Beda M. Stadler, Gastautor / 22.12.2008 / 17:59 / 0 / Seite ausdrucken

Liebes Bern

Die Kolumne erschien zuerst in der Berner Zeitung vom 20. Dez. 2008

Meine letzte BZ-Kolumne ist ein kurzer Liebesbrief an die Stadt und die Berner Zeitung, die mir derart lange Zeit Platz einräumte, um etwas Unruhe zu stiften. Herzlichen Dank auch an die Leserbriefschreiber, die mir so oft ans Bein gepinkelt haben. Sie lieferten jeweils den Beweis, dass diese Stadt noch von einem aktiven Bibelgürtel umgeben ist. Wer heute fragt: „Glaubst Du noch, oder denkst Du schon?“ wird zum Provokateur. Macht nichts, sogar die Bären erhaltenen bald etwas mehr Freiheit in dieser Stadt…

 

Ich habe mich in all den Jahren über die Irrationalität lustig gemacht, weil ich bloss ein Leben zur Verfügung habe und nicht in einem Jammertal weile. All jene, die an irgendetwas Absurdes glauben, wurden somit mit Spott eingedeckt. Warum auch nicht? Als Wissenschaftler muss man sich heute beinahe entschuldigen, wenn man zur Realität steht. Es hat einige Uni-Angehörige geärgert, dass unter dieser Kolumne mein Arbeitsort stand. Mir hat dies gefallen, weil die Universität eine Bastion von Freidenkern sein sollte. In meiner Position hat man keinen eigentlichen Chef mehr, ausser Kollegen, die alle paar Jahre ausgewechselt werden, das verpflichtet. Welcher Andere Job gibt einem soviel Narrenfreiheit? Ich sehe dies eben gar als Pflicht ab und zu die Narrenkappe aufzusetzen. Wenn Unidozenten nicht mehr bereit sind Klartext zu reden, wer denn sonst? Zum Glück haben wir in Bern zumindest ausserhalb der Uni noch Komiker: Danke Andreas Thiel – im Ernst!

Die Wissenschaft macht Fehler, sie behauptet aber nicht unfehlbar zu sein wie die Gläubigen, die an irgendetwas nicht zu beweisendes glauben. Etwa gesünderes Biogemüse, Globuli (in denen nichts drin ist), Grander Wasser oder Phyten, die Gefahren der Gentechnologie, die Schöpfung (die es nie gegeben hat) oder einen totalitären, interstellaren Herrscher, der einen sogar auf der Toilette beobachtet. Habe ich was ausgelassen? Ja, im Gegensatz zum Glauben ist die Wissenschaft bereit aus Fehlern zu lernen. Keiner von uns hat die Wahrheit gefressen, aber unsere Produkte, von der Teflonpfanne, über das Handy, bis hin zu Medikamenten haben eine stärkere Wirkung als der Placeboeffekt. Den gibt’s überall gratis.

Der Irrglaube ist in Ordnung, falls er von erwachsenen Menschen gepflegt und nicht verbreitet wird. Es macht Spass so etwas zu tolerieren. Nur, warum verlangen Leute, die an das Absurde glauben, auch Respekt? Liegt das Problem allenfalls darin, dass der geforderte Respekt nur ein Deckmantel für Machtgelüste ist? Respekt kann man nicht einfordern, den muss man sich verdienen. Ich wollte nie Respekt, aber das Recht, respektlos zu sein und das hat Spass gemacht.

Hätte unser Stadtpräsident etwas weniger Respekt vor de Baldachin-Gegnern gehabt, so wäre das schöne Glasdach etwas länger geraten. Wir könnten trockenen Fusses vom Bahnhof zum Tram, und das wäre schön, bei dem Sauwetter.

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