Kernfusion auf bayrisch: Wunder von Penzberg?

Sicherlich sind Sie beim Blättern in Illustrierten schon über attraktive Lotteriegewinne gestolpert – ein Porsche etwa, neuestes Modell, Farbe und Ausstattung nach Wunsch. Gemeinsam mit Ihrer Liebsten überlegen Sie Farbkombinationen: Dunkelblau mit cremefarbenen Sitzen, oder vielleicht lieber knallrot und schwarz? Vor Ihrem inneren Auge können Sie das deutlich sehen. Was Sie nicht sehen können, ist die Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million, mit der das Auto Ihnen gehören wird.

Ähnlich attraktive Angebote machen derzeit diverse Startups. Sie versprechen unerschöpfliche, saubere Energie aus Kernfusion. Was sie nicht verraten, ist die Wahrscheinlichkeit, mit der das gelingen wird.

Eine dieser Firmen plant, sich im bayerischen Penzberg anzusiedeln; dort soll das Wunder der kontrollierten Kernfusion wahr werden. Der Name der Firma: Marvel Fusion. Ich schlage vor, wir schauen uns das mal an. 

Stellen Sie sich einen klassisch geformten Vulkan vor

Es besteht kein Zweifel, durch Verschmelzen von Atomkernen kann beliebig viel Energie erzeugt werden – die Sonne macht uns das ja täglich vor. Auf Erden müssen wir allerdings eine Nummer kleiner anfangen, und da wird’s schwierig.

Atomkerne sind positiv geladen, sie stoßen sich gegenseitig ab, und zwar umso mehr, je näher sie sich kommen. Wenn sie sich aber ganz nahe sind, wenn sie sich berühren, dann setzt plötzlich eine starke Anziehungskraft ein, sie verschmelzen und enorm viel Energie wird frei. 

Stellen Sie sich einen klassisch geformten Vulkan vor. Je höher oben, desto steiler ist der Hang. Es wäre verdammt schwierig, eine Bowling-Kugel vom Fuß des Vulkans bis zum Gipfel zu rollen, aber wenn Sie das schaffen, dann fällt sie in den Krater und stürzt jetzt völlig mühelos in Richtung Mittelpunkt der Erde. Und bei diesem Fall wird ein Vielfaches der Energie frei, die bergauf aufgewendet wurde.

So ist das mit der Kernfusion, an deren praktischer Nutzung man sich seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißt. Man muss den kleinen Bowling-Kugeln, den Atomkernen, so viel Energie geben, dass sie den mühsamen Weg durch die gegenseitigen Abstoßung überwinden; wenn das aber gelingt, dann bekommt man ein Mehrfaches an Energie zurück.

Gigantische Projekte dazu laufen bei ITER in Frankreich (siehe auch hier) und bei NIF in Kalifornien; bisher ohne Erfolg.

Man versucht es dort mit den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium, die man auf viele Millionen Grad erhitzt. Dabei werden einige Atomkerne so schnell, dass sie die erwähnte Abstoßung überwinden und tatsächlich verschmelzen. Die allermeisten Kerne aber sind zu langsam, um nahe genug an einen Partner zu kommen, sie werden umsonst erhitzt. 

Das ist so, als würden Sie eine Ladung von einer Million Bowlingkugeln gegen den Abhang des besagten Vulkans schleudern und hoffen, dass wenigsten ein oder zwei oben ankommen. Dabei vergeuden Sie mehr Energie, als die wenigen Treffer erzeugen, die in den Krater fallen.

Zu gut, um wahr zu sein

Die erwähnte Marvel Fusion – und ein paar andere Startups – versuchen es mit einem neuen Verfahren. Jetzt sollen Kerne von Wasserstoff, auch Protonen genannt, mit Kernen des chemischen Elements Bor verschmelzen. Letztere haben fünf Protonen und meistens sechs Neutronen, macht insgesamt 11 Teilchen. Daher wird dieser Kern B11 abgekürzt. Die Reaktion zur Verschmelzung mit dem zusätzlichen Proton heißt dann „HB11“, wobei das „H“ für Wasserstoff steht.

Dabei entsteht vorübergehend ein Gebilde aus sechs Neutronen und sechs Protonen, das explosionsartig in drei Fragmente zerfällt. Diese Fragmente, es sind Kerne des Elements Helium, bestehen aus je zwei Neutronen und zwei Protonen, wobei letztere elektrisch geladen sind. 

