Gastautor / 24.04.2010 / 06:45 / 0 / Seite ausdrucken

Kann nur der Papst England noch retten?

Von Hansjörg Müller

„Can Catholicism save Christian England?“ fragte der hochkonservative „Spectator“ vor einigen Wochen. Ja, lautete die Antwort des Schriftstellers Piers Paul Read, eines gläubigen Katholiken. Nur die katholische Kirche sei in der Lage, das Land vor dem „seichten und selbstsüchtigen Individualismus, durch den sich die moderne Welt auszeichnet“, zu retten. Mit dieser Ansicht scheint Read nicht allein zu sein. Nur wenige Monate zuvor hatte Papst Benedikt XVI. unzufriedene Anglikaner zur Konversion aufgefordert. Hinsichtlich des Zölibats und der Liturgie deutete der Bischof von Rom die Bereitschaft an, für übertrittswillige Anglikaner gewisse Ausnahmen zu machen. Doch wo liegen die Gründe für die Unzufriedenheit mancher anglikanischer Gläubiger und Kleriker mit der eigenen Kirche?
„Ein Luthertum mit Prälaten und Bischöfen, Ohrenbeichte und Zölibat, ein Katholizismus ohne Papst und Peterspfennig, Orden und Klöster.“ Mit diesen Worten beschreibt der Wiener Kulturhistoriker Egon Friedell 1928 die Anglikanische Kirche. Tatsächlich waren es pragmatische, politische Gründe, die zur Entstehung der englischen Staatskirche geführt hatten, keine theologischen. Nachdem sich Papst Clemens VII. geweigert hatte, die Ehe Heinrichs VIII. zu annullieren, beschlossen die englischen Bischöfe 1531, die Autorität des Bischofs von Rom nicht länger anzuerkennen. Ein willkommener Nebeneffekt dieser Entscheidung war, dass sich der König einen großen Teil des Vermögens der katholischen Kirche aneignen konnte. Heinrich VIII., der nun selbst Oberhaupt einer Kirche war, hatte eine neue Konfession begründet, „teils, um die Kirchengüter zu rauben, teils, um sich unbehelligt seinen sadistischen Blaubartpassionen hingeben zu können“, wie es Friedell ausdrückt.
Diese Anglikanische Kirche, die die katholische Liturgie und die bischöfliche Hierarchie weitgehend beibehielt, dabei aber alle Verbindungen nach Rom kappte, ist von vielen Gläubigen als eine willkürliche Zwitterschöpfung empfunden worden. Schon wenige Jahre nach Heinrichs Tod strebte seine Nachfolgerin Maria I. eine katholische Restauration an und ging dabei so brutal vor, dass sie der Nachwelt bis heute unter ihrem Beinamen „Bloody Mary“ bekannt ist. Doch diese Gegenreformation sollte nicht von Dauer sein. Nach Marias Tod war es Elisabeth I., die wiederum den Anglikanismus einführte. 

Im 19. Jahrhundert begeisterten sich vor allem englische Intellektuelle für den Katholizismus. In den 1830er und 40er Jahren stritt das Oxford Movement für eine Annäherung der anglikanischen High Church an die Römische Kirche. Viele seiner Mitglieder traten schließlich ganz zum Katholizismus über. Gleichzeitig entdeckten die Maler der Romantik die zahllosen Ruinen, die nach der Aufhebung der Klöster durch Heinrich VIII. in ganz England zurückgeblieben waren. Zu den bekanntesten Konvertiten im 19. und 20. Jahrhundert gehörten unter anderen der Politiker William Wilberforce, der noch heute wegen seines Kampfes gegen die Sklaverei bekannt ist, der Architekt des weltberühmten Parlamentsgebäudes in Westminster, Augustus Pugin, der Schöpfer der Pater-Brown-Romane, Gilbert Keith Chesterton, der Komponist Edward Elgar, der Filmregisseur Alfred Hitchcock, sowie die Schriftsteller Graham Greene, J. R. R. Tolkien und Evelyn Waugh.

Letzterer erzählt in seinem autobiographisch geprägten Roman „Brideshead Revisited“ die Geschichte seiner eigenen Konversion: Charles Ryder, ein ungeliebter Sohn aus bürgerlichem Hause, lernt während seiner Studienzeit in Oxford Sebastian Marchmain, einen katholischen Aristokraten, kennen. Anfangs ist Charles noch Agnostiker, doch unter dem Einfluss von Sebastians katholischer Familie findet er zum christlichen Glauben.

Diese Beispiele zeigen, dass die Sympathie für den Katholizismus in England sicherlich keine Massenbewegung darstellt, sondern eher Sache einer kleinen Gruppe von konservativen Intellektuellen ist, die im wesentlichen wohl aus Lesern und Mitarbeitern des „Spectator“, des Leib- und Magenblattes der tweedgekleideten Hund- und Jagd-Tories, bestehen dürfte. Mit einer Auflage von 70´000 Exemplaren ist dieses Magazin nicht gerade ein Massenblatt. Dennoch sollte man die Gefahr, die ein mögliches „catholic revival“ für die Anglikanische Kirche darstellen könnte, nicht unterschätzen, denn der Unmut der Gläubigen über ihre Kirchenführung ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr gewachsen.

Dies hat seine Ursache vor allem in der mangelnden Prinzipientreue der Staatskirche. Von ihren katholischen Wurzeln hat sie sich immer weiter entfernt. Den Zölibat, den Friedell in den 1920er Jahren noch erwähnt, hat sie schon lange aufgegeben; mittlerweile sind auch Frauen zum Priesteramt zugelassen worden und in der Anglikanischen Kirche der USA, die dort Episkopalische Kirche genannt wird, ist sogar ein bekennender Homosexueller zum Bischof geweiht worden. Rowan Williams, der als Erzbischof von Canterbury das geistliche Oberhaupt der Kirche ist, dürfte es schwerfallen, die weltweite Gemeinschaft der Gläubigen zusammenzuhalten. Vielen konservativen Anglikanern, vor allem in Afrika, gehen gewisse Neuerungen zu weit. Im Mutterland des Anglikanismus war es unter anderem eine Äußerung des Erzbischofs selbst, die für viele Gläubige das Fass zum überlaufen brachte: 2008 fragte Bischof Williams, ob es nicht angebracht sei, in Großbritannien Scharia-Gerichte einzuführen. „Has the archbishop gone bonkers?“ fragte die altehrwürdige „Times“ daraufhin provokativ, was sich frei übersetzen ließe mit: ist der Erzbischof noch ganz dicht?

Viele Gläubige fragen sich nun, ob dieser Mangel an Prinzipien nicht im Erbgut einer Kirche liegen muss, die lediglich aus politisch-pragmatischen Gründen entstanden ist und ob eine solche Organisation den Herausforderungen der Gegenwart, etwa dem kulturellen Relativismus, der sich in der Scharia-Äußerung des Erzbischofs zeigt, überhaupt noch wirksam begegnen kann. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Anglikanische Kirche als Ganze in den Schoß Roms zurückkehren wird. Eher wird es zu einem Schisma, einer Kirchenspaltung, kommen, in dessen Folge die meisten afrikanischen und ein Gutteil der englischen Gläubigen zum Katholizismus übertreten werden. Ob sich die Reste des Anglikanismus als eigenständige Kirche werden halten können, erscheint fraglich. Bedauern muss man dies nicht. Eine Glaubensgemeinschaft, die keine gemeinsamen Überzeugungen mehr hat, hat ihre Existenzberechtigung verloren.

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, ein liberales kolumbianisches Blog (www.elcertamenenlinea.com).

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