Markus Vahlefeld / 26.11.2020 / 06:25 / Foto: Imago / 212 / Seite ausdrucken

Heilige Umnachtung: Das Käßmann-Phänomen

Vor wenigen Tagen lief im Deutschlandfunk ein Interview mit Margot Käßmann, und einige ihrer Aussagen waren, höflich ausgedrückt, interessant. Sie behauptete, dass niemand ein Recht aufs Weihnachtsfest im großen Familienkreis habe und dass "Maria und Josef in der Ursprungsgeschichte auch nicht in einem großen Familienkreis zusammen" kamen. Wer es nicht glaubt, kann es hier nachhören.

Wie unschwer zu erraten, hat die gute Margot all dies ernst gemeint, um den momentanen Überbietungswettbewerb an politischen Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie zu affirmieren. Damit steht sie bekanntlich in guter Tradition der protestantischen Kirche, die sich immer schon als religiöser Arm des politischen Zeitgeistes im Großdeutschen Reich verstanden hatte.

Die Bedford-Strohmisierung der protestantischen Kirche hat in den letzten Jahren Scharen von Gläubigen aus der Kirche getrieben. Aber das stört die wohlgenährten Kirchenfunktionäre nicht, denn natürlich wissen sie, dass, wenn die Kirchensteuergelder nicht mehr so üppig fließen, halt der Staat einspringen wird. Sein moralisches Sturmgeschütz würde er niemals ungefüttert lassen und schon gar nicht unter einer Kanzlerin, die selbst einem systemkonformen protestantischen DDR-Pfarrhaus entspringt. 

Die protestantische Kirche war ja zuletzt allein über ihre Millionen, die sie in die Schleppertätigkeit im Mittelmeer investierte, in den Schlagzeilen. Seelsorgerisch-mildernd hat sie auf das regierungsamtliche Corona-Panikorchester zu keinem Zeitpunkt einwirken wollen. Die protestantische Kirche deswegen jedoch als "religiöse Schlepperbande" zu bezeichnen, verbietet selbstverständlich der Anstand.

Paradiesische Sehnsucht, triefende Sentimentalität 

Nun also die weinselige Margot Käßmann wieder. Dass eine christliche Wanderpredigerin, die immerhin mal Bischöfin war und das höchste protestantische Amt in Deutschland innehatte, den Menschen das Recht aufs selbstbestimmte Weihnachtsfest abspricht, lässt aufmerken. Man darf unterstellen, dass es in China, Nordkorea und dem Iran ähnlich gesehen wird, und dass es dagegen im Interesse der Kirchen läge, zumindest eine klitzekleine Pflicht zum Weihnachtsfest zu konstatieren. Aber weit gefehlt. 

Wir erinnern uns: Ins öffentliche Bewusstsein trat Margot Käßmann gewichtig erst, als sie angedüdelt mit 1,54 Promille des Nachts eine rote Ampel überfuhr, von der Polizei angehalten wurde und daraufhin als EKD-Vorsitzende zurücktrat. Das war 2010. Sie schaffte es immerhin, eine Art moderne Heldengeschichte um sich zu stricken, in der sie sich vom Saulus zum Paulus gewandelt als einsichtig, geläutert und wieder frohen Mutes darstellen konnte. Der Last des anstrengenden Amtes enthoben, habe sie endlich wieder Zeit für Achtsamkeit und die kleinen Dinge im Leben. 

Und seitdem durchzieht ihre Vita diese Achtsamkeit für die kleinen Dinge wie die Perlen den Rosenkranz. Erst will sie mit den Taliban beten, um etwas für den Weltfrieden zu tun, dann Terroristen mit Liebe begegnen, um die Bundeswehr in Afghanistan zu entlasten. Dann wieder verweigert sie sich, mit AfDlern zu beten, geschweige denn ihnen mit Liebe zu begegnen, da dies ganz schädlich für den Weltfrieden und die innere Gestimmtheit der protestantischen Kirche wäre. Zudem lehnt sie, selbst zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern entsprungen, diese familiäre Konstellation entschieden ab, da man dann wüsste, „woher der braune Wind wirklich weht"

