David Engels, Gastautor / 10.10.2021 / 16:00 / Foto: David Engels / 45 / Seite ausdrucken

Polen weist EuGH zurück: Europa gegen Europäische Union

Nach mehrmaligem Aufschub hat das polnische Verfassungsgericht am 7. Oktober 2021 endlich entschieden, dass dem Europäischen Gerichtshof in den Fällen, in denen er versucht, in die polnische Verfassung einzugreifen, kein prinzipieller Vorrang vor Letzterer einzuräumen ist, und damit den Weg für ernste Auseinandersetzungen zwischen Warschau und Brüssel geebnet. Diese folgenschwere Entscheidung ist nur die jüngste Etappe in dem langen und komplexen Kampf zwischen der konservativen polnischen Regierung und den linksliberalen europäischen Institutionen, die von Berlin und Paris bedingungslos unterstützt werden.

Seit 2015 ist Polen mit seinen westlichen Nachbarn zerstritten, nachdem es sich geweigert hatte, zehntausende muslimischer Migranten aufzunehmen, die von Angela Merkel in die Europäische Union eingeladen worden waren. Neben der Migrationsfrage sind auch die Verschärfung der Abtreibungsgesetze sowie die Unterzeichnung der angeblich homophoben Familiencharta durch eine Reihe polnischer Gemeinden weitere wichtige Streitpunkte. Doch das problematischste Konfliktfeld ist die so genannte Justizreform. In den letzten Wochen ihrer Amtszeit hatte die linksliberale Regierung von Donald Tusk im Voraus die Nachfolger jener Verfassungsrichter benannt, die erst in der nächsten Legislaturperiode in den Ruhestand gehen sollten. Eine Reihe von Skandalen brachte Tusk zu Fall, und 2015 wählte das Volk die jetzige, konservative Regierung, die verständlicherweise das Recht für sich beanspruchte, diese Nominierungen vorzunehmen. Dies führte zu einer vorübergehenden Verdoppelung bestimmter richterlicher Funktionen, zu starken internen politischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Richterschaft, zu wiederholten Versuchen der Regierung, die Situation durch eine Reihe von Gesetzen zu bereinigen, und zu einer scharfen Verurteilung Polens durch die EU und Berlin.

Rein formell gesehen hat die Justizreform lediglich versucht, die Mitspracherechte des polnischen Parlaments bei der personellen Zusammensetzung der hohen Richterschaft zu stärken und die politische Einflussnahme der Richter einzuschränken – wie es übrigens in zahlreichen anderen westlichen Ländern, vor allem in Deutschland, schon lange der Fall ist. Das Grundproblem hinter dem Streit Warschaus mit den europäischen Institutionen ist jedoch die Tatsache, dass diese Maßnahmen in der Praxis dazu führten, dass eine Reihe von Richtern mit bekannten linksliberalen Sympathien durch neue, von der konservativen Mehrheit ernannte Personen ersetzt wurden. Hierdurch wurden einflussreiche Cliquen geschwächt, die oft bis auf die Zeiten des Kommunismus zurückgehen, so dass die Rechtsreform von der derzeitigen polnischen Opposition unter dem ehemaligen polnischen Premierminister und Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, vehement angefeindet wurde, der in Brüssel und Berlin über erheblichen Einfluss verfügt und nun mit der Hoffnung auf ein neues Mandat auf die polnische politische Bühne zurückgekehrt ist.

Aber es geht bei dem Streit nicht nur um Personalpolitik, sondern auch und vielleicht vor allem um Werte: Als Polen der Europäischen Union beitrat, war es – ähnlich wie Großbritannien – davon überzeugt, dass dieses Projekt auf der gemeinsamen Achtung grundlegender gesellschaftlicher Institutionen wie der klassischen Familie, des Privateigentums, der nationalen Identität oder der abendländischen Zivilisation basierte. Doch die europäischen Eliten haben sich zunehmend linksradikalen Ideen wie Multikulturalismus, Gender Mainstreaming, LGBTQ-Ideologie, Globalismus, Schuldenkultur und westlichem Masochismus zugewandt.

Nichts Geringeres als ein „Regime Change“ beabsichtigt

Unter Ausnutzung der dynamischen Offenheit des europäischen Rechtssystems, bekannt als „Méthode Monnet“, hat der Europäische Gerichtshof zunehmend vage Schlagworte wie „Vielfalt“, „Toleranz“, „Minderheitenschutz“, „Rechtstaatlichkeit“ oder „Gleichheit“ instrumentalisiert, um somit indirekt, undemokratisch und ohne jede Möglichkeit zum Appell allen Mitgliedstaaten unterschiedslos einen neuen Rechtsrahmen aufzuzwingen. Die unvermeidlichen ideologischen Konflikte zwischen dem Linksliberalismus in Brüssel, Berlin und Paris und dem Konservatismus in Warschau, Budapest oder London werden dabei als juristischer Kampf zwischen einem angeblichen „Rechtsstaat“ und einem sogenannten „nationalen Populismus“ verschleiert.

Nachdem die Europäische Union vor einigen Wochen aufgrund der angeblichen Angriffe Polens auf die „europäischen Werte“ überraschend beschlossen hat, dem Land die zugesagten Covid-Fonds vorzuenthalten und damit Warschau offen zu erdrosseln, ist jedem klar geworden, dass nichts Geringeres als ein „Regime Change“ beabsichtigt ist, um eine der letzten Bastionen des Konservatismus in Europa zu zerstören. Die Weigerung des polnischen Verfassungsgerichts, den Vorrang des europäischen vor dem polnischen Verfassungsrecht anzuerkennen, war ebenso mutig wie alternativlos: Ein Einlenken hätte die totale Preisgabe all dessen bedeutet, was die derzeitige polnische Regierung aufgebaut hat, und hätte den Weg zu einer neuen Berlin-hörigen Tusk-Regierung und damit zu einer nicht enden wollenden Serie politisch motivierter Prozesse gegen alle hohen Vertreter der derzeitigen Mehrheit geebnet.

