Anabel Schunke / 04.09.2018 / 12:30 / Foto: Tim Maxeiner / 74 / Seite ausdrucken

Konzert auf dem Friedhof der Kuscheltiere

„Wir sind nicht zum Feiern hier” tönt es von einer Mitinitiatorin des #wirsindmehr-Konzerts gleich zu Anfang von der Bühne. Eine Aussage, die angesichts der Bilder vor Ort genauso wie die Schweigeminute für den ermordeten Daniel H. wahlweise mit „grotesk” oder einfach nur „verlogen” umschrieben werden kann. Denn natürlich ging es in erster Linie um’s Feiern und dann um’s „Zeichen setzen” und nicht um Daniel H.

Der zur Gedenkstätte umfunktionierte Tatort, wenige hundert Meter von der Konzertbühne entfernt, legt an diesem Tag Zeugnis darüber ab. „Refugees Welcome” hängt da plötzlich in Form eines Banners in einem Strauch über ein paar Grabkerzen. Dazu gesellen sich im Laufe des Tages antifaschistische Logos, die auf dem Boden ausgebreitet werden, und „FCK NZS”-Pappschilder.

Auch am Ort des Geschehens selbst geht es den Besuchern des Konzerts nicht um stilles Gedenken, sondern darum, dem in ihren Augen einzig richtigen Narrativ Gültigkeit zu verleihen. Wenn auch manchmal mit einer neben den Kerzen abgestellten Bierflasche. Instrumentalisieren gegen Instrumentalisierung – oder so. Wer nicht mitzieht, wird schnell belagert. Das merken wir spätestens, als wir vor Ort mit der Kamera ein Interview mit einem der wenigen Chemnitzer führen, der das Konzert nicht gutheißt, da es die Probleme nicht lösen würde.

Man stellt sich dazu, fragt, während wir mit dem Mann sprechen, den Begleiter danach, was das Problem sei. Es sind die typischen Einschüchterungsversuche von Links. Auch als wir später ein zweites Interview an derselben Stelle führen, werden wir erneut von derselben Gruppe junger Männer beäugt. Es ist, als hätte das linke Spektrum den Platz für sich okkupiert, und seine Fußtruppen helfen nun dabei, den Rest der Normalbürger zu vertreiben.  

Mehr „staatstragende Worte“ als Gesang

Wieder ein paar Meter weiter, die Straße hinunter am Marx-Monument, legt eine DJane auf. Wie hieß es vorhin auf der Bühne nochmal: „Wir sind nicht zum Feiern hier”. Das ist fast zum Lachen, wenn es nicht so schrecklich geschmack- und pietätlos wäre. Auf der gegenüberliegenden Seite, mitten auf dem stadtbekannten Drogenumschlagplatz, ist ein weiteres DJ-Pult aufgebaut. Dazu Stände, an denen man antifaschistisches „Merchandising”, Fischbrötchen und Logos erwerben kann.

Zurück an der Konzertbühne spielen mittlerweile Feine Sahne Fischfilet, wobei Sänger „Monchi” gefühlt mehr „staatstragende Worte” von sich gibt, als dass er singt. Viele um uns herum sind äußerst textsicher, und ich bezweifele einmal mehr, dass sich hier der „Bürger der Mitte” die Ehre gibt und damit beweist, dass er die Texte linksradikaler Punkbands genauso beherrscht wie zu späterer Stunde Helene Fischers Atemlos im Festzelt auf dem Schützenfest.

Ich spreche einen jungen Mann in der Menge an, der Monchis moralischen Appell mit „Was labert der da eigentlich?!” kommentiert. Er sei eigentlich nur wegen K.I.Z hier. Ob so ein Konzert wirklich das Richtige ist, weiß er nicht. Die Aussicht auf die Lieblingsgruppe bügelt die leisen Bedenken jedoch aus. Spätestens als K.I.Z „Boom Boom Boom Boom, ich bring euch alle um“ performen, singen alle mit. „Ich sprenge eure Demo und es regnet Hackepeter.“ Die Zeile hätte auch von einem Islamisten stammen können.  

Wenn man sich also fragt, wer gestern „Wir” war, dann lässt sich sagen: Vor allem junge Menschen. Zum einen wohl, weil besonders viele junge Leute meiner Generation und der nachfolgenden tatsächlich links sind. Zum anderen, weil es sich bei ihnen schlicht und ergreifend um die primäre Zielgruppe der meisten Acts an diesem Abend handelt.

