Gastautor / 01.11.2019 / 06:13 / Foto: Európa Pont / 37 / Seite ausdrucken

Kippt Viktor Orbán bei der nächsten Wahl?

Von Krisztina Koenen.

Am 13. Oktober fanden in Ungarn Kommunalwahlen statt. Sie erregten in den deutschen Medien keine besondere Aufmerksamkeit, denn es schien alles beim Alten zu sein: Die konservative Fidesz-Partei des Viktor Orbán gewann fast überall, auch wenn diesmal nicht mit der großen Mehrheit wie bei den nationalen Wahlen oder bei der Europawahl. 

Doch der Schein trügt. Zwar hat in 18 von 19 Komitatsverwaltungen (Komitate sind Regierungsbezirke) Fidesz weiterhin die Mehrheit. Die Partei hat jedoch in den regionalen Zentren, in den mittelgroßen Städten in erheblichem Maße Stimmen verloren. Die Kandidaten, denen es gelungen war, die Fidesz-Kandidaten zu schlagen, waren meistens Vertreter starker lokaler Initiativen, von Bürgerbewegungen für verschiedene lokale und regionale Zielsetzungen. 

In einigen Städten war auch die nationale Opposition erfolgreich. Hier handelt es sich nicht um eine bestimmte Partei, sondern um den Zusammenschluss von bis zu vier oder fünf verschiedenen – mit einer Ausnahme linken – Parteien, die durch ein gemeinsames universalistisches, meist grünes Weltbild bündnisfähig sind. Was sie über das allgemeine Weltbild hinaus eint, ist die Parteinahme für die EU gegenüber der nationalen Regierung Ungarns, und der unbedingte Wille zur Macht. Zu dem Bündnis gehörten fast überall die bedeutungslos gewordenen postkommunistischen Sozialisten des MSZP, die von ihnen abgespaltene Ein-Personen-Partei des Exministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, die sogenannte „Demokratische Koalition“, und eine schwer durchschaubare Aktionspartei „Momentum“ mit grünen Ambitionen. 

Sie trennen zwar innerhalb linksgrüner Ideologien verschiedene, manchmal schwer nachvollziehbare Differenzen, doch es eint sie der Hass auf Fidesz und Orbán persönlich, der so übermächtig ist, dass sie um des Wahlsieges willen tatsächlich vielerorts bereit waren, sich sogar mit der nationalsozialistischen, rassistischen und antisemitischen Partei „Jobbik“ zusammenzutun. Wer bis dahin eines Beweises bedurft habe, dass Links- und Rechtsextremisten bestens zusammenpassen, der hat ihn hier bekommen. Allerdings ist Jobbik dermaßen offen rassistisch und antisemitisch, dass man sich fragen muss, wie groß der Hass auf den politischen Gegner oder der Wille zur Macht sein muss, damit Personen, die sich als Demokraten bezeichnen, mit einer Partei wie dieser ein Bündnis eingehen.

Der Verlust der Hauptstadt Budapest

Das echte Desaster für Fidesz und Orbán ist allerdings der Verlust der Hauptstadt Budapest.  Der bisherige Oberbürgermeister István Tarlós, ein Unabhängiger, aber Fidesz-naher Politiker, regierte die Stadt seit 2010. Er verlor gegen Gergely Karácsony, der mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte (bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent). Karácsony ist eine schillernde Figur, ehemaliger Berater des MSZP-Exministerpräsidenten Gyurcsány aus der Zeit, als beide noch Mitglieder bei den Sozialisten waren, dann Miglied bei der grünen LMP, dann bei der ebenfalls grünen Abspaltung „Dialog für Ungarn“, die jedoch jetzt wieder den Sozialisten nahe steht. Karácsony wurde in einer umstrittenen Urwahl der Bündnisparteien zum Spitzenkandidaten gewählt, diesmal ohne Nationalsozialisten. 

