Rainer Bonhorst / 09.12.2015 / 01:43 / 2 / Seite ausdrucken

Große Schauspielkunst auf dem Rasen

Ein Skandal gewordener Hackentrick des Augsburger Torwarts Marvin Hitz bewegt die Fußballwelt. Der Keeper des Bundesligisten FCA hat, wie der eine oder andere Achse-Leser vielleicht mitgekriegt hat, am Elfmeter-Punkt mit der Hacke den Rasen aufgemischt, und so dem Kölner Elfmeter-Schützen ein Grübchen gegraben. Die übliche Trickserei im Ballsport hat damit eine neue Dimension erreicht, nämlich die der unethischen Rasenbehandlung. Aber: Hat der Hitz-Trick auf dem Spielfeld eine Zukunft?

Bisher verlässt man sich im Profi-Fußball ganz auf die Schauspielkunst. Darum hier zunächst einmal eine Beschreibung und Analyse der drei Hauptrollen, die auf dem Rasen zu sehen sind:

der sterbenden Schwan;

der Unschuldsengel und

die Schwalbe.

Der sterbende Schwan erscheint im Flutlicht, wenn ein Spieler vom Gegenspieler unangenehm berührt wird, ohne dass der Schiedsrichter dies ahndet. Das Ziel des sterbenden Schwans ist zunächst, die Aufmerksamkeit des Schiedsrichters zu gewinnen, dann seine Sympathie, um schließlich den Gegner als strafwürdigen Schurken (sagen wir: Iago) erscheinen zu lassen.

Die Sterbeszene des Schwans beginnt mit einem Aufschrei im Stil einer weidwunden Kreatur, gefolgt vom Sturz, der im optimalen Fall ein Sturzflug ist. Der Schwan hat nun Bodenberührung und befindet sich in seiner Sterbeposition. Hier angekommen, beginnt der Todeskampf unter Wälzen und Wimmern, wobei verzweifelt die Kontaktstelle gepresst wird, die wegen ihrer offenbar lebensgefährlichen Verwundbarkeit auch Achillesferse genannt wird.

Die Vorstellung führt im Idealfall zu einer Bestrafung des Gegners. Sie kann aber auch als Vorwärtsverteidigung eingesetzt werden, etwa wenn man selbst der Übeltäter ist. Durch eine geschickt dargestellte eigene Schwerstverwundung kann man sich von der Täter- in die Opferrolle transformieren. Je überzeugender die Rolle gespielt wird, desto größer die Chance, dass man ungestraft davon kommt und das eigentliche Opfer die Gelbe Karte sieht.

Wie immer die Rollenverteilung: Die letzte und anspruchsvollste Phase des sterbenden Schwans ist die des Osterwunders. Denn der Schwan darf nicht auf Dauer sterben. Er muss der Mannschaft erhalten bleiben. Also muss er sich selbst früher oder später möglichst elegant wiederbeleben, um dann erstaunlich genesen und in robuster Gesundheit weiter mitzuspielen – bis zu nächsten Sterbeszene.

Der Unschuldsengel ist keine so dramatische Rolle. Er gehört eher ins Fach der leichten Muse. Der Darsteller muss lediglich durch eine verblüffte, ja entsetzte Mine und durch eine zum Himmel offene Handhaltung seine absolute Harmlosigkeit signalisieren. Die Pantomime sagt aus, dass man dem Gegenspieler, der gerade ins Krankenhaus gebracht wird, nicht einmal nahegekommen ist.

Wird dem Unschuldsengel nicht geglaubt, stößt er mit einer Sprechrolle nach, indem er sich gemeinsam mit einigen Kameraden entrüstet vor dem Schiedsrichter aufbaut, um ihn behutsam, aber in eindringlicher Körpersprache zur Zurücknahme seiner Entscheidung zu bewegen. Gelingt dies nicht, bleibt nur der Abgang bei verzweifeltem Kopfschütteln über die Ungerechtigkeit der Welt.

Die Schwalbe ist die Königsdisziplin. Sie wird klugerweise im Strafraum oder in Strafraumnähe vorgeführt - mit dem Ziel, einen Elfmeter oder wenigstens einen Strafstoß in Tornähe zu ergattern. Bei der Schwalbe geht es vor allem um die Kunst des Timings. Der versierte Schwalbenkünstler wählt den Start seines Abhebens exakt für den Moment, da ein Gegner ihm so nahe gekommen ist, dass eine Berührung möglich, ja sogar wahrscheinlich ist. Jetzt heißt es, nicht auf einen eventuellen Kontakt zu warten, sondern proaktiv zu handeln, also freiwillig und ganz aus eigenem Antrieb zu taumeln, zu fliegen und zu stürzen.

Entscheidend ist, dass der Sturzflug zwar deutlich, aber nicht übertrieben deutlich verläuft, da dies das Misstrauen des Schiedsrichters wecken kann. Es gilt also der Grundsatz: Weniger ist mehr. Der Flug zu Boden sollte möglichst rasant, also flachverlaufend sein, um einen Ausdruck aus der Ballistik zu verwenden. Reagiert der Schiedsrichter unbefriedigend, kann der Gestürzte der Schwalbe noch den Schwan folgen lassen. Eine schwierige Doppelrolle, aber sie kann sich lohnen, denn der Preis ist heiß: Strafstoß vom Elfmeter-Punkt und somit ein ziemlich sicheres Tor.

Es sei denn, der Torwart wendet den Hacken- und Rasentrick an, mit dem jetzt Marvin Hitz hervorgetreten ist, und bringt damit den Schützen um seinen sicheren Halt und den mühsam verdienten Lohn. Das eigentlich Trickreiche an diesem Hackentrick ist, dass er so neu ist. Das Überraschungsmoment also. Künstlerisch wertvoll ist die Buddelei nicht. Grobes Handwerk, wenn auch mit dem Fuß ausgeführt. Darum gehört der Hitz-Trick nicht in den anspruchsvollen Kanon der fußballerischen Profi-Ausbildung und ich bezweifle, dass er jemals dazu gehören wird. Nein, es wird keine Hitz-Welle geben.

Sterbender Schwan, Unschuldsengel und Schwalbe – das sind klassische Darbietungen von Niveau. Sie sind zu Recht fester Bestandteil der fußballerischen Ausbildung. Dass diese künstlerischen Grundlagen möglichst in jungen Jahren gelegt werden müssen, versteht sich von selbst. Früh übt sich, was ein Rasen-Schauspieler werden will.

Entscheidend ist, dass diese Grundausbildung über das bloß körperlich Darstellerische hinausweist. Der junge Fußballer muss lernen, sich von altmodischen Fairness-Vorstellungen zu verabschieden, die ihm vielleicht von Schule und Elternhaus mitgegeben wurden. Er muss mit einem profimäßig erweiterten Fairness-Begriff vertraut gemacht werden, der den „dirty trick“ integrativ mit einschließt. Ethisch neutrale Inklusion also.

Das Ziel ist erreicht, wenn der erste Profi-Fußballer nicht nur einen Pokal sondern auch einen Oscar in Händen hält, egal, ob als Schwan, Schwalbe oder Engelchen.

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Peter Grape / 09.12.2015

Der gute Mann heißt Marwin Hitz.

Wolfgang Janßen / 09.12.2015

Zwei kurze Anmerkungen: Strafstoß = Elfmeter Der Augsburger Torwart hat sich nur nach dem altbekannten Motto: “Wenn wir sie schon nicht besiegen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.” verhalten. So besehen im Westen nichts neues.

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