Das Phänomen Margot Käßmann ist neben allen politischen Implikationen ein Phänomen, das man am besten unter "deutschem Kitsch" zusammenfassen könnte. Es ist diese Mischung aus paradiesischer Sehnsucht, triefender Sentimentalität, verschrobenem Denken und schlechtem Geschmack. Darüber hinaus durchzieht viele Biografien, die sich durch ein Erweckungserlebnis á la Saulus/Paulus auszeichnen, der Hang zu einer esoterischen Vernunft, für die es noch keinen passenden Begriff gibt. Ich erlaube mir, diese Vernunft eine "negative Vernunft" zu nennen. Sie ist tief ins Christentum eingeschrieben, und Sätze wie "Wer geschlagen wird, soll auch noch die andere Wange hinhalten", "Die, die einem Böses wollen, soll man lieben", "Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen" oder "Wenn du schnell ans Ziel willst, gehe langsam" sind lupenreine Glaubensbekenntnisse dieser negativen Vernunft. Auf den ersten Blick erscheinen derartige Aussagen als weise und tief, sie gedeihen aber am buntesten und lautesten in einem Umfeld, das sich durch die komplette Weigerung, Verantwortung für die eigenen Ratschläge zu übernehmen, auszeichnet.

Limousinen, Panzerglas und Bodyguards

Als psychiatrische Auffälligkeit ist die negative Vernunft in unserer christlich tingierten Kultur die Sehnsucht, zu einem Urchristentum zurückzukehren, dessen Vertreter bekanntlich in Höhlen lebten und ein reines Leben führten. Dass diese Sehnsucht meist bei den Vertretern der herrschenden Zeitgeistklasse in Deutschland gepflegt wird, ist an Ironie nicht zu überbieten. Limousinen, Panzerglas und Bodyguards sind fast so etwas wie die Voraussetzung, um dieser Sehnsucht anheim zu fallen.

Ob im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei den Grünen oder neuerdings auch bei der CSU: Für den, der sich in die Komfortzone der staatlichen Alimentierung begeben hat, ist die negative Vernunft die letzte sichere Bastion, um seine eigenen Pfründen gegen die Interessen der Zahlenden abzusichern. Eine „Kultur des Weniger", wie sie von Frau Göring-Eckardt gepredigt wird, fasst ja nur zusammen, was die seit Jahren gepflegte politische Richtung ist: "Wir müssen uns schaden, um zu wachsen". Das ist der Mustertext aller momentanen politischen Akteure und negative Vernunft par excellence.

Margot Käßmann ist für den deutschen Zeitgeist ein nicht ganz unerheblicher Baustein dieser propagierten Sehnsucht nach dem Reinen, Kleinen und Guten. Sie bedient den deutschen Kitsch, der sich vor 100 Jahren mit "Hirsch vor Bergpanorama" manifestierte und inzwischen durch "Flüchtling mit gefundener Geldbörse" abgelöst wurde. In dieser Welt ist Jesus zu einer Art freundlichem Gartenzwerg mutiert, mit dessen hochaggressivem Rauswurf der Geldwechsler aus dem Tempel man so recht nichts anzufangen weiß. Ohne die neuesten theologischen Diskussionen zu kennen, unterstelle ich, dass man Jesus Christus dieses rabiate Vorgehen inzwischen als kleine menschliche Schwäche auslegt, die ihn umso sympathischer macht. Von einem wehrhaften Christentum, das heilige Bezirke achtet und aus einer geistigen Vollmacht spricht, haben sich die Protestanten schon lange verabschiedet.

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“, war von Anbeginn des Christentums die Maxime, um im Dualismus zwischen Weltlichem und Himmlischem leben zu können. Dem Kaiser – oder korrekt gegendert: der Kaiserin – nun das Weihnachtsfest zu übergeben, ist der sichtbare Beweis, dass die Kirchen geistig und religiös restlos ausgehöhlt sind. Dass dies mit der Geburtsgeschichte im Stall argumentativ unterfüttert wird, indem Frau Käßmann darauf hinweist, dass auch Josef und Maria bei der Geburt nicht im großen Familienkreis zusammenkamen, ist dann nur noch lustig, unterstreicht aber diese Sehnsucht nach einer "Kultur des Weniger", in der das Leben im Stall das Höchste und der Mangel das Schönste ist. 

Folgerichtig müsste der nächste Satz von Frau Käßmann lauten: "Bleibt den Kirchen fern, denn Jesus Christus hat auch nie in einem Gotteshaus gepredigt!" An diesen Ratschlag würde ich mich sogar halten. Auf ewig und immer. Amen.

Foto: Imago

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Sabine Schönfelder / 26.11.2020

Peter@Reindl, klasse, und so nett erzählt!