Der Verlust von Budapest wiegt für die kommenden nationalen Wahlen schwer. Die Hauptstadt spielt von jeher und in jeder Hinsicht eine besondere Rolle in Ungarn. Mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern (ohne die Agglomerationen um die Stadt herum) stellt sie fast 20 Prozent der gesamten Einwohnerschaft Ungarns. Sie ist kulturelles, intellektuelles und politisches Zentrum des Landes. In der Hauptstadt haben sich die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Agenten der EU, den von Soros finanzierten NGO und der Regierung abgespielt, hier konzentrieren sich – trotz der bis zuletzt vorhandenen Dominanz von Fidesz – all jene Organisationen und Personengruppen, denen Brüssel näher ist als der XIII. Bezirk. Orbán und Fidesz war es in den vergangenen Wahlen seit 2010 gelungen, nach den bedrückenden Jahren der sozialistischen Vorherrschaft die traditionell national orientierten, konservativen und wohlhabenderen Einwohner der Hauptstadt für sich zu gewinnen. Sie gewannen sie mit dem Versprechen auf mehr Freiheit, mehr Ordnung, mehr Tradition, die Tarlós und Fidesz eine Zeit lang auch lieferten.

Karácsony hat schon in seiner ersten Erklärung klargemacht, dass er vorhabe, Budapest zu einem starken Brückenkopf der EU und all jener Ideologien auszubauen, gegen die sich Fidesz bis jetzt mehr oder minder erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte. Schon will er den Klimanotstand ausrufen, Budapest „grün“ machen, und natürlich viel Geld von der Zentralregierung fordern, um Sozialgeschenke zu verteilen. Geplante öffentliche Gebäude sollen trotz existierender Baugenehmigungen nicht gebaut werden, stattdessen sollen Sozialwohnungen errichtet werden. Er wolle „den Einwohnern die Entscheidungsgewalt über sich“ zurückgeben, sagt er, was das jedoch darüber hinaus bedeuten soll, dass nun er und seine Bündnispartner die Machtstellungen in den Verwaltungen einnehmen, sagt er nicht. Gegen Fidesz sinnt er auf Rache, schon hat er angekündigt, die von führenden Fidesz-Mitgliedern erworbenen Immobilien mit einer Extrasteuer belegen zu wollen. Gesetzlichkeit scheint nicht zu den Stärken des neuen OB zu gehören.

Karácsonys Programm ist allgemeines Neid- und Fortschrittsgeschwätz, er selbst hat die Anziehungskraft eines schlecht gekleideten Grundschullehrers. Warum also hat Fidesz gegen eine so bedeutungslose Person mit einem wolkigen, offenkundig unrealistischen Programm verloren? Es gibt ganz gewiss inzwischen einen allgemeinen Verdruss am Führungspersonal der Partei. Die Wirtschaft läuft gut, die Menschen sind sichtbar wohlhabender geworden, und sie sind die alten Parolen und die immer gleichen Gesichter leid. Wohlstand langweilt, man wird experimentierfreudiger. Selbst in den Bezirken, in denen die Dinge ausgesprochen gut gelaufen sind, haben die Fidesz-Kandidaten verloren. Fidesz hat sich – aus Überheblichkeit? Selbstüberschätzung? Verachtung der Opposition? – nicht einmal die Mühe gemacht, die eigenen Anhänger zu mobilisieren und einen anständigen Wahlkampf zu führen.

Träge, arrogant und selbstherrlich 

Nicht nur die Wähler, auch Fidesz und seine Funktionsträger haben sich daran gewöhnt, immer gewählt zu werden. Sie sind träge, selbstherrlich und arrogant geworden. Nicht nur in Budapest, sondern auch auf dem Lande, dort aber halten die örtlichen Potentate noch Fidesz die Stange. Während früher die Entscheidung für Fidesz mehr Vernunft und Freiheit bedeutete, wird dieses Versprechen inzwischen nicht mehr eingelöst. Überall in den Verwaltungen haben sich die eigenen Leute eingenistet und suchen ihren eigenen Vorteil und den ihrer Parteifreunde und Familien.

Bei vielen Einwohnern der Stadt herrscht das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, ein Gefühl, das freilich von den linken Medien und Parteien ununterbrochen angeheizt wird, mit der Behauptung, nur wer korrupt und ein Freund von Fidesz sei, könne in Ungarn zu Vermögen gelangt sein. Der Neid auf die Erfolgreichen, egal auf welche Weise der Erfolg zustande gekommen ist, zerfrisst die Gesellschaft. Zu allem Überfluss wurde eine Woche vor den Wahlen ein Video veröffentlicht, der den Fidesz-Spitzenkandidaten in Györ auf einer Urlaubsreise mit mehreren Prostituierten in flagranti zeigt. Die Parallelen zur Strache-Affäre sind gewiss kein Zufall. Die Wähler in Györ hielten ihm trotzdem die Treue, aber in Budapest wurde das Video zum großen Thema und zum Symbol der Verdorbenheit von Fidesz-Vertretern.

