Von Jacques Schuster
Berlin ist um einen Skandal reicher, oder besser: um ein Skandälchen und einen Skandal. Und Berlin reagiert wie immer: Ein Reden und Raunen, ein Surren und Schwirren geht durch die Kulturszene. Im Mittelpunkt stehen der 2007 verstorbene Kunsthändler Heinz Berggruen, ein Buch, dessen Autorin und Stephan Speicher, ein Journalist der „Süddeutschen Zeitung“. Bislang war Speicher eher durch seine Weltfremdheit und hoch gebildete Harmlosigkeit bekannt. Er besaß nicht den Ruf, im Gewerbe der Niedertracht so beschlagen zu sein, wie es nun zutage tritt.
Doch dazu später. Zunächst heißt es, dass Dramolett zu skizzieren, das Speicher am Wochenende durch eine Buchbesprechung auf die Berliner Bühne brachte. Eine Person im Hintergrund muss der Vollständigkeit halber aber noch erwähnt werden: Bernd Schultz, der Chef des Auktionshauses Villa Grisebach. Folgt man den Gerüchten, soll er der erklärte Berggruen-Gegner, eine Autorin für Berggruen interessiert haben, um diesen wenn nicht zu Lebzeiten, so doch posthum als das darzustellen, was er angeblich in Schultz’ Augen immer war: ein windiger Geschäftsmann.
Wie dem auch sei, Vivien Stein hat ein Buch über Heinz Berggruens „Leben und Legende“ (so der Titel) herausgebracht, das in Berlin seit dem Wochenende diskutiert wird. In ihm zieht sie Berggruen nicht etwa den Heiligenschein vom Haupte, sondern vernichtet ihn als Menschen und Mäzen. Bezeichnenderweise hat Stein dafür nur einen Schweizer Kleinstverlag, die „Edition Alpenblick“, gewinnen können. Sie ist erst seit kurzem im Züricher Handelregister eingetragen; das Progamm weist nur ein einziges Buch aus, eben Steins anmerkungsreiches Pamphlet.
Freilich sagt das noch nichts über die Güte ihrer Arbeit aus. Wer indes hineinschaut, wer sich über die vielen trockenen Stellen ihrer Darstellung schleppt, der wird von Berggruen, dem Lügner und Betrüger, dem Schlitzohr und Windbläser erfahren, ohne überzeugende Belege für ihre Angriffe zu hören. Im Mittelpunkt von Steins Attacke steht der Vorwurf, Berggruen habe als Kunsthändler sein Leben lang Steuern hinterzogen. Das mag stimmen oder auch nicht. Ein Kunsthändler im Range Berggruens erklimmt die Höhe, auf der er stand, jedenfalls nicht durch Steuerbetrug.
Der gefährlichste, weil vergiftete Pfeil in Steins Attacke aber ist nicht der des Betruges, sondern der Anwurf, Berggruen, der 1996 nach Berlin zurückkam, habe seine Rolle als Vorzeigejude für Berlin „einstudiert“, die Kunstsammlung, die er der Stadt übertrug, keineswegs großzügig abgetreten und die Öffentlichkeit somit jahrelang an der Nase herumgeführt. Dass Berggruen seine Sammlung für 253 Millionen D-Mark an Berlin und damit unter dem Schätzwert verkaufte, der heute bei etwa einer Milliarde Euro liegt, lässt die Autorin nicht gelten. Ihr Anliegen ist es, Heinz Berggruen als listenreichen, mauschelnden Ganoven darzustellen, der die brave, aber einfältige Berliner Gesellschaft aufs Kreuz gelegt hat. Selten hat man gut fünfzig Jahre nach Kriegsende ähnlich Unappetitliches gelesen.
Doch das ist nur ein Skandälchen. Der Skandal ist, dass ein seriöser Journalist die Vorwürfe ohne hinreichende Pfrüfung übernimmt, auf einer Zeitungsseite ausbreitet und Steins Kampfschrift damit eine Verbreitung verschafft, die sie nicht verdient. Stephan Speicher setzt sogar noch eines drauf. Er verbindet das Geschäftsgebaren des Berggruen-Sohnes und Karstadt-Käufers, Nicolas, mit der angeblichen Anrüchigkeit des Vaters und meint ein „Sittenstück Berggruen“ zu schreiben, das am Ende doch eher ein „Bubenstück Speicher“ ist.
Stephan Speicher wie Vivien Stein wiederholen Vorwürfe und mischen sie mit gierig aufgenommenen Gerüchten. Auf ähnliche Weise ist der Antisemitismus entstanden.