Die versammelte Riege der Jugendidole

Damit dürfte dann auch geklärt sein, ob eine ähnlich gelagerte Veranstaltung „gegen Rechts” genauso viele Besucher zum „Haltung zeigen” und „Zeichen setzen” angelockt hätte, wenn man auf die versammelte Riege der Jugendidole von Marteria bis Kraftklub als Line-Up verzichtet hätte. Über 50 Euro kostet ein Ticket für Marterias und Caspers aktuelle Tour und K.I.Z gibt es dieses Jahr nur noch auf dem Lollapalooza-Festival in Berlin: Ticket für zwei Tage: 139 bis 149 Euro. Viel Geld für einen Studenten oder Auszubildenden.  

Wäre dieses Konzert hingegen tatsächlich ein „Aufstand der Anständigen”, ein Zeichen der „Zivilgesellschaft” gewesen, dann wäre das Publikum durchmischter gewesen. So blieb es ein stinknormales festivalartiges Konzert für lau, bei dem die Jugend ihre Lieblingskünstler feierte und nebenbei für Instagram noch einmal mit einem „Nazis-sind-Scheiße-Schild” posierte. Eine Mischung aus linksradikalen Feine Sahne-Anhängern und Jugendlichen Snapchat-Opfern ist jedenfalls kein Abbild eines gesellschaftlichen „Wir”, das, so hätte es ein Großteil der Medien wohl gern, immer noch mehrheitlich hinter der „Deutschland-ist-bunt-Doktrin" und Merkels Asylpolitik steht. Das Gegenteil ist der Fall. Da helfen auch alle Bilder aus Chemnitz nichts.  

Fragt man sich darüber hinaus, wer ebenfalls nicht zum „Wir” von „WirSindmehr” gehört, dann fallen vor allem jene auf, um die es in der hitzigen Debatte, die seit drei Jahren nonstop geführt wird, eigentlich geht. Denn während es für den Durchschnitts-Malte-Thorben en vogue ist, bei Feine Sahne Fischfilet mitzugrölen und mit Arbeiterfaust vor dem Marx-Monument für Instagram und Snapchat zu posieren, geht der ganze „Kampf für das Gute” einer Gruppe augenscheinlich besonders am Arsch vorbei: jungen Asylbewerbern.  

Die Deutschen spielen unter sich

Die findet man in Chemnitz nämlich allenfalls, wenn man in die Richtung seines geparkten Autos abseits der Veranstaltung geht. Mit coolen Caps und Smartphones sitzen sie dort auf den Treppenstufen und bekommen von all den Bestrebungen gegen das vermeintlich Böse in diesem Land überhaupt nichts mit. Ähnlich wie schon nach der Debatte um die Silvesternacht in Köln zeigt sich: Der Kampf Links gegen Rechts ist ein Spiel, das die Deutschen einzig unter sich spielen. Die Debatte um Asyl eine, die man – wie auch nach Köln – unter sich und um den eigenen Minderwertigkeitskomplex herum führt. Das „Objekt” beziehungsweise die Frage nach dem Umgang mit ihm, an dem sich der Streit der Deutschen untereinander eigentlich entzündet hatte, ist und bleibt hingegen in der Mehrzahl weitgehend unbeteiligt.  

Insofern spielt es auch keine Rolle, wie oft Campino und Co. noch zu einem Konzert gegen Rechts aufrufen und irgendwas gegen „Hass und Hetze” ins Mikrofon tröten. Es ist auch egal, ob bei einem solchen Konzert 50.000 oder 65.000 Besucher ein „Zeichen setzen” und ob unser Bundespräsident oder Angela Merkel höchstpersönlich dafür wirbt. Entscheidend ist, dass sich am Alltag der Menschen dadurch nichts ändern wird, weil solche Veranstaltungen das eigentliche Problem, an dem sich auch die Proteste in Chemnitz entzündet haben, nicht einmal annähernd tangieren.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Renate Menges / 04.09.2018

Wie wahr, Frau Schunke. Die klaren Analysen in Ihren Texten gefallen mir immer besser. Dabei hätte ich vor einigen Jahren nichts von Ihnen gelesen, aus Gründen, aber nichts ist so beständig wie die Veränderung.

Uta Buhr / 04.09.2018

Ein starker Text,  der die ganze Verlogenheit dieser total überflüssigen Veranstaltung im Detail ausleuchtet. Leider werden jene, die diese Kritik betrifft, ihn kaum lesen. Oder wenn - dann mit Verwünschungen gegen die Autorin. Danke, Anabel Schunke. Ich freue mich auf Ihren nächsten Beitrag, der mir sicherlich wieder den Tag retten wird. Danke auch an die Achse, die so wertvollen Autoren ein Forum gibt. Die nächste Bürgschaft folgt in Kürze.

