - der Wind etwas schärfer um die Nase wehen wird, kann ich mir die Reaktion jetzt schon bildlich vorstellen…

Petra Horn / 21.06.2018

Was bekommen eigentlich diese Links_Europa_ist_alles-Deutschland_ist_nichts-Dauerschwafler für ihre Auftritte? Diese Ideologie-Vorbeter werden ansonsten von Universitäten, also aus Staatsgeldern, neoliberalen Think-Tanks und dubiosen Stiftungen wie Bertelsmann gesponsert. Zu den Studenten: Man kann es ja mal probieren. Der linke Zeitgeist nennt das wieder “zivilen Ungehorsam” und meint damit: “Alles, was uns stört wird beseitigt. Noten sind sowieso ein Überbleibsel aus den bekannten dunklen Zeiten. Weg damit!”

Marie-Jeanne Decourroux / 21.06.2018

@Jürgen Keil: »Nun, Politologe kann man ja immer noch werden…« Und wenn man den richtigen Ton findet, reicht es vielleicht sogar zum Kommentator beim ZDF.

Bechlenberg Archi W. / 21.06.2018

In einem Land, in dem man ungeprüft nahezu alles sein kann, wenn man nur behauptet, man sei es, muss es natürlich zu Frustration führen, wenn das nur für Mitbürger gilt, die noch nicht so lange hier leben bzw. noch gar nicht hier leben. Und sicherlich blickt man dann von der Finanzwirtschaft neidisch hinüber zum Lehrstuhl für Genderstudien, wo das gegenseitige Betrachten und Kritisieren überholter primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale in entspannter Seminararbeit praktiziert wird und alleine die Teilnahme bereits zu einem Schein führt. Dass dann auch noch, wie man lesen kann, gelärmt wurde, als würde sich eine Hochzeitsgesellschaft mit orientalischem Erscheinungsbild durch den Prüfungsraum schießen, setzt den Ereignissen die Krone auf. Fragt sich nur noch, ob der freundliche Arzt sein Diplom auf der Universität von Aleppo erworben hat.

Werner Arning / 21.06.2018

Wenn eine Gesellschaft die Notwendigkeit des Erbringens von Leistung als Voraussetzung für den Fortbestand der Gesellschaft nicht mehr einsieht, sind das wohl Anzeichen von Dekadenz. Wenn das Einfordern von Entgegenkommen Vorrang hat vor der Bereitschaft, Opfer zu erbringen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, dann muss eine Gesellschaft auf Dauer scheitern. Dann ist der Anfang vom Ende schon da. Dann sterben die Leistungsträger langsam aber sicher aus. Dann gerät das Gleichgewicht zwischen Anspruchstellern und Leistungserbringern aus den Fugen. Dann kann, wenn einmal das Erbe aufgebraucht ist, nichts Neues entstehen. Dann übernehmen Andere, die bereit sind, sich zu quälen, die Reste der siechenden, ehemals erfolgreichen Gesellschaft. Aber bevor das passiert, wird alles aufgebraucht, was Vorgängergenerationen geschaffen haben. Da der Wert des Geschaffenen nicht geschätzt wird, gar als selbstverständlich vorhanden angesehen wird, fällt dessen Vergeudung leicht. Und die großzügige Verteilung dieser Werte auch.

toni Keller / 21.06.2018

werte Frau Buchta, ihre letzte Frage ist rein rhetorisch, die Institutionen gehen, selbstverständlich, in die Knie und zwar auf eine Art, die signalisiert “wer am lautesten brüllt der hat gewonnen!” Ironischerweise aber nur vor denen die am lautesten “Benachteiligung, Diskriminierung!” brüllen Auf der Strecke bleiben die Fleißigen, die Stillen, die normal Begabten, die sich mühen auch mal eine Niederlage einzustecken. Die Situation gleicht dem 14 Jhd, man hatte damals auch einen richtigen Überschuss an Akademikern, und konnte die alle nicht beschäftigen, damit förderte man das Quacksalberwesen und produzierte eine Menge an verkrachten Existenzen, die die Klöster nicht in der Lage waren alle aufzufangen. Am Ende zerbrach auch daran das Mittelalter und die Neuzeit begann mit ihren bekannten Wirren, wie Hexenverfolgung, Ketzerverfolgung, Reformation, die zwar anderes wollte, aber dazu diente die politischen Spaltungen und den Zerfall der mittelalterlichen Ordnung religiös zu begründen und zu verbrämen. Heute wie damals, war vorher nicht alles Gold, was da glänzte, aber es ist doch ganz einfach: Wenn ich alle Leute an die Uni bringen, alle mit einem Akademikerabschluss versehe, selbst dann gibt es immer noch nur eine begrenzte Anzahl von Stellen gehobeneren Einkommens,

Jürgen Schnerr / 21.06.2018

Sie, die Hochschulen, werden in die Knie gehen. Und eine Generation später die Wirtschaft in Deutschland. Denn überall wo dann Studium drauf steht, handelt es sich in aller Regel um was mit Medien oder Sozialem.

P.Steigert / 21.06.2018

Ich stimme Ihnen weitgehend zu. Aber es fehlt ein ganz entscheidender Teil. Wenn 50% der Schüler oder Studenten für das Gymnasium oder ein Hochschulstudium völlig ungeeignet sind, dann treffen sie dort auf Lehrer, Assis und Professoren, die zu einem sehr großen Teil ebenfalls etwas anderes tun sollten, z.B. Menschen, die gar kein Interesse an der Lehre haben, die die Anforderungen der Realwirtschaft gar nicht (mehr) beurteilen können, Halbgötter vor der Tafel ... Lehren und Lernen sind beides Refugien für die ohne Antrieb, Ideen und Spitzentalent. Es läge an Politik und Gesellschaft hier sinnvolle Rahmen zu schaffen, aber nicht in diesem Deutschland.

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