Beda M. Stadler, Gastautor / 04.08.2009 / 23:50 / 0 / Seite ausdrucken

Lebenshilfe

Es wird immer mehr Leistung verlangt. Soll ich mich dopen?
Beim Doping gilt die Devise, sich nicht erwischen zu lassen. Noch ist politisch korrekt, wer vollgepumpt mit Medikamenten zur Arbeit erscheint. Ein Hockeyverteidiger in den Play-offs wäre blöd, wenn er nicht ebenso seine Leiden bekämpfen würde, schliesslich ist das Eis sein Arbeitsfeld. Doping mit Schmerzmitteln ist also stinknormal für alle Menschen, die auf Erden keine Sühne treiben wollen.
Neben den Dopingkontrolleuren legt sich aber auch das BAG quer, wenn es darum geht, ein paar Goodys für den Alltag zu erhalten: etwa Epo. Was bei Velofahrern verständlich ist, schliesslich sollen nicht alle gleichzeitig auf dem Berg ankommen, ist für ältere Menschen eine krasse Ungerechtigkeit. Eine Altersanämie (zu wenig rote Blutkörperchen) bewirkt, dass man nicht mehr die Treppen raufkommt. Die Epo-Spritze für Senioren (belastet das Budget wie drei Flaschen Barolo) wäre ausgleichende Gerechtigkeit, damit jeder seine Enkelkinder im dritten Stock besuchen kann.
Die beste Dopingmethode steht nicht auf der Dopingliste und wird von Sportlern rücksichtslos angewendet. Man denkt, alle anderen sind Nieten, Verlierer, Idioten oder Blödiane, und setzt alles daran, diese zu erniedrigen, zu bekämpfen, zu besiegen. Derart niedrige Beweggründe sind das bewährteste Dopingmittel zum Erfolg. Testosterone verstärken diese Eigenschaften und machen uns Männer so kompetitiv und attraktiv für das andere Geschlecht. Solange das Verlangen, andere Menschen zu besiegen, nicht auf der Dopingliste steht, darf dieses Mittel natürlich im Alltag ebenfalls angewendet werden.

Mit welcher Ausrede bekomme ich garantiert ein ärztliches Zeugnis?
Sparen Sie sich die Mühe, im Internet Symptome zu studieren, um den perfekten Simulanten rauszuhängen. Sie spornen damit nur den Ehrgeiz jedes Arztes an, diesen ungewöhnlichen Fall lösen zu wollen. Ärzte sind auch nur Menschen, zählen Sie daher auf ihre Ratlosigkeit oder Empathie. Ideal ist das sogenannte Schüler-Bauchweh: Versuchen Sie ungesund dreinzuschauen, und wiederholen Sie Sätze wie: «Mir ist kotzelend, schlecht und nochmals schlecht. Der Bauch tut weh.» Dabei ist wichtig, sowohl Ort als auch Art des Schmerzes nicht preiszugeben. Mit dieser Symptomatik kann der Arzt Sie nicht in die Gastroenterologie überweisen. Sie werden ein Zeugnis erhalten, um in ein bis zwei Tagen wieder vorbeizuschauen, damit der Spuk entweder vorbei oder die Symptomatik klarer ist.
Bei den meisten Ärzten kann man auch auf die soziale Ader spielen. Versuchen Sie nicht, irgendwelche Schmerzen zu mimen, simulieren Sie die totale Erschöpfung. Erwähnen Sie nebenbei, dass Ihr Arbeitgeber ein brutaler Sklaventreiber ist. So oder so, nie übertreiben.

Darf ich aus der Kirche austreten, um Geld zu sparen?
Nein, das wäre wie schwarzfahren im Tram und beim Erwischtwerden sich vorrechnen, wie viel man trotzdem gespart hat. Falls Sie mit einer ewigen Bleibe in heiliger Erde liebäugeln, könnten Nachzahlungen anstehen. Es gibt allerdings weniger selbstsüchtige Gründe, die es rechtfertigen, die Kirchensteuer einzusparen. Ein allmächtiger Gott kann sich bei Bedarf ein paar Scheine selber drucken. Der liebe Gott erwartet keine so schnöde Gegenliebe wie Geld. Beten Sie zu ihm, das wird ihn sicher freuen. Zudem ist die Vatikanbank als einzige derzeit nicht in Nöten. Falls Sie nun verunsichert sind, schmeissen Sie einen Monatslohn in die Luft, falls Gott was braucht, wird er es sich nehmen — was runterkommt, können Sie behalten.

