Fred Viebahn / 25.02.2010 / 04:33 / 0 / Seite ausdrucken

Phaeton-philie

Also so geht’s nicht! Während die Oberklassewagen von Mercedes, BMW und Audi unbelästigt durch die Gegend schunkeln, wird der arme Volkswagen Phaeton kräftig in Weinessig getunkt. Will man ihn etwa ersäufen? Das ist einfach nicht fair, und es bewegt mich dazu, ausnahmsweise über Autos zu schreiben, denn ich kenne den Brocken gut aus eigener Erfahrung: Meine Frau, die sich niemals beschwipst hinters Steuer setzt und von Jörg Haider unseligen Angedenkens ideologisch so äonenweit entfernt ist, wie sie und Bischöfin Käßmann die höllisch-himmlische Religionskluft trennt, fährt ihren eigenen apassionata-blauen Engel. Manchmal darf ich sogar von meinem noch wesentlich dickeren SUV auf ihr geliebtes Gefährt umsteigen und sie damit nach New York oder in andere Großstädte kutschieren, wo die Hotels nur Valetparken zulassen und wir uns beim elektronisch verriegelbaren Kofferraum des Phaeton keine Sorgen um diebische Hotelgaragenangestellte machen müssen. (Ich spreche aus Erfahrung: Aus meinem SUV, in dem sich innen nix separat abschließen läßt, sind schon mal Kleinigkeiten geklaut worden.)

Rita, meine Angetraute, nennt ihr heliochromlackiertes Schätzchen zärtlich Phebe, nach der Titanin der griechischen Sage und einer Hauptperson in ihrem Theaterstück “The Darker Face of the Earth”. Phebe sah am 27. April 2006 das Licht der Welt. Fast hätte ich “lief vom Band” gesagt, aber das wäre ein Sakrileg, denn Phaetons laufen nicht vom Band wie ordinäre Wolfsburger, sie werden von Techno-Arbeitern in der Dresdener gläsernen Manufaktur montiert; zu der Zeit, als Phebe geboren wurde, wurde dort neben ihr auch noch Bentley Continentals Leben eingehaucht, mit denen die Phaetons angeblich mehr gemeinsam haben als mit dem Audi A8.  Anfang Juni 2006, also etwa einen Monat später, landete Phebe als eine der letzten der nur 235 Phaeton-Geschwister des Baujahrs 2006, die VW in die USA einführte, in New Jersey. Und dann—dann war bis dato Schluß. Was mit Baujahr 2004 in Nordamerika unter riesigem Posaunenschall angefangen hatte, endete bereits Ende 2005 mit einem kläglichen Absatzkater, als Volkswagen of America ankündigte, ab Sommer ‘06 keine weiteren Phaetons mehr zu importieren.

Obwohl die Phaetons für den US-Markt serienmäßig reichhaltiger ausgestattet waren als die europäischen Grundmodelle und zudem, wenn man den Umtauschkurs von Euro zu Dollar in Betracht zieht, eine ganze Ecke billiger (wie auch Mercedes und BMW ihre Preise dem hiesigen Markt nach unten anpaßten und deftige Gewinnspannen einbüßten, um wettbewerbsfähig zu bleiben), zeigte sich schnell, daß es den meisten Luxuskarossenkäufern weniger auf technische Überlegenheit, fantastische Garantieleistungen oder gar Exklusivität ankam denn auf ein protzsicheres Prestigeemblem—und damit konnten das V und das W nun einfach nicht dienen. Bei den Händlern blieben sie hängen, denn kaum eine Privatperson blätterte achtzigtausend Dollar (für den V8) oder über hunderttausend (für den W12) hin, und selbst beträchtliche Preisreduzierungen, nachdem VW das amerikanische Handtuch geworfen hatte, konnten die Karre auf dem Automarkt nicht mehr flott machen.