Wird diese Entscheidung ein weiterer Schritt in Richtung Polexit sein? Die meisten Polen, darunter auch die Regierung, wollen eine friedliche und immer engere gemeinsame Zusammenarbeit mit ihren Nachbarn und fühlen sich als echte abendländische Patrioten. Aber die Dinge sind wohl an einem Punkt angelangt, an dem die EU als der schlimmste Feind des Abendlandes angesehen werden muss.

 

Prof. Dr. David Engels unterhält eine Forschungsprofessur am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-westeuropäischer Beziehungen.

Foto: David Engels

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E Ekat / 10.10.2021

Klarstellung, wie die ursprünglich als “Europa der Vaterländer” (Subsidarität) angesetzte Vereinigung hingedreht wurde. Nochmals Danke an Herrn Waigel für den Euro. Gut, auch mal die „Méthode Monnet“ erwähnt zu finden.  Die ganze Sache hat mit demokratischen Strukturen nichts zu tun, ist abgestimmt auf Vorstellungen von Schwab und Soros, (und Maurice Strong - Milliardär, Sozialist, Hubbard-Fan -  den im Auftrage der UNO tätig gewordenen Promoter der Klima-Klamotte mit dem Ziel, zum Welt-Sozialismus zu gelangen).  Der Artikel beleuchtet die Rolle von Berlin unter Merkel, aber auch die Rolle unseres eigenen (ha!)Verfassungsgerichts, allerdings bereits unter Voßkuhle, ihnen anvertrauten Bürgern den Schutz ihres Grundgesetzes zu versagen. Bevor Polen sich weiter um die Frage von Reprationszahlungen bemüht, wird es also erst noch für die Erhaltung unserer Freiheit eintreten müssen.  Denn wer die Kommentierungen unserer Medien zu diesem Streit verfolgt hat wird ahnen, daß wir erst mal wieder befreit werden müssen.  Danke für die Veröffentlichung dieses Artikels.

Johann Santi / 10.10.2021

Polen ist nicht Großbritannien, nicht wirtschaftlich, nicht kulturell, nicht sprachlich, nicht militärisch etc. Während Großbritannien mehr in die EU einzahlte, als es herausbekam, ist Polen der größte Nettoempfänger in der EU. Hinzu kommt, dass Polen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit sehr profitiert und einige Millionen Polen in der EU / Großbritannien arbeiten. Ein Polexit hat doch somit in der Bevölkerung keinerlei Chance, so dass jetzt schon klar ist, wer in diesem Ringen siegt; unklar ist lediglich der Zeitpunkt.

S.Buch / 10.10.2021

Das zwischen Mitgliedsstaaten und EU nach wie vor geltende Subsidiaritätsprinzip, wurde auf perfide Weise durch Missachtung und aktive, rechtswidrige Handlungen von EU-Komission und EUGH unterwandert (zersetzt). Gut, dass Polen insoweit eine rote Linie zieht.

Paul Siemons / 10.10.2021

Alleine das Ansinnen der EU, sich über nationales Recht zu erheben zeigt doch, was hinter dem Konstrukt “Europäische Union” steckt. Man kann nur hoffen, dass das polnische Volk das jetzige Votum und dessen Gründe immer zu würdigen weiß. Sklaven eines übermächtigen Herrschers war man doch wirklich lange genug.

Silas Loy / 10.10.2021

Sehr guter Artikel, vielen Dank, und die Polen müssen wissen: Ihr habt in ganz Europa viele Unterstützer, Ihr seid nicht allein!

M.-A. Schneider / 10.10.2021

Man kann nur hoffen, dass andere Länder folgen und endlich begreifen, worum es der Brüsseler Oligarchentruppe unter der Führung von U.v.d. Leyen, die eigens von Merkel aus diesen Gründen eingesetzt wurde, nämlich um ein straffes zentrales EU-Regime unter der Führung Brüssels mit den dieser Zentrale untergeordneten, bar jeglicher Souveränitätsrechte und Unsummen zahlenden Mitgliedsstaaten, zu installieren, die diese Art von EU bald nur noch verfluchen werden.

Manfred Werner / 10.10.2021

Um als Berliner stringent zu bleiben: „ Ab dem 7. Oktober 2021 wird zurückgeschossen !“  Wo kommen wir denn da hin, wenn der Osten nicht am „Deutschen Wesen“ genesen will ?  Gerade jetzt, wo wir die Speerspitze der Weltrettung repräsentieren. Also bitte …lasset uns angemessene Folterinstrumente finden!  „ …Pardon wird nicht gegeben.“ … ruft da der Goldman Sachse Macron um die Ecke.

Jochen Brühl / 10.10.2021

Die Polen werden nach 1683 vielleicht ein zweites Mal zum Retter des Abendlandes. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass man in Berlin und Brüssel einen Austritt riskieren möchte, sofern Polen an seiner Ostgrenze einen effektiven Grenzschutz durchzieht und nicht den Lukaschenko imitiert. Dann wäre das Ende Westeuropas so schnell da, dass man nach Polen flüchten müsste.

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