Wie kann ich mich am effektivsten umbringen?
Das Problem beim Selbstmord ist die Silbe «Selbst-». Das Do-it-yourself-Verfahren hinterlässt fast immer eine heillose Sauerei. Den Brückenspringer zerlegt es in Einzelteile, der Kopfschiesser versaut die Tapeten. Wer sich ersäuft, verunreinigt das Trinkwasser, und wer sich vor den Zug wirft, hinterlässt psychische Schäden beim Lokführer. Da man nach dem Ableben nicht mehr wasserdicht ist, bekleckert sich der Mitmensch, der einen aus der Schlinge hebt. Immer muss nachher jemand aufräumen. Ideal wäre daher ein Sprung in den Krematoriumsofen, wobei mit dem grossen Zeh die Türe zugeschlagen wird. Menschen mit Charakter bringen sich daher nicht selber um. Man bezahlt jemanden, der nachher aufräumt. Solche Organisationen, dem Humanismus sei Dank, gibt es zum Glück in der Schweiz.

Wie spüre ich einen sich anbahnenden Herzinfarkt?
Der Herzinfarkt gehört zu den Ungerechtigkeiten des Lebens. Kommen zu ungünstigen Genen ein genussvolles Verhalten mit Folgen wie Übergewicht und Rauchen, ist der Weg zum akuten Koronarsyndrom gepflastert. Das schlechte Gewissen erhöht den Stress, der nun mal zum Erfolg gehört. Es sind die erfolgsverwöhnten Mitmenschen, die auf frühe Warnsignale hören und sich so eine Frage stellen. Vielleicht sitzt ihnen der Alp bereits auf der Brust, und sie wissen nicht, ob dies ein Herzinfarktsymptom oder die Angst vor der Steuerrechnung ist. Wer für Abhilfe sorgt, ist die Sorgen nicht wirklich los. Die ungebrauchten Fitnessgeräte und Fahrräder sind Symptome der Herzinfarktangst. Jogger sollen bekanntlich länger leben, allerdings bloss um die Zeitspanne, die sie mit schmerzverzerrtem Gesicht gejoggt haben. Es gäbe da auch eine andere Einstellung. Da es den Körnlipicker wie den sportlichen Mittfünfziger erwischen kann, sollte man die Symptome als Ausdruck eines erfüllten Lebens hinnehmen und für den potenziell raschen Abgang dankbar sein.

Ich bin lust- und antriebslos, will mich aber nicht wegen eines Burnouts krankschreiben lassen. Was kann ich tun?
Es ist schon so, ein Burnout weckt den Eindruck, man sei seinem Job nicht gewachsen gewesen. Man kann danach nicht munter am Arbeitsplatz erscheinen und eine Lohnerhöhung verlangen. Zwei geniale Zürcher Geschäftsleute haben allerdings eine Lösung gefunden. Sie haben das Boreout-Syndrom erfunden. Diese schlimme Krankheit erwischt einen, wenn man am Arbeitsplatz unterfordert ist. Schuld für den Ausbruch trägt der Chef. Man hat also keinen Gesichtsverlust, wenn man daran leidet. Geheilt wird man durch die Kündigung und eine interessantere Tätigkeit. Von einem normalen Arzt gibt’s für diese Symptomatik möglicherweise keinen Krankenschein. Ich würde zum Alternativmediziner gehen, die sind ganz versessen auf Krankheiten, die von alleine heilen. Es ist anzunehmen, dass es längst Globuli gegen diese Symptomatik gibt, welche Sie getrost schlucken können. Die Kügelchen haben keine Nebenwirkungen, verständlich, schliesslich ist nichts drin. Wirkliche Abhilfe gegen Lust- und Antriebslosigkeit verschaffen meist animalische Triebe. Lust und Triebe, die gemeinhin als Sünde gelten, verleihen jedem Leben neuen Auftrieb. Geht der Seitensprung für Sie zu weit, versuchen Sie an einem Polizeieinsatzwagen die Luft rauszulassen. Die Arbeit liefert danach ein willkommenes Alibi.

