Die sogenannte Große Koalition ist, schaut man sich aktuelle Umfragewerte an, ziemlich klein geworden. Genüsslich zelebriert sie ihre Krisen, und wie in einer zerstrittenen Familie, hält sie irgendwie nur noch zusammen, weil keiner dem anderen die alleinige Vormundschaft über die 80 Millionen Mündel zugestehen will.
Doch auch wenn es scheint, als ob sich die Regierungspartner über jedes Schrittchen in der Migrations-, Finanz-, Wirtschafts- oder Europapolitik streiten würden, so gibt es doch auch unstrittige gemeinsame Projekte, die nur nicht angemessen gewürdigt werden.
Die SPD – diese Partei vermisst den Wählerzuspruch gerade besonders stark – hat herausgefunden, wie sich 81.000 neue Wähler gewinnen lassen und beim Koalitionspartner sofort engagierte Unterstützer gefunden. Es handelt sich um Menschen, die derzeit noch nicht wahlberechtigt sind. Keine Angst, hier geht es nicht um Blitzeinbürgerungen von Mohammed und seinen Brüdern, um von ihnen Stimmen der Dankbarkeit für die Willkommenskultur zu bekommen. Es geht um Deutsche, die bislang von Bundestagswahlen ausgeschlossen sind.
Zwar besitzt selbstverständlich jeder volljährige Bundesbürger das Wahlrecht, allerdings schließt das Wahlgesetz denjenigen, aus, „für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist“. Im Klartext: Wer nicht in der Lage ist, selbst über seine persönlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu entscheiden und deshalb eines Betreuers bedarf, dürfte auch mit einer Wahlentscheidung, bei der es um nicht weniger als die Zukunft des Gemeinwesens geht, überfordert sein. Klingt eigentlich recht logisch, doch wenn 81.000 Wählerstimmen locken, dann entdeckt ein moderner Sozialdemokrat ohne weiteres einen zu beseitigenden Diskriminierungstatbestand. Die SPD brachte das Vorhaben auch in den Koalitionsvertrag ein. Dort heißt es:
„Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle. Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden. Wir empfehlen dem Deutschen Bundestag, in seinen aktuellen Beratungen zu Änderungen am Wahlrecht, dieses Thema entsprechend umzusetzen.“
Provokation für Satiriker
Und dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag möchten die Sozialdemokraten bald umsetzen. So erklärte der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, jüngst dem Handelsblatt: „Es ist höchste Zeit, dass auch alle Menschen mit geistiger Behinderung wählen können. Wählen ist ein Grundrecht.“
Dass die Eile, die aus den Worten des Genossen Lischka spricht, irgendetwas damit zu tun haben könnte, dass der SPD immer mehr ihrer bisherigen Wähler von der roten Fahne gehen, wäre sicher eine allzu böse Unterstellung. Mit geistig Behinderten treibt man schließlich keinen Schabernack.
Und zu einem solchen kann das sehr schnell werden. Dieser Vorstoß ist eigentlich eine Provokation für Satiriker. Ein Satz wie „Die SPD kämpft um die Stimmen von geistig Behinderten“ liegt doch jedem von ihnen wie von selbst auf der losen Zunge, doch ihn öffentlich auszusprechen, kann einem schon das Genick brechen, denn auf Kosten von Behinderten macht man keine Witze.
Ohnedies ist schon die Benutzung der veralteten Bezeichnung „geistig behindert“ ziemlich rückwärtsgewandt, gibt es doch die politisch korrekten Formulierungen wie „Menschen mit besonderen Fähigkeiten oder Bedürfnissen“. Bevor man jetzt die SPD zur Partei für die „besonderen Bedürfnisse“ erklärt, kann man auch „andersfähig“ nehmen.
Die Ratgeber in Sachen richtiger Bezeichnung auf leidmedien.de haben auch noch eine andere Empfehlung, um das böse B-Wort zu vermeiden:
„Der Begriff „geistige Behinderung“ ist momentan umstritten. Vielen gilt er nach wie vor als neutrale Bezeichnung für Menschen, die große Probleme mit dem Lernen und Schwierigkeiten haben, abstrakte Dinge schnell zu verstehen. Viele der so bezeichneten Menschen aber lehnen den Begriff „geistige Behinderung“ ab und nennen sich lieber Mensch mit Lernschwierigkeiten. Sie finden, dass nicht ihr „Geist“ behindert ist, und dass „geistige Behinderung“ sie als ganzen Menschen schlecht macht.“
Also empfiehlt sich die deutsche Sozialdemokratie den „Menschen mit Lernschwierigkeiten“? Zu manchen Genossen Volkserzieherinnen würde das gut passen. Sie mögen es, unschöne Umstände durch schönere Wortschöpfungen zu verschleiern, statt sich der Mühe des Lösens praktischer Probleme auszusetzen.
Betreutes Wählen
Aber zurück zu den neuen Wählern: Das bisherige Wahlgesetz schließt ja gar nicht die Menschen mit geistiger Behinderung – oder wie immer man sie schöner nennen mag – aus, sondern unter ihnen nur die, die für alle Lebensentscheidungen eine Betreuung brauchen. Das ist ein Unterschied. Der wiederum ficht die Genossen nicht an. Auch die Betreuten sollen nun wählen dürfen. Vielleicht hoffen die Genossen darauf, dass diese es aber gar nicht schaffen, eine Wahlentscheidung zu treffen und ihre jeweiligen Betreuer zu Rate ziehen und diese möglicherweise noch eine heimliche Leidenschaft für die alte SPD hegen.
Betreutes Wählen, das würde jeder geschrumpften Volkspartei gut gefallen. Und um auch die „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ selbst zu erreichen, gibt es ja die derzeit allseits geförderte „leichte Sprache“. Politik in leichter Sprache, das ist doch eine spannende Sache, schließlich schafft es ja auch Donald Trump, mit einfachen Hauptsätzen eine Weltmacht zu führen.
Aber darf man sich als Sozialdemokrat ein Beispiel an Donald Trump nehmen wollen? Das geht ja gar nicht. Vielleicht könnten auch die neuen Stimmbürger am Ende gar für die böse, böse AfD votieren. Zumal die leichte Sprache dem rechtspopulistischen Gedankengut Vorschub leistet, denn in ihr wird nicht gegendert. Wie weiland überall in der deutschen Sprache, sind bei der Verwendung der grammatisch-männlichen Form alle Geschlechter gemeint. So steht es in den Präambeln vieler Broschüren in „leichter Sprache“. Können fortschrittliche Sozialdemokraten solch rückschrittliche Praxis wirklich fördern wollen? Ist es vielleicht ein subversiv-konservativer Trick, dass die Unionsparteien diesen SPD-Vorstoß vehement zu unterstützen scheinen?
Vielleicht sollten die wachsamen Genossen erst einmal innehalten mit der Wahlrechtsänderung. Sie könnten ja beschließen, dass es die erst geben könne, wenn eine genderneutrale Form der „leichten Sprache“ gefunden wurde. Bis dahin können sich die vielen Gender-Professorinnen forschend auf die Suche danach begeben. Damit wären sie wenigstens für eine Weile beschäftigt, in der sie keinen anderen Unsinn machen können. Also lieber betreutes Gendern als betreutes Wählen.
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