Hansjörg Müller / 20.08.2014 / 09:53 / 3 / Seite ausdrucken

Moralische Blindheit

Die Schweiz hat ihren Sommerskandal: Seit am Sonntag bekannt wurde, dass der Badener Stadtammann und Aargauer Nationalrat Geri Müller Nacktfotos seiner selbst an eine mutmassliche Geliebte versendete, steht der politisch-mediale Komplex Kopf. «Üble Sache, Geri. Deine Integrität ruhe in Frieden», schrieb ein Parteikollege noch am Sonntagmorgen auf dem Twitter-Account der Aargauer Grünen und gab damit eine Meinung von sich, von der sich die Kantonalpartei alsbald an gleicher Stelle distanzierte.

Dass der angebliche Skandal tatsächlich ein solcher ist, muss bezweifelt werden: Natürlich ist die Affäre hochnotpeinlich, so wie das eben immer ist, wenn allzu Privates öffentlich wird. Solange sich aber der Vorwurf nicht erhärtet, Müller habe sein Amt missbraucht, um über die Bilder erneut exklusiv verfügen zu können, handelt es sich um eine rein private Angelegenheit.

Erschreckender als das Wissen um Existenz und Verbreitung Müllerscher Aktfotos ist die mangelnde Urteilskraft seiner Parteikollegen. Denn es ist offensichtlich, dass es um Müllers Integrität nicht erst seit Ende letzter Woche schlecht bestellt ist. Auf die Gefahr hin, als Langweiler, Besserwisser und Kleinkrämer gescholten zu werden, müssen wir noch einmal vom Verhältnis des Grünen-Politikers zu Israel reden.

Anfang 2012 empfing Müller im Bundeshaus einen Vertreter der radikalislamischen Hamas, einer Terrororganisation, in deren Charta es heisst: «Die Stunde des Gerichts wird nicht kommen, bevor die Muslime nicht die Juden bekämpfen und töten, sodass sich die Juden hinter Bäumen und Steinen verstecken, und jeder Baum und Stein wird sagen: ‹Oh Muslim, oh Diener Allahs, ein Jude ist hinter mir, komm und töte ihn!›» Palästina erstreckt sich für die Hamas vom Mittelmeer bis zum Jordan, für Israel hat es in ihren Plänen keinen Platz. Wer logisch denken kann, muss sehen, worauf eine Verwirklichung solcher Forderungen hinauslaufen würde: Auf einen neuen Holocaust, dieses Mal im Nahen Osten.

Niemals hat sich Müller deutlich von der Hamas distanziert, nicht einmal jetzt, da diese die Palästinenser im Gaza-Streifen als menschliche Schutzschilde missbraucht, um Israel vor der Welt an den Pranger stellen zu können. Die Schweiz streitet dieser Tage darüber, ob das Private politisch ist. Dabei sollte eines klar sein: Einer, der sich mit religiösen Fanatikern gemein macht, deren Ansichten denen der deutschen Nationalsozialisten gleichen, ist in seinen diversen Ämtern schon lange nicht mehr tragbar. Es erfordert ein bemerkenswertes Mass an moralischer Blindheit, dies nicht zu erkennen. Müllers Nacktfotos sind demgegenüber eine Petitesse.

Erschienen in der Basler Zeitung: http://bazonline.ch/schweiz/Moralische-Blindheit/story/13105350

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Leserpost

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Peter Wipf / 20.08.2014

Herr Müller, falls Sie hoffen dass seine Parteimitglieder oder eine größere Öffentlichkeit in der Schweiz zur Einsicht gelangen, er müsse seine Ämter räumen oder er befände sich auf einem ideologischen Irrweg, dann hoffen Sie vergeblich. Lesen Sie nur die Kommentare zu Ihrem Artikel in der BaZ, und Sie werden feststellen, dass viele sein Verhalten nicht anstößig finden, darunter einige Frauen. Diese miese Sommerflautengeschichte wird weitgehend dahin interpretiert, dass es sich um einen Racheakt einer Enttäuschten oder Verschmähten handelt, oder um politische Rivalen, die ihn demontieren wollen. Fast niemand bringt seine problematischen Freizeitaktivitäten mit Hamas und seinen Antisemitismus zur Sprache; man muss annehmen, dass es von vielen Schweizern akzeptiert wird, also befindet er sich in bester Gesellschaft.

Andreas Mertens / 20.08.2014

Ok .. ich erkläre ihnen jetzt mal die journalistische Welt (Nicht das ich davon Ahnung hätte .... aber das stört die meisten Journalisten ja auch nicht) Gebot 1) Only bad news are good news! Gebot 2) Treibe die Sau mitten durchs Dorf! Gebot 3) Wenn du die Sau schlachtest, schlachte sie öffentlich! Gebot 4) Es zählt nicht ob schuldig oder unschuldig sondern die Auflage! Gebot 5) Je höher du jemanden hebst desto tiefer kannst du ihn stoßen! Gebot 6) Was interessiert mich mein Gechwätz von Gestern! Gebot 7) Beschwöre monatlich eine(n) neue(n) Katastrophe/Skandal herauf! Gebot 8) Eine Lüge ist bereits 3x um die Erde , bevor die Wahrheit die Stiefel an hat! Gebot 9) Halte die Leute dumm ... schreibe auf dem Niveau der Sesamstraße! Gebot 10) Ich bin Political Correctness, du sollts keine eigene Meinung haben!

Waldemar Undig / 20.08.2014

Aber Geri Müller ist nicht der einzige, der ein solch unverkrampftes Verhältnis zur Hamas hat. Daher sollte man nicht nur einfach ihn an den Pranger stellen. Oder sind es hier doch die Selfies, die das Fass zum Überlauf bringen?

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