Oliver Breitfeld / 26.11.2020

Frau Käßmann hat die Rolle des Teufels übernommen, der in den Ruinen der evangelischen Kirchenstrukturen umhergeistert. Allerdings spielt sie die Rolle schlecht und wirkt völlig lächerlich. Auf der Bühne würde man sagen: Knallcharge. Weniger glaubwürdig geht nicht. Der Vorhang ist aber längst gefallen und das Publikum gegangen.

Alexander Fietz / 26.11.2020

Werde meine geliebte Weihnachtskrippe,  Käßmann, Merkel, Söder und Abstandsregeln zum Trotz, dieses Jahr mit deutlich mehr als max. 10 Figuren (incl. BLM Melchior!), auf engstem Raum, quasi als ein Superspreader Event incl. Zoonose, ganz ohne Mundschutz friedvoll und besinnlich gestalten.

Helmut Kassner / 26.11.2020

Es ist noch viel schlimmer. Hauptamtliche Christen versuchen die Basis der ev. Kirche umzudeuten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist ein Interview der Bischöfin Kurschus, die in einem Interview vor Weihnachten mit dem DLF u. a.  allen Ernstes zu der Weihnachtsgeschichte folgendes von sich gab: ” ....Sie ist gleichzeitig eine Geschichte, die ganz viele Herausforderungen der Gegenwart in sich hat. Da sind zwei auf der Flucht. Auf der Flucht bringt die Frau ihr Kind zur Welt und weiß nicht, wo sie das tun soll. Sie erfährt ganz viel Ablehnung. Türen werden zugeschlagen. Sie bringt ihr Kind zur Welt – mitten in der Düsternis auf einem zugigen Feld, umgeben von Leuten, die in der Gesellschaft in der untersten Kategorie untergebracht sind…..” Da wird eine der wichtigsten Geschichten der Christenheit einfach umgedeutet. Natürlich waren Josef und Maria nicht auf der Flucht, sondern aufgrund einer administrativen Anordnung (Volkszählung) unterwegs und das Kind wurde nicht auf einem Feld geboren sondern in einem Stall ....weil kein Raum in der Herberge war…. Ich bin gespannt was uns Frau Kuschner dieses Jahr für eine Räuberpistole erzählen wird. Vielleicht “baut” Frau Kurschus an einer Art Weltreligion in der sich dann alle Religionen vereinigen. Da muss natürlich einiges umgedeutet werden. Frau Käßmann halte ich übrigens geradezu prädestiniert federführend mit zu machen.

Uta Buhr / 26.11.2020

Frau Käsemann setzt noch ein Quasi-Verbot auf das bereits von Merkel im Jahre des Unheils 2005 verkündete. Bei ihrem Amtsantritt vor fünfzehn Jahren ließ uns die Göttliche im Wartestand wissen, wir hätten keinen unbegrenzten Anspruch auf Demokratie und Marktwirtschaft. Gerade wird auch der Anspruch auf das Feiern unseres seit vielen Generationen geheiligtes Weihnachtsfestes im erweiterten Familienkreis in Frage gestellt.  Warten wir ab, was als nächstes dekretiert wird. Ich schätze, dass man uns in Zukunft nur noch soviel Freiheit erlauben wird wie Sträflingen in den JVA. Einmal in der Woche Hofgang unter strengster Aufsicht. Das einzige, was auf Dauer erlaubt sein wird, ist Maloche. Rente erst ab achtzig oder ganz kurz vor dem Exitus. Irgendwie muss die Kohle ja generiert werden, die unsere Eliten für ihr bequemes Aufseherleben benötigen. Was war Orwell doch für ein Optimist!

Kari Köster-Lösche / 26.11.2020

In Deutschland war die heutige Weihnachtszeit natürlich nicht römischen, sondern schon Jahrhunderte vor der Eroberung durch die Römer germanischen Ursprungs. Es war die Feier zur Sonnenwende, die Anlass zur Fröhlichkeit gab, heute noch in Schweden erkennbar durch Tanz um den Tannenbaum und das Auftreten der netten, lustigen tomte (deutsch Puken, dänisch nisse) im Schultheater und auf Marktplätzen in der Vorweihnachtszeit. Die schreckliche deutsche Besinnlichkeit gibt es in Schweden nicht.

H.Roth / 26.11.2020

@ Volker Kleinophorst. In der Bibel zuallererst. Das ist das historisch zuverlässigste Buch aus der Antike. Erfüllt rein objektiv mehr als alle Kriterien, die ansonsten an antike Schriftfragmente gestellt werden.

Lara Berger / 26.11.2020

Was hat sich da nur an die Spitzenpositionen der Gesellschaft laviert?

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