Meine Frau war Mercy, ihrem bulligen schwarzen Mercedes 350SD, Baujahr 1991, achtzehn Jahre lang treu geblieben, aber langsam litt er unter seinem Alter, er konnte das Öl nicht mehr so recht bei sich halten, die Lenkung quietschte, sein Dieselqualm und vor allem das Geratter und Geknatter gerieten hinter die Zeit. So fingen wir vor einem Jahr an, uns nach Ersatz umzusehen. Wir wollten dabei möglichst an unserer sozusagen cross-kulturellen Tradition festhalten. Da ich ein hochbeiniges amerikanisches Ungetüm fahre, das uns auch bei tiefem Schnee aus unserer Einfahrt und über unsere bei Winterwetter schlecht gepflügte Landstraße transportieren kann, liebäugelte sie mit schnittigen deutschen PKWs, die höchsten Sicherheits- und Bequemlichkeitsstandards entsprechen, also den Flaggschiffmodellen der üblichen Marken, konnte sich aber nicht entscheiden und nagelte weiter mit Mercy herum. Die Epiphanie passierte, als wir im Frühsommer Berlin besuchten und am Brandenburger Tor spazierengingen: Da standen sie zwischen anderen offiziellen Mercedes-, BMW- und Audikarossen—mehrere schwarze Phaetons.

“VW?” sagte Rita, “VW macht so eine Limousine?” Ich erzählte ihr, was ich darüber irgendwo gelesen hatte: Ferdinand Piëchs quixottische Idee, den amerikanischen Bauchklatscher…

“Ein Flop?” fragte Rita; das verstünde sie nicht. “Schau dir die Seitenlinie an, das ist doch ein ästhetischer Leckerbissen. A thing of beauty.” Dagegen kamen ihr die anderen Autos entweder plump oder gewollt überkandidelt vor.

“Von vorne sieht er aus wie ein Passat,” wandte ich ein, “nur mit breiterem Grinsen.”

Es half alles nichts; kaum waren wir zurück in den USA, fing die Suche an, die unglaublicherweise binnen Tagen von Erfolg gekrönt war: In Pittsburgh, Pennsylvania, nur etwa fünf Fahrstunden von uns, bot VW einen noch im Firmenbesitz befindlichen Phaeton an, der jüngste auf dem spärlichen Markt, ebenjenen der allerletzten, die im Juni 2006 importiert worden waren; wir fuhren nach Pittsburgh zur Probefahrt und staunten: Wenn Händler von “wie neu” prahlen, kann man das normalerweise nicht wörtlich nehmen; aber hier stimmte die Beschreibung. Das dreijährige Leasing des mit allem technischen und Komfort-Schnickschnack, den man sich nur vorstellen kann, bepackten Wagens war gerade nach eben mal 30.000 Fahrmeilen abgelaufen, und um den Verkauf des als Ladenhüter berüchtigten Volks-Giganten schmackhaft zu machen, kam er mit weiteren drei Jahren bzw. 40.000 Meilen Werksgarantie.

Inzwischen haben wir etwa zehntausend Meilen mit Phebe dem blauen Phaeton zurückgelegt. Wir erregen beim Vorüberhuschen kein großes Aufsehen, weil er von vorne wirklich dem Passat ähnlich sieht, und es kratzt uns nicht, sollte uns jemand nachschauen und sich über den dicken Po mit VW-Logo wundern. Ein ästhetisches Plaisier mit Understatement, nennt es Rita. Seit Berlin haben wir nur einen weiteren Phaeton zu Gesicht bekommen, letzten November in Acapulco vor dem Hard Rock Cafe. Im Internet fand ich eine internationale Gemeinschaft durchweg sympathischer Phaeton-Fans, die unter Leitung eines kanadischen W12-Fahrers, von Beruf Flugzeugpilot, technische Tips und Abenteuerstories mit ihren viertürigen Fast-Boliden austauschen. Was kümmern mich da rechtspopulistische Säufer, die sich ins Jenseits befördern, indem sie ein Meisterwerk in Schrott verwandeln, oder Christendarsteller, die anderen Wasser predigen und sich selbst mit Wein volllaufen lassen?

So, liebe VW-Manager, habe ich mir jetzt einen neuen Phaeton verdient, sollte Volkswagen das Modell jemals wieder in die USA einführen? 2012 vielleicht, wenn die Garantie auf Phebe, Ritas Benziner, ausläuft, im Eintausch gegen einen Diesel? Muß ja nicht unbedingt der Zehnzylinder sein—der Sechser reicht uns auch. Aber diesmal mit iPhone-Anschluß, bitte—den gab’s 2006 noch nicht.

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