Das ist eine praktische Sache, denn schnell fliegende elektrische Ladungen kann man dazu überreden, ihre Bewegungsenergie direkt in Elektrizität umzuwandeln. Man spart sich also den Umweg über Hitze, Dampf, Turbinen und Generatoren, und auch die bösen Kühltürme braucht man nicht mehr.

Was also fehlt noch? Warum haben wir nicht längst diese neuen Wundermaschinen? 

Der Zauberstab

Muss denn bei HB11 nicht auch die elektrische Abstoßung zwischen den Atomkernen überwunden werden? Aber hallo, das erwähnte Bor hat immerhin fünf elektrische Ladungen im Kern, und entsprechend größer sind die Kräfte. Mit Aufheizen, so wie man es bei der herkömmlichen Kernfusion versucht, geht da gar nichts. Aber mit Hilfe eines Zauberstabs könnte es klappen.

Dieser Zauberstab ist ein bestimmter Typ von Laser. Der wird nun nicht etwa benutzt, um das Material aufzuheizen, das fusionieren soll, sondern er erzeugt extrem starke elektromagnetische Felder, in denen einige Kerne so beschleunigt werden, dass sie mit anderen verschmelzen. 

Im Gegensatz zu ganzen Ladungen von Bowlingkugeln, die gegen den Abhang des Vulkans geschleudert werden, schießt man jetzt mit Kanonen in Richtung Krater. Das ist erheblich effizienter. 

Besagte Laser – gewissermaßen die Kanonen – sind aber erst seit Kurzem verfügbar, und das hat den aktuellen HB11-Hype ausgelöst.

Kommt die Rettung aus Bayern?

Marvel Fusion hat nun ein Team von Experten gebildet, die mit Hilfe des neuen Zauberstabs ein richtiges Kraftwerk entwickeln wollen. Man hat die Stadt Penzberg ersucht, ein Areal von rund 3 ha im „Nonnenwald“ für die notwendigen Bauten zur Verfügung zu stellen. Penzberg liegt rund 40 km südlich von München im schönen Alpenvorland. Wird das klappen?

Politik in Bayern ist nicht weniger grün als im restlichen Deutschland, mit anderen Worten, alles ist entweder sehr gut (Mutti und Maske) oder sehr böse (Trump und Atom). Es wird für Marvel Fusion schwierig sein, die neue Kernfusion als gut zu verkaufen, aber man tut alles, um zu zeigen, dass sie zumindest nicht böse ist. Man schlägt die Trommeln des Zeitgeistes.

In der PR der Firma stehen daher der CO2-lose Betrieb und die Freiheit von jeglicher Atomgefahr, wie Radioaktivität, Bomben und Explosionen, im Vordergrund. Und auch der TÜV Süd hat schon seinen Segen dazu gegeben.

Auf ihrer Präsentation für die Stadt Penzberg zeigt Marvel Fusion sehr prominent Bilder der geplanten Gebäude im Nonnenwald. Das ist sicher nicht das Wesentliche und es erinnert an die eleganten Bilder der Traglufthalle, welche die Firma Cargolifter einst im Osten Deutschlands hinstellte. Dort konnte man zwar das versprochene Luftschiff nicht bauen, aber immerhin die Halle, in der es gebaut worden wäre. 

Der unternehmerische Optimismus ist etwas durchgegangen 

Bei der übertriebenen Rücksicht auf die kleinlichen Ängste des Zeitgeistes geht der Blick für die Proportionen natürlich verloren. Es geht hier ja um ein Projekt von epochaler Bedeutung. Wenn die Sache klappt, dann haben wir den heiligen Gral der Energieerzeugung auf Erden. Da ist es egal, was der TÜV Süd dazu sagt, und es ist egal, ob Marvel Fusion in der Cafeteria Plastikbecher verwendet. Sollte man nicht erst einmal die Chancen betrachten, bevor man mit dem Mikroskop nach Risiken sucht?

Das Ziel des Projektes rechtfertigt jeden Aufwand. Die Frage ist nur, ob dieses Ziel auch erreicht wird, und ob ausgerechnet Marvel Fusion die Firma ist, die das schafft. 

Die haben nun Meilensteine gesetzt, welche den Weg zum Ziel aufzeigen. Bis Ende 2023 soll eine Anlage stehen, in der die besagten Laser den HB11 Prozess durchführen, ohne dass man dabei schon Energie erntet. Das hört sich nicht unrealistisch an, vorausgesetzt, dass die riesigen Mengen an Strom für den Betrieb der Laser zur Verfügung stehen. Da muss sich Penzberg was einfallen lassen, denn mit Windmühlen allein wird das nicht klappen.

Bis Ende 2028 soll dann eine Anlage stehen, die immerhin 100 Megawatt liefert und die als Modell für große industrielle Kraftwerke dient. Nach 2030 will man dann im Gigawatt-Maßstab ins Netz einspeisen. 

Diese beiden letzteren Meilensteine nun sind extrem sportlich, aber wir wollen den Forschern keine unlauteren Absichten unterstellen, sondern eher, dass der notwendige unternehmerische Optimismus da etwas mit ihnen durchgegangen ist. 

Rechtzeitig die Reißleine ziehen

Wir leben in einer Zeit, in der Startups wie Marvel Fusion relativ leicht Investoren finden. Nun neigen solche Gründer dazu, mehr zu zeigen, als sie haben – so geht Marketing. Es kommt auch vor, dass sie schließlich die eigenen üppigen Versprechungen selbst glauben. Da ist es nun wichtig, dass unter den Geldgebern kompetente Entscheider sind, welche die Logik eines Vorhabens und dessen Fortschritt realistisch beurteilen können; die rechtzeitig die Reißleine ziehen, falls nötig. Ist das nicht der Fall, dann kommt es zu Skandalen wie um die amerikanischen Hochstaplerin Elizabeth Holmes mit Theranos (siehe auch hier) oder beim bayerischen Lufttaxi (siehe auch hier).

Die Kompetenz der Entscheider muss primär auf fachlichem Gebiet liegen; wer das beherrscht, der hat allemal die kognitiven Fähigkeiten, um auch die Finanzen zu verstehen. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Gibt es in der Politik solche Experten?

Unsere Minister zitieren gerne die enorme Komplexität ihres Aufgabengebietes, die es unmöglich macht, überall Experte zu sein. Dafür haben sie Berater. 

Berater haben nun ein gutes Gespür dafür, was der Auftraggeber gerne hören möchte. Letzterer muss also zumindest die Qualifikation haben, um zu erkennen, wem er in sachlicher und ethischer Hinsicht vertrauen kann. In Sachen Corona ist das ganz sicher nicht der Fall.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Foto: Jean-noël Lafargue FAL via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Gerhard Hotz / 28.11.2020

Zur Ueberlebenswahrscheinlichkeit von Start-ups: “Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die Firma gar nicht erst aus den Startlöchern kommt. Das Nächstwahrscheinliche ist der Bankrott nach drei Jahren. Von den Firmen, die die ersten drei Jahre überleben, schrumpfen die meisten zu einem Kleinunternehmen mit weniger als zehn Angestellten” (zitiert aus “Die Kunst des klaren Denkens” von Rolf Dobelli).

Klaus Demota / 28.11.2020

Hmm, die Präsentationsseite einer grundstürzenden Technologie sollte sich keine solchen Lapsusse erlauben “With its low neuronic fusion power plant, Marvel Fusion will offer the highest density approach in the future renewable energy market.” Klar, kontextuell sind Neutronen gemeint, aber ist das nicht vielleicht ein klassischer Freudian?

KlausKeller / 28.11.2020

Die Technikfeindlichkeit ändert sich mit den eigenen Interessen. Nehmen wir die Gentechnik. Von vielen Verteufelt wird das wohl nix werden mit Impfstoffen gegen bestimmte Viren. Oder nehmen wir die Möglichkeit mit Hilfe einer Blutprobe einer Schwangeren festzustellen ob beim Fötus eine Trisomie 21 vorliegt. Die Grünen von der SPD und der Union haben damit überhaupt kein Problem. Ein neues Gesetz sorgte dafür das die Krankenkassen den Test bezahlen müssen. Wozu ein Test wenn kein Abbruch erfolgt frage ich mich dann schon und will noch Wissen welcher ethische Dünnbrettbohrer auf die Idee kahm das wir künftig keine Kinder mit Trisomie 21 mehr haben wollen sollten. Die Möglichkeit zum Test führt fast zum zwangsweisen Test und der Erwartung die Schwangerschaft zu beenden. Und der Vorgang erinnert mich(!) dann schon an die Gesetzgebung der 1930/40er Jahre bezüglich der Verhütung erbkranken Nachwuchses. Der Untersteht besteht in erster Linie darin das die Beendigung eines solchen Lebens heute vorgeburtlich erfolgt.

Michael Dost / 28.11.2020

Als Physiker fallen mir solche Erscheinungen schon länger auf. Da gibt es die “kalte Fusion”  oder die “low energy nuclear reactions” (LENR),  die nach der Blamage von Fleischmann und Pons nicht mehr totzukriegen waren und deren Durchbruch stets bis zum Jahresende angekündigt wird (Andrea Rossi ca. 2013). Da ist auch die schon von Andrea Spindler genannte neutrino-energy, mit deren Errungenschaften Prof. Günther Krause wohl hoffte, seine bei der letzten Pleite angehäuften Schulden zurückzuzahlen. Ich weiß übrt Elementarteilchen nicht alles, soviel aber schon, dass hochenergetische Neutrinos so gut wie nicht mit anderer Materie wechselwirken. Deshalb braucht es riesige Detektoren, z.b. den ein Kubikkilometer großen Ice Cube des Hochenergie- Neutrino-Observatoriums. Immerhin:  In den von Neutrino DEUTSCHLAND GmbH benutzen Graphen-Schichten gibt es die saudämlichsten Quantenzustände der Gitter-Elektronen. Da könnte es ja doch sein, daß.......Vielleicht sind es Baerbocks Kobolde, die die Neutrinos einfangen und die Kohlenstoffgitterebenen zu Schwingungen anregen. Die aufwändig gestaltetem Webseiten des Neutrino-Energy-Umfelds lassen vermuten, dass man hier auf solvente Investoren oder Fördermittel hofft. Gar nicht so abergig, denn Gutachter und Bearbeiter der Förderträger können nicht alles wissen, die maturwissenschaftliche Bildungsferne einiger Politiker ist sprichwörtlich und hüpfende scientophobe Kreise gewinnen in Merkelland immer mehr Einfluss. Mit den richtigen Verbindungen und geschickzem framing wird Kritik dann schnell zur Verschwörungstheorie und wer auf die Unvereinbarkeit des angepriesenen Verfahrens mit den Naturwissenschaften verweist, ist dann per ordre de Stasi plötzlich als Antisemit geächtet und nicht mehr gesellschaftsfähig. Wenigstens bei Krauses Neutrinos scheint der Trick nicht geklappt zu haben  

Stefan Jess / 28.11.2020

Ich muss gestehen, da erscheint mir der Dual-Fluid-Reaktor praktikabler.

beat schaller / 28.11.2020

EUtschland,  Kernfusion, Bayern, Neuer Laser mit gigantischem Stromverbrauch, Deutscher TÜV,  und Experten in der Politik,  und alles ohne Risiko, dafür mit Subventionen…....Wer findet den Fehler? Was soll denn sowas in diesem Land,  es ist doch eh schon alles an der Wand? Ich hoffe nach wie vor auf einen grossflächigen, mehrtägigen Blackout. Damit ginge die Schussfahrt schneller bis zum Ende! Danach wäre wieder mal aufräumen angesagt und vielleicht ergäbe das die Chance, wieder an einen geerdeten und langsamen Aufbau ohne diese Politkaste zu denken. Träumen darf man ja noch.

Frances Johnson / 28.11.2020

Dass ein Stratovulkan oben steiler wird, halte ich für ein Gerücht, denn es handelt sich um einen wohlgeformten Kegel. Ein Bild vom Kljutschewskij (4750 m), Kamtschatka, genügt. Der Rest sehr erhellend und amüsant zu lesen.

Petra Wilhelmi / 28.11.2020

Ist ganz einfach. Ich sage irgend etwas Reißerisches. Dann finden sich immer Deutsche, die unbedingt irgendein Unternehmen in ihrer Region haben wollen und traumhafte Bedingungen für die Unternehmen schaffen - keine Steuern und Staatsknete, will heißen, das von den Bürger erarbeitete Geld wird denen hinterher geschmissen. Als Dank dafür werden ein paar Arbeitsplätze in der Zukunft in Aussicht gestellt. Die Zahl wird zumindest 3stellig sein. Dann wird das Terrain kostenlos zu Verfügung gestellt und es kann losgehen. Nein, das kann es nicht, aber mit Verschmutzungsrechten kann gehandelt werden. Die dummen Deutschen merken ja sowieso nie etwas und an ein Perpetuum mobile glauben die doch ganz fest (siehe Propeller und Sonnenenegiefelder).

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