Frank Stricker / 04.09.2018

Für mich war das ein “Woodstock für geistig limitierte”. Da helfen auch die höheren Weihen vom Silberrücken Frank-Walter Steinmeier aus dem Bundespräsidialamt nicht. Wenn es vermeintlich gegen “rechts” geht , nimmt man es mit der politischen correctness nicht ganz so genau. K.I.Z und “irgendetwas mit Fisch”  seien hier kurz erwähnt , die hätten beim Hamburger G 20 Gipfel sicher Pflastersteinwerfend in der ersten Reihe gestanden. Wie dieses Festival der Linksradikalen bei ARD und ZDF gehypt wurde, war nun fürwahr unerträglich.  Einige stammelnde “Rapper”  Hand in Hand mit Mister Superwichtig Lutschbonbon, “Verzeihung Campino” ,  bildeten eine fast schon perverse Mischung aus Gesinnungsethik und Pietätlosigkeit.

Belo Zibé / 04.09.2018

«Wir sind nicht zum Feiern hier»  Natürlich nicht, niema*nd,kein*e, auch nicht die Genoss*innen Manuela Schwesig, Aydan Özöguz und Lars Klingbeil ,die vor lauter Trauer lächelnd ein Selfie von sich schossen und eines von aussen schiessen liessen, damit die Trauer auch eindrücklich dokumentiert wird.Heute auf Focus Online ein Foto welches die trauernde Masse und ein trauerndes Mädchen mit FCK NZS T-Shirt beim Crowd Surfing zeigt.Unter dem bedrückenden Foto steht zu lesen: «Ausgelassene Stimmung auf dem #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz. Neben einer Fischvergiftung wird das ein oder andere Teil vom Mehr nach ausgelassener Trauer den Kat*erIn ausschlafen oder, in Anlehnung an den Focus Artikel, den Eltern erklären, weshalb es ihnen verschwiegen hat, dass es in Chemnitz mitgefeiert, Pardon getrauert hat.

Kristina Laudan / 04.09.2018

#Wirsindmehr: Wer in der Mehrheit ist, hat Recht? Folgendes Beispiel: Zwei Gruppen streiten darum, wer im Recht ist. Die erste Gruppe (4 Personen) sagt: 2+2 =4. Die andere Gruppe (100 Personen) sagt: 2+2=5. Dann sagt die zweite Gruppe noch: #wirsindmehr und deshalb sind wir im Recht!

Volker Kleinophorst / 04.09.2018

Mutig, liebe Frau Schunke sich da unter die “Gutmenschen” zu wagen. Was für eine Farce. Auf der Bühne im Wesentlichen “weiße Männer”, auch die Zuschauer “kartoffeldeutsch”. Also eigentlich eine sexistische und rassistische Veranstaltung. Man muss immer wieder betonen: Trauer/Schweige-Marsch wird von “Gegendemonstranten” behindert und von der Staatsmacht auf Befehl von ganz oben aufgelöst, hat trotzdem 10.000 Marschierer. Freikonzert mit linksradikalen Bands auf Pro-Merkel-Kurs hat 65.000 Besucher, die aus dem ganzen Land angekarrt werden. Gegendemonstrationen wurden nicht genehmigt. Das “toleranteste” Land der Welt zeigt Gesicht. Ist leider ne Fratze. Und die Migranten? Die lachen uns aus. Würde ich an deren Stelle auch tun.

W. Scholz / 04.09.2018

>>Eine Aussage, die angesichts der Bilder vor Ort genauso wie die Schweigeminute für den ermordeten Daniel H. wahlweise mit “grotesk” oder einfach nur “verlogen” umschrieben werden kann.<< Mir erschließt sich beim besten Willen nicht, was an einer expliziten Trauerkundgebung “grotesk” sein soll. Die AfD hatte vorab deutlich gesagt, wie sich die Teilnehmer zu verhalten haben ... Wirklich IRRE hingegen ist, dass wir eine einzige Einheitssoße in den Medien vorgesetzt bekommen, die das hinausposaunt, was Merkel sich hat einfallen lassen.

Andreas Schneider / 04.09.2018

Ínteressant wäre gewesen, wieviele Thorben Maltes gekommen wären, wenn es 49,- Euro Eintritt gekostet hätte. Die Einnahmen hätte man ja den Familien der Opfer zukommen lassen können.  Ansonsten wär es ein uhnanständiger, peinlicher Abend. Mit einer Jugend, derer politische Einstellung (zum Glück) noch nicht voll ausgebildet ist, kann man solche lustigen Bilder inszenieren - natürlich muss da alles kostenlos sein. Dann schreien die auch alle “Alerta Antifascista”, warum auch immer, aber egal. Hauptsache Party - kostenlos.  Es war einfach makaber. Verhöhnung der Opfer.  Schockierend. Lächerlich.

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