Kaum etwas scheint heute ferner als der Optimismus, der im Jahr 1995 Sam Bahour ansteckte. Frieden und ein palästinensischer Staat standen ins Haus. In diesem Glauben packte der erfolgreiche Geschäftsmann mit palästinensischen Wurzeln damals seine Koffer und zog aus den USA nach Ramallah. Heute, 13 Jahre nach der schicksalsträchtigen Entscheidung, scheint sein Palästinenserstaat ferner als je zuvor. Sam ist zynisch geworden. Seine zwei Töchter wuchsen nicht wie gehofft in einer Oase des Friedens, sondern in einem Kriegsgebiet unter israelischer Besatzung auf.
Friedensinitiativen gab es zuhauf. Erst vor neun Monaten trafen sich Führer aus aller Welt, darunter auch Israels Premier Ehud Olmert und Palästinas Präsident Machmud Abbas, im amerikanischen Annapolis, um feierlich die Wiederaufnahme von Verhandlungen zu verkünden. Geschehen ist seither freilich wenig, von den sich ständig ausbreitenden Siedlungen im Westjordanland einmal abgesehen. Seitdem Olmert feierlich einen Siedlungsbaustopp versprach, wuchsen diese fünfmal so schnell wie vorher. Im arabischen Ostjerusalem, baut Olmerts Regierung lau einem Bericht der israelischen Friedensbewegung „Peace Now” 38 Mal so viel neue Häuser für Israelis wie vor der Annapolis Konferenz, während über eine Rückgabe des Westjordanlandes verhandelt wird. Sam braucht keinen Bericht um zu sehen, dass seine Lage schlechter wird: Er braucht wegen der Straßensperren und Trennmauern inzwischen mehr als eine Stunde, um mit seinem Auto aus Ramallah ins benachbarte Jerusalem zu fahren. Früher dauerte dieselbe Fahrt kaum zehn Minuten.
In Israel merkt man von der Besatzung hingegen wenig. Hier herrscht Wahlkampf in der israelischen Regierungspartei Kadima, die voraussichtlich den nächsten Premier stellt. Außer der grassierenden Korruption und beherrschen die Friedensverhandlungen und die damit verbundenen Zugeständnisse an die Araber die Debatten. Doch während man sich in Israel seit Jahren darüber streitet, wie wenig und wann man den Palästinensern Land geben kann, laufen der Zwei-Staaten Lösung auf der palästinensischen Seite die Anhänger weg.
Sam, der sich früher vehement für Teilung und friedliche Koexistenz einsetzte, hat den Glauben an einen israelischen Verhandlungspartner verloren. Er ist nicht allein. Immer mehr Sprecher des gemäßigten palästinensischen Lagers wenden sich nach 15 Jahren vom erfolglosen Friedensprozess ab. Angesichts des anhaltenden Siedlungsbaus „verliert die Zwei-Staaten Lösung an Aktualität”, sagte selbst Premier Salim Fayad unlängst und fügte warnend hinzu:„Der Zustand von nicht-Frieden und nicht-Krieg wird bald enden müssen.” Damit ist nicht unbedingt eine neue Intifada gemeint, mit der immer mehr Bewaffnete im Westjordanland drohen.
Vielmehr wollen die Gemäßigten, die Gewalt verabscheuen, den Israelis klar machen, dass die Zeit gegen sie arbeitet. Sie wollen die end- und ergebnislose Fortführung von Gesprächen verhindern. Professor Sari Nusseiba war bisher als mutiger Vorreiter des Friedensprozesses bekannt. Doch selbst der Rektor der Al-Quds Universität, der noch vor wenigen Jahren in Eigeninitiative insgesamt 500.000 israelische und palästinensische Unterschriften für die Zwei-Staaten Lösung sammelte, glaubt nicht mehr an zwei Staaten:„Meine Mutter hat das Dokument nicht unterschrieben, weil sie nie glaubte, dass die Israelis sich daran halten werden”, sagte Nusseiba auf einem Vortrag in Jerusalem. „Wenn die Israelis nicht bald einer Zwei-Staaten Lösung zustimmen, werden wir auf eine Ein-Staaten Lösung umsteigen.”
Diese Drohung galt lang als Verhandlungstrick der Palästinenser. Doch heute steht eine wachsende Minderheit überzeugt hinter dieser Aussage. Sam Bahour will nicht mehr warten:„Wir fordern nur 22% des ursprünglichen Palästina, und selbst das wollen die Israelis uns nicht geben.” Der energische Geschäftsmann formulierte gemeinsam mit 27 unabhängigen Intellektuellen, die fast das gesamte politische Spektrum Palästinas repräsentieren, ein neues Grundsatzpapier. Darin fordern sie die Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde und „eine Umorientierung zu einer Ein-Staaten Lösung”. Da Palästinenser etwa die Hälfte der Bevölkerung eines Staates zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer ausmachen würden, bedeutet das effektiv das Ende eines jüdischen Staates Israel. Nusseiba kommentiert diese Forderung mit einem Achselzucken:„Wir haben kein nationales Projekt wie die Juden in Israel. Wir wollen hier einfach nur gleichberechtigt auf unserem Land leben.”
Außenministerin und Verhandlungsführerin Tzippi Livni beharrt zwar darauf, dass Israel sich nicht zu einem „verfrühten Vertragsschluss” drängen lässt. In Jerusalem glaubt man, die Verhandlungen nicht vor frühestens Mitte 2009, nach Neuwahlen und einer Regierungsbildung, beenden zu können. Das könnte zu spät sein. Im Januar endet offiziell die Amtszeit des palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas, was drauf folgt, ist offen. Die palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat sich noch nicht vom Friedensprozess abgewandt, wird aber kaum bis Mitte 2009 warten können. Besonders, wenn unterdessen ständig neue Siedlungen entstehen und neue Fakten geschaffen werden, die später von den Palästinensern berücksichtigt werden sollen:„Solange wir verhandeln, glauben wir an die Zwei-Staaten Lösung, auf der alle Nahost-Friedenspläne basieren. Aber die Israelis müssen sich endlich entscheiden, ob sie Frieden oder Siedlungen wollen”, sagt der palästinensische Außenminister Riad al-Malki im Gespräch mit unserer Zeitung und fordert:„Der Frieden darf nicht mehr Geisel der israelischen Innenpolitik sein. Sonst wird es keine Zwei-Staaten Lösung mehr geben.”