Was muss ich trinken, um den idealen Rausch zu haben, ohne lästige Nebenwirkungen am nächsten Morgen?
Besorgen Sie sich einen Giftschein für reinen Alkohol (Äthanol). Dieser wird verdünnt mit reinem Wasser und schnell getrunken. Die Menge richtet sich nach Ihrem BMI und der Zielvorstellung: von leicht besoffen bis Selbstmord. Wem das zu wenig romantisch ist, der soll dem ungesunden Rat folgen, dass man zu jedem Drink mindestens die doppelte Menge Wasser auf einen mit Fett vollgestopften Magen trinken soll. Jeder von uns kennt die Folgen auf der Hüfte: Alkohol hat ungeheuer Kalorien und krönt zusätzlich das Fettmahl.
Ich meine daher, beginnen Sie auf nüchternen Magen mit Champagner oder einem anderen «Knallwein». Die Kohlensäure beschleunigt die Aufnahme des Alkohols, und Sie haben schon vor dem Essen einen leichten Suff. Meiden Sie jegliches Junk-Food wie Nüsschen und dergleichen. Fett und Kalorien machen dem Alkohol zu schaffen; Folge: Sie müssten mehrere Gläser trinken. Es gilt die Devise, möglichst wenige Drinks zu sich zu nehmen und trotzdem angenehm besoffen zu sein. Die Katersubstanzen sind nämlich nicht im reinen Alkohol, sondern oft im Methanol oder sonst in den alkoholischen Getränken. Im Verlaufe des Abends geht es nun darum, jeden Drink mit dem richtigen Volumen kohlensäurehaltigen Wassers anzuheizen. Die Kunst besteht darin, das persönliche Gleichgewicht zwischen Sprudel und Drink zu finden. Bei dieser empirischen Methode kann man abstürzen, daher gilt auch hier: «Übung macht den Meister!»

Welche Zigaretten sind die am wenigsten ungesunden?
Die harmloseste Marke ist leider genauso verboten wie die kurzen dicken Franzosenstängel, von denen man keinen Krebs kriegen soll, da sie einen vorher umbringen. Die Rede ist von Kaugummi- und Schokoladezigaretten, die es früher am Bahnhofautomaten gab. Rauchen ist ein Tabu, somit stellt sich die obige Frage nicht. Es geht beim Rauchen nur noch ums Passivrauchen.
Einer der triftigsten Gründe gegen das Rauchen sind in der Zwischenzeit Katzen, weil sie die Schmauchrückstände von den Möbeln lecken. Die Zürcher Lungenliga füttert unsere Medien immer wieder mit neuen Entdeckungen aus der Welt der Raucher. Da selbst beim secondhand smoking mit der Zeit die Storys ausgehen, kommt jetzt der third-hand smoke. Die unfreiwilligen Passivraucher schleppen den Rauch in den Kleidern nach Hause und werden somit zur Bedrohung für die eigenen Kinder. Die Frage erinnert also stark an ein grundsätzliches Problem, an dem früher katholische Kinder gelitten haben: Habe ich Unkeusches berührt, und muss ich dies beichten? Je nach Pfarrer (Analogie zur Lungenliga) reichte allerdings die intensive gedankliche Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Körperteilen zur Sünde.
Auch Bill Clinton konnte sich nicht wirklich herausreden, indem er sagte, er habe nicht inhaliert. Bereiten wir uns auf die Frage vor, ab wann Schokolade verboten wird. Schliesslich gibt es wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Dicke vermehrt am Klimawandel schuld sind.

Einige Antworten von Beda M. Stadler aus dem Weltwoche Sonderheft 31-32/09 zum Dossier “Lebenshilfe”

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