Auch im Großen laufen die Dinge für Fidesz und Orbán nicht gut. In gewisser Weise leiden die Partei und das Land immer noch unter den Spätfolgen des Kommunismus, beziehungsweise an den Folgen der Beseitigung des kommunistischen Erbes an Staatseigentum. Welcher Weg auch immer bei der Privatisierung im ehemaligen Ostblock gewählt wurde, in jedem Land führte sie zu Fehlentwicklungen. Orbán wollte statt der Vorherrschaft ausländischer Konzerne die nationale Wirtschaft stärken. Also kaufte der Staat Versorger und einige Banken von den (meist deutschen und österreichischen) Monopolisten zurück, Ausschreibungen wurden so lange zurechtgebogen, bis ungarische Unternehmen zu den Gewinnern gehörten. Nur allzu häufig waren die Besitzer oder die Führungskräfte Unterstützer von Fidesz, oder gehörten zu Freunden und Familien von mehr oder weniger bekannten Vertretern der Partei. Sinngemäß erklärte Orbán einmal dazu, dass die Sozialisten (die vorher ganz ähnlich verfuhren) niemals wieder das wirtschaftliche Netzwerk besitzen sollten, um Fidesz zu besiegen. 

Fidesz muss sich dringend ändern

Lange war Orbán trotzdem populär, weil er die Migration von Ungarn ferngehalten und dem Irrsinn der Universalisten Einhalt geboten hatte und die Wirtschaft sich in nie dagewesenem Maße positiv entwickelt hatte. Doch gerade der anhaltende Erfolg wendet sich nun gegen ihn. Allmählich glauben die Wähler, die Migrationsgefahr sei vorbei, Ungarn sei in Sicherheit, und nun könne man doch endlich mit der Propaganda aufhören. Wie fragil der vorläufige Frieden an Ungarns Grenzen ist, ist ihnen nicht bewusst, und sie fangen an, Orbán die Warnungen übelzunehmen. Die Arroganz der Macht, der wuchernde Staatsapparat tragen zur schlechten Stimmung bei, die die Regierung nun gerade versucht – wie ihre Vorgänger – durch Sozialgeschenke abzumildern. 

Die jetzt fast verlorene Wahl müsste ein Weckruf für Orbán und Fidesz sein. Es müsste sich grundsätzlich etwas am Verhalten der Partei und an der immer fortschreitenden staatlichen Zentralisation ändern, und das sehr schnell. Sonst wird Budapest das Muster dafür sein, wie Fidesz die nächste nationale Wahl verliert, mit absehbaren üblen Folgen sowohl für das Visegrád-Bündnis als auch für die Machtverhältnisse in der EU.

Krisztina Koenen, gebürtige Ungarin, studierte Germanistik in Budapest und Frankfurt. Sie war Redakteurin des FAZ-Magazins und der Wirtschaftswoche. Danach wechselte sie in die Unternehmenskommunikation, wo sie hauptsächlich für Automobilhersteller tätig war. Krisztina Koenen ist Autorin mehrerer Bücher und Übersetzerin aus dem Englischen.

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Hartmut Laun / 01.11.2019

Die da in Ungarn gegen Orban und dessen Partei angetreten sind, das ist ein Bündnis zusammengesetzt wie Mehrfruchtmarmelade,. Von ganz rechts, wie geschrieben steht rassistisch und antisemitisch, ein paar Einzelkämpfer von Sozialisten/ Kommunisten und den Grünen. Eine Mischung die zusammengehalten wird “GEGEN”. Die aber sobald es um konkrete Maßnahmen geht, sofort anfangen werden sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

Justin Theim / 01.11.2019

Das Warnsignal ist lediglich das, was nach all der Kritik an Orban zu erwarten war. Die EU und ihre linken Kräfte, im Verein mit ausländisch finanzierten NGOs (Hallo Herr Soros?) wollen Orban stürzen, denn er steht der Migrationspolitik, der one-world-Ideologie und der Vereinigten Staaten von Europa-Bildung der EU im Wege. Früher war die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein Kriegsgrund. Heute findet das so subtil statt, dass die Strippenzieher nicht einmal mehr auszumachen sind.

Dr. Ralph Buitoni / 01.11.2019

Sehr geehrte Frau Koenen - es sind also die gleichen Muster wie überall: die toxischen Netzwerke aus Medien, NGOs, “grünen” (also neo-sozialistischen) Parteien und Teilen einer sich selbst ermächtigenden Verwaltung, deren gemeinsame sozial-demographische Grundlage sich aus dem unproduktiven, akademischen Prekariat rekrutiert, das vor allem von Neid und daraus resultierendem Hass auf alle Produktiven (von den dann auch noch Erfolgreichen gar nicht zu sprechen) motiviert wird, machen sich den Staat zur Beute, um wieder optimal die arbeitende Bevölkerung ausbeuten zu können. Weil in Ungarn noch alles im Fluss und neu ist wird besonders sichtbar, wie diese Protagonisten von außen gesteuert und unterstützt werden. Was in der Rest-EU sich über Jahrzehnte entwickelte, das passiert dort nun innerhalb von nur 10 Jahren. Die Speerspitze dieser Bewegung sind die überall gleich aussehnden Hipster, die inzwischen in allen westlichen Großstädten das Stadtbürgertum verdrängen und sich von den internationalen Flechtwerken gerne als Stoßtrupp gegen die eingesessene Bevölkerung einspannen lassen. Diese Latte-Macchiato-Kolonisten prägen inzwischen überall das Sadtbild und lassen einstmals charakterstarke Metropolen zu monochromen Abziehbildern angeblicher “Buntheit” veröden.

K.Anton / 01.11.2019

Danke für diese, mE objektive und ausführliche Darstellung der politischen Situation in Ungarn. Herr Kálnoky könnte hier etwas lernen. Insbesonders erfreulich, dass der Beitrag ohne das zum üblichen Reperoire gehörende Orbanbashing auskommt. Es muss daran erinnert werden, dass Orban schon einmal sicher geglaubte Wahlen verloren hat.Allerdings hat er daraus gelernt. Hoffentlich zieht er aus den Kommunalwahlen auch jetzt die Konsequenzen. Für deutsche Leser: Stellen Sie sich vor, eine Koalition aus Linke, AfD, Grüne, SPD, Kommunisten, FDP , Freie Wähler usw bringt Merkel Verluste bei, ohne sie stürzen zu können. Das etwa ist dzt die Lage in Ungarn. Kommunalwahlen sind natürlich keine Parlamentswahlen, die Themen werden dort anders gesetzt. Es ist auch fraglich, wie lange die zerbrechliche Koalition der Machthungrigen inmitten des Kampes um Pfründe hält. Aber Orban steht, trotz 5% Wachstum, vor grossen Herausforderungen.

Hubert Bauer / 01.11.2019

Ich war dieses Jahr in Ungarn (Visegrad) im Urlaub. Ich kann der Autorin im Wesentlichen zustimmen. Der Hauptgrund für die Beliebtheit von Orban und der Fidez liegt darin, weil die Magyar Szocialista zuvor Alles falsch gemacht haben, was falsch zu machen ist und sie das noch nicht gefestigte Ungarn sofort in eine große Krise geführt haben. Im gefestigten Deutschland braucht es aber Jahrzehnte, bis man politische Fehlentscheidungen tatsächlich merkt. Man merkt aber, dass die Ungarn Orban und seine Leute für korrupt halten. Solange die Wirtschaft brummt, nimmt man das in Maßen hin; aber viel mehr sollten sich die Fidez-Leute nicht mehr leisten. Da ist der Kredit bald aufgebraucht. Ein weiterer Kritikpunkt an Orban ist, dass er einseitig Prestigeprojekte fördert, aber andere Sachen komplett liegen lässt. In Estergom wurde z. B. der Stadtplatz wunderschön neu gestaltet, aber das früher mal schöne, aber jetzt total herunter gekommene Rathaus wurde nicht mal neu angestrichen. Oder die Autobahnen sind besser als in Deutschland, aber die Landstraßen sind eine Katastrophe. Und er baut neue Fußballstadien, weil er eine EM ins Land holen will, aber für den Breitensport wird Geld gestrichen.

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