Gunnar Heinsohn / 19.01.2015 / 16:30 / 2 / Seite ausdrucken

Kanada optimiert seine Einwanderungspolitik

Kanada wird das erste Land der Welt, in dem die einheimischen Kinder von den Sprösslingen der Einwanderer bei den Schulnoten überflügelt werden (PISA 2006). Das Land erntet damals die Früchte der Reform von 1967, die den Zugang nicht mehr von – überwiegend europäischen – Herkunftsländern, sondern von Ausbildung, Sprachkenntnissen und Arbeitserfahrung abhängig macht. Asiaten werden daraufhin zur dominierenden Neubürgergruppe. Mittlerweile liegen auch unter Kanadas Erwachsenen die Zuwanderer bei den Hochschulabschlüssen deutlich vor den Alteingesessenen. Deshalb wird innerhalb des europäischen Kulturraums Kanada bereits 2011 Spitzenreiter beim Anteil seiner 25-34-Jährigen mit akademischer Qualifikation. Global hat es nur noch Süd-Korea und Japan vor sich. Deutschland nimmt den 28. Platz ein (OECD 2012).

Während Europäer darum streiten, ob man den kanadischen Leistungsweg nachmachen dürfe oder als inhuman verwerfen müsse, ist Ottawa mit dem Erreichten schon unzufrieden. Das bis Dezember 2014 gültige System setzt vorrangig auf generelle Kompetenz, die durch hohe Abschlüsse und Sprachkenntnisse nachgewiesen wird. Man rechnet darauf, dass selbst Orchideenfächler nicht allzu lange als Taxifahrer ihr Geld verdienen und zumindest ihre Kinder nicht als Schulversager enden. Dagegen gibt es für ein direkt aus Kanada vorliegendes Beschäftigungsangebot nur 10 der erforderlichen 67 Punkte (von 100 möglichen). Damit soll verhindert werden, dass überaus eng Qualifizierte bei Arbeitslosigkeit oder Bankrott ihrer Firma nicht durch die Mitbürger versorgt werden müssen.

Auch in Zukunft können Keilschriftforscher den 67-Punkteweg gehen. Für den umgehenden Bedarf der kanadischen Unternehmen aber gibt es seit Januar 2015 zusätzlich eine Überholspur. Es geht um das „Express Entry System“ (EES) für Leute „mit Eignung für die sofortige Teilnahme am Wirtschaftsleben“ (http://www.cic.gc.ca/english/immigrate/skilled/index.asp). Entsprechend wird das Kontingent für die jährliche Zulassung von Könnern („skilled immigrants“) von 265.000 auf 285.000 angehoben. Auf die bundesdeutsche Bevölkerung umgerechnet wären das mehr als 800.000 fremde Asse pro Jahr (80.000 für Österreich oder die Schweiz). EES gewährt für ein vorhandenes Arbeitsangeboz bis zu 600 von 1200 möglichen Punkten, gewichtet es also fünfmal schwerer als im Standardsystem. Um dennoch Einseitigkeit zu vermeiden, gibt es die neue Kategorie der „skill transferability“. Das suchende Unternehmen darf – sagen wir – einen Techniker mit Aussicht auf einen kanadischen Pass schnellstmöglich hereinholen, solange spezielle Tests seine Umschulbarkeit belegen. Verbale Kenntnisse und formale Abschlüsse verlieren die Hälfte ihrer Gewichtung, weil die Erfahrung zeigt, dass der Erwerb der Landessprache schon folgt, wenn die anderen Bedingungen erfüllt sind.

Auch die Jugendlichkeit der Zuwanderer wird neu bewertet. Gibt es im überkommenen Verfahren die maximale Punktzahl für 18-35-Jährige, so ist sie im EES für 20-29-Jährige reserviert. Ausländische Könner sollen also weniger Zeit für anderweitiges Herumsuchen verbummeln und stattdessen die Chance auf Familiengründung erhöhen. Alle EES-Bewerber kommen in eine Gesamtkartei. Die Höchstbewerteten (am nächsten an 1200 Punkten) erhalten die Einladung zur Niederlassung in Kanada als Erste.

Die Reform stößt nicht überall auf Begeisterung. Bisher konnte bis zu fünf Prozent der erforderlichen Punktzahl geltend machen, wer bereits einen Verwandten in Kanada hatte. Das habe zum Nachholen von Menschen ohne ausreichende Versorgung und „zum Missbrauch unserer Großzügigkeit“ geführt (so Einwanderungsminister Jason Kenney schon 2012: http://www.cic.gc.ca/english/department/media/speeches/2012/2012-02-16.asp).  In Zukunft will Kanada seinen Platz in der Weltspitze mit noch jüngeren Menschen verteidigen, die ihre stärksten Jahre ganz für die neue Heimat einsetzen sollen.

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Waldemar Undig / 20.01.2015

Aber auch die jüngsten Menschen werden älter. Es kommt alles darauf an, ob beim Erbringen der Hochleistungen in ihren stärksten Jahren nicht nur die kanadische Wirtschaft, sondern auch die Geburtenrate wächst.

Lara von Medenstein / 19.01.2015

Von Kanada kann man in der Tat viel lernen. Ich möchte darum der grundsätzliche Aussage des Artikels gar nicht widersprechen, wenn ich darauf hinweise, daß diese Akademiker-Zahlen der OECD immer nur mit allergrößter Vorsicht genannt werden sollten. Die OECD Statistik ist gerade im Bereich Bildung bekannt dafür, Äpfel mit Birnen zu vergleichen - und das nicht zufällig, sondern mit (ideologischem) System. Trotzdem: Was gäbe ich nicht dafür, wenn Deutschland konsequent Einwanderung nach kanadischem Vorbild betreiben würde! Nur darf man sich da keine Illusionen machen; würden die deutschen Parteien sowas aufziehen, dann würden umgerechnet 32 Punkte für die Einwanderung reichen, für Härtefälle 15 und für den Familiennachzug 